Читать онлайн книгу Forschungsreisen in früheren Jahrhunderten - Band 124 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Jürgen Ruszkowski страница 9
liegt unter dem Äquator. Marco Polo war sich bewusst, dass er hier den südlichsten Punkt seiner Reise erreicht hatte: „Noch etwas sehr Bemerkenswertes muss ich berichten: Diese Insel liegt so weit im Süden, dass der Polarstern hier überhaupt nicht mehr zu sehen ist.“Auf die ausführliche Schilderung von Sumatra folgen in Marcos Buch kurze Bemerkungen über die Nikobaren und Andamanen; wir wissen aber nicht, ob er diese Inselgruppen im Indischen Ozean selbst besucht hat. Aber schon bei der Beschreibung der Insel Ceylon bekommt sein Bericht wieder die gewohnte Lebendigkeit und Farbe. Hier interessiert ihn vornehmlich zweierlei: Der Adams-Pik und die Perlenfischerei: „Auf dieser Insel gibt es einen hohen Berg, der hat wilde Schluchten und Abgründe, und sein Gipfel ist so zerrissen, dass man ihn nur besteigen kann mit Hilfe von eisernen Ketten, die an dem Felsen befestigt sind. Auf diesem Gipfel soll sich das Grab unseres Urvaters Adam befinden, so sagen die Sarazenen. Aber die Götzenanbeter sind der Meinung, dass das Grab den Leib Sagamoniborcans (Buddha) enthalte. Das war der erste Mensch, der die Götzen erfunden hat, und sie verehren ihn als einen Heiligen.“ Nun erzählt Marco die berühmte Geschichte, wie Gautama als junger Mann das Königreich seines Vaters verließ und allen weltlichen Genüssen entsagte, um sich ganz dem Studium der Religion und der Philosophie hinzugeben.Lustiger freilich ist es ihm, von der Perlenfischerei zu berichten, die in dem flachen Meer zwischen Ceylon und dem Festland betrieben wird: Die vielen Kaufleute, die sich daran beteiligen, bilden Genossenschaften. Jede von ihnen stellt eine große Anzahl von erfahrenen Perlentauchern gegen Lohn an. Von dem Gewinn müssen sie zunächst ein Zehntel dem König abliefern. Ein Zwanzigstel steht den Leuten zu, die die Fische bezaubern. Sie gehören zur Kaste der Brahmanen und verstehen es, durch Magie die großen Raubfische abzuhalten, die sonst den Perlentauchern bei ihrer Arbeit gefährlich werden. Weil nun die Taucher der einzelnen Genossenschaften nur bei Tage arbeiten, lösen die Brahmanen den Zauber am Abend, damit unehrliche Leute, die etwa nachts ohne Berechtigung tauchen und Muscheln stehlen wollen, durch die Furcht vor den raubgierigen Fischen abgehalten werden.An verschiedenen Punkten der Malabar-Küste lernt Marco Polo schließlich auch noch den Kulturkreis Indiens kennen. Wir wissen, er ist kein Gelehrter; tiefsinnige vergleichende Kulturbetrachtungen liegen ihm gar nicht, aber er erkennt doch, dass dies für ihn eine völlig neue Welt ist. Alles geht in seiner Erzählung bunt durcheinander: Es gibt da Fledermäuse so groß wie Geier, und Geier, die schwarz wie Raben sind. Er erzählt von Tempeln mit unglaublich vielen Göttern, männlichen und weiblichen, und von jungen Tempeltänzerinnen, die nackt – nur mit einem Tuch umgürtet – ihre Hymnen singen und tanzen. Er verschmäht es nicht, eine so nützliche Erfindung wie das Moskitonetz zu preisen; „solche Bequemlichkeiten genießen freilich nur Personen von Rang und Vermögen.“ Höchst merkwürdig findet er es, dass die Hindus den Ochsen wie einen Gott verehren und dass Witwen sich auf den Scheiterhaufen ihres verstorbenen Mannes stürzen, um mit ihm zu verbrennen. Und Sekten gibt es hier, deren Angehörige haben eigenartige Gewohnheiten: „Sie berauben keine Kreatur ihres Lebens, nicht einmal eine Fliege, einen Floh oder eine Laus; auch essen sie kein Tier, denn sie würden sonst Sünde begehen.“ Für den, der fast zwei Jahrzehnte lang in den ganz andersartigen Lebensformen Chinas zugebracht hat, ist das eine seltsam ferne Welt. Nicht alles, was Marco sieht, deutet er richtig, aber er sieht unglaublich viel und erzählt es munter und lebendig mit einem erstaunlichen Sinn für die Spannweite alles Menschlichen und ohne den Hochmut des Europäers, der später so viele Reisebeschreibungen schwer erträglich macht.Sechsundzwanzig Monate nach der Abfahrt von China langten die Polos mit ihrer Begleitung in der persischen Hafenstadt Hormos an, die ihnen schon von der Ausreise her bekannt war. Freilich erreichten keineswegs alle Mitreisenden das Ziel. Von der Schiffsbesatzung und den Passagieren fanden unterwegs rund sechshundert Personen den Tod, darunter zwei von den drei Gesandten, während von den Damen und Dienerinnen der Prinzessin nur eine gestorben war.Bei der Landung in Hormos erfuhren die Polos zu ihrer Bestürzung, dass der König Argon schon vor ihrer Abreise von China gestorben war. Für seinen noch sehr jungen Sohn führte der Bruder des verstorbenen Königs, Quiacatu, die Regentschaft. An diesen wandten sie sich und baten um Auskunft, was nun mit der Prinzessin Kogatin geschehen solle. Der Regent gab den Auftrag, die junge Dame dem Sohn Argons zuzuführen, der damals in der persischen Nordprovinz Khorassan unter der Vormundschaft eines Gouverneurs das Waffenhandwerk erlernte. So bekam Kogatin statt des alten Königs einen jungen Prinzen zum Gemahl. Marco vergisst nicht zu erwähnen, dass sie in Tränen ausbrach, als die Polos sich endgültig von ihr verabschiedeten, so innig hatte sie sich auf der langen Reise mit ihnen angefreundet.In der Residenz des Regenten Quiacatu, die wahrscheinlich in Täbris lag, ruhten sie sich neun Monate von den Strapazen der Seereise aus; dann machten sie sich endgültig auf den Heimweg. Unterwegs erreichte sie die Nachricht, dass Kublai Khan inzwischen gestorben war. Da wurde ihnen klar, dass sie die Heimfahrt gerade noch rechtzeitig angetreten hatten. „Endlich erreichten sie die Stadt Trapezunt, von wo sie nach Konstantinopel gingen, dann nach Negropont und zuletzt nach Venedig, an welchem Ort sie frisch und gesund im Jahre 1295 ankamen. Bei dieser Gelegenheit brachten sie Gott, der sie aus so viel Mühsalen und unzähligen Gefahren errettet und zum Ziele geführt hatte, ihren Dank dar.“* * *Im Kerker zu GenuaIm Kerker zu GenuaWir kennen die Szene, die sich bei der Heimkehr der Polos vor ihrem Palazzo in Venedig abspielte, und wir wissen, wie sie nach der Schilderung des Ramusio sich ihren Angehörigen und den maßgebenden Familien der Stadt bei einem prächtigen Festmahl zu erkennen gaben. Mag sein, dass der Erzähler diese Szene etwas im Stil einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht ausgeschmückt hat. Unwahrscheinlich ist sie keineswegs, denn sie passt vortrefflich zum Wesen dieses Mannes Marco, seiner Freude am bunten Getriebe des Lebens, den Kontrasten zwischen barbarischer Üppigkeit und bitterer Not, seiner Lust am Absonderlichen und Skurrilen.Vierundzwanzig Jahre waren die Polos fern von der Heimat gewesen, siebzehn davon in China, dreieinhalb auf der Ausreise und mehr als drei auf der Rückreise. Sie lebten nun in Venedig als reiche Kaufherren, berühmt wegen ihrer seltsamen Abenteuer und angesehen in Staat und Gesellschaft. Den beiden Alten, Nicolo und Maffeo, mag das genügt haben. Aber Marco war erst gut vierzig Jahre alt. Wie war ihm zumute, als der erste Jubel über die glückhafte Heimkehr vorüber war? Lernte auch er jenes seltsame Gefühlt kennen, unter dem fast alle Weltfahrer nach Vollendung ihrer großen Reise wie unter einer Berufskrankheit leiden: das Gefühl der Leere, des Unausgefülltseins, des Beiseitetretens, wenn sie sich nach Jahren aufregenden Erlebens wieder in die fest gefügten Lebensformen der Heimat einordnen sollen?Marco PoloWir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass er sich drei Jahre nach der Heimkehr nicht weigerte, das Kommando über eine der venezianischen Galeeren zu übernehmen, als die alte Rivalität Venedigs mit den Handelsrepubliken Genua und Pisa wieder einmal einen Höhepunkt erreichte.Im Jahre 1298 rüstete Genua zu einem großen Schlag gegen die venezianischen Besitzungen an der Küste von Dalmatien. Der Genueser Admiral Lamba Doria sammelte Anfang September eine Flotte von hundert Galeeren in den dalmatinischen Gewässern. Bei der Insel Curzola traf sie mit der etwa gleich starken der Venezianer zusammen. Es gelang den Genuesen, am Nachmittag des Kampftages im entscheidenden Augenblick eine für die Venezianer bisher noch nicht sichtbare Reserve von fünfzehn Galeeren in den Kampf zu werfen, und damit wurde das Treffen zu einem entscheidenden Sieg für Genua. Mit wenigen Ausnahmen wurden alle venezianischen Galeeren – einschließlich des Admirals-Flaggschiffs – vom Feinde genommen. Siebentausend Gefangene wurden, in Ketten gefesselt, unter dem Jubel der Bevölkerung in Genua eingebracht. Einer von ihnen war Marco Polo.Welch ironische Fügung des Schicksals: Der Mann, der ein Menschenalter lang allen Gefahren Asiens getrotzt hatte, muss jetzt das harte Los seiner Landsleute in den Kerkern von Genua teilen. Die Nachrichten über die Behandlung der Gefangenen gehen weit auseinander. Die Genuesen behaupten, sie sei den Umständen entsprechend durchaus anständig gewesen, während nach venezianischen Quellen die meisten der Siebentausend an Hunger gestorben sind. Marco Polo scheint im Laufe der Zeit gewisse Erleichterungen erfahren zu haben. Die Genuesen merkten bald, wen sie da gefangen hatten. Auch bei ihnen erregten seine Reiseschicksale begreiflicherweise lebhaftes Interesse, wohl nicht so sehr aus Mitleid als um der handelspolitischen Informationen willen, die für ihren Orienthandel bedeutsam werden konnten. Täglich bedrängten ihn im Gefängnis neugierige Besucher, bis zum Überdruss musste er ihre Fragen beantworten.Marcos Angehörige machten von Venedig aus auf verschiedenen Wegen den Versuch, ihn freizukaufen, aber alle ihre Bemühungen waren vergeblich. So verging ein Jahr und noch eines, ohne dass sich die geringste Aussicht auf Befreiung zeigte. Was ihm höchstwahrscheinlich