Der Elefanten-Tempel. Катя Брандис
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Als sie das nächste Mal hinschaute, angelte ein Rüssel nach der Mango, Sekunden später verschwand die Frucht in Mae Jai Dis Maul.
„Nong, kleiner Bruder, holst du bitte eine neue?“, bat Chanida Tao, und der flitzte sofort los zur Obstkiste – gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass der Inhalt von einem Rüsseltier geplündert wurde.
„Nächstes Mal kannst du bestimmt schon aufsteigen, während Mae Jai Di steht“, erklärte Chanida Sofia. „Der Befehl lautet song suung. Sie hebt dann ein bisschen das Vorderbein und du kletterst daran hoch nach oben. Wenn du wieder nach unten willst, sagst du hab suung.“
Ricarda wurde immer zappeliger. Wann war sie endlich dran? Zum Glück kam kurz darauf Kaeo vorbei und schien zu erraten, was sie dachte, denn er nahm sie mit zu „ihrer“ Elefantin Daeng. Sie war etwas kleiner als die anderen erwachsenen Tiere der Herde und wirkte zurückhaltender, aber freundlich. Wie ähnlich wir uns sind, dachte Ricarda mit einem schiefen Grinsen und fütterte ihre neuen Freundin mit einer Mango. Daengs Rüsselspitze schloss sich geschickt um die Frucht und beförderte sie zum Maul. Ricarda ertappte sich dabei, dass sie immer darauf schaute, was Daengs tastende, schnuppernde, greifende Rüsselspitze gerade machte; ihre neue Freundin zu füttern und ihr gleichzeitig in die Augen zu sehen ging nicht. Das war gewöhnungsbedürftig.
„Wieso heißt sie Daeng, was bedeutet das?“
„Rötliche Haut“, erklärte Kaeo und zeigte auf die vielen rosa Sommersprossen, die sich über Daengs Rüssel, Ohren und Körper zogen. „Leider ist es noch nicht genug, sonst könnte man sie weiß nennen. Ganz weiße Elefanten – Chang Pheuak – haben davon noch viel mehr. Und sie haben auch ganz helle Augen.“
„Weiße Elefanten sind gar nicht weiß, sondern rosa?“ Ricarda war enttäuscht, als Kaeo nickte. Ein rosa Elefant, das sah bestimmt nicht sehr würdevoll aus, sondern eher so wie Sofias Schmuseschwein. Aber diesen Vergleich behielt sie wohl besser für sich.
„Ist es eigentlich immer noch so, dass weiße Elefanten dem König gehören?“
Kaeo nickte respektvoll. „Ja, soweit ich weiß, hat Seine Majestät im Moment zehn von ihnen in den königlichen Ställen.“ Plötzlich grinste er. „Aber weißt du, was lustig ist? Wilde Elefanten selbst mögen weiße nicht, die stoßen sie aus ihren Herden. Manchmal hat man Chang-Pheuak-Babys allein im Wald gefunden, über und über mit Matsch beschmiert. Wahrscheinlich ihre grauen Mamas hatten versucht sie zu tarnen, um sie zu schützen. Hat aber nichts genützt.“
Ricarda war erschüttert. Sie fand das nicht lustig, sondern schrecklich. Es war ein Glück für Daeng, dass sie nicht ganz weiß war.
Jetzt aber los, sie wollte endlich hoch auf Daengs Rücken. Ricarda zog sich die Schuhe aus, sie wusste ja schon so in etwa, wie das mit dem Aufsteigen funktionierte. Doch Kaeo lächelte hinter seiner coolen Sonnenbrille verschmitzt und gab der jungen Elefantin ein Kommando. Ihr Rüssel wand sich um Ricardas Hüfte, fest und unglaublich muskulös, jeder Widerstand war zwecklos. Auf einmal baumelten Ricardas Füße in der Luft.
„He!“, japste Ricarda, aber da war sie schon auf halbem Weg zu einem Sitzplatz auf Daengs Kopf. Sie krabbelte ganz nach oben, und der Rüssel gab sie frei, schlängelte sich zurück. Klar, dachte Ricarda, wer einen Baumstamm heben kann, der schafft ein Mädchen schon lange!
Sie machte es sich bequem auf Daengs riesigem warmen Körper. Ihre Beine hingen jetzt zu beiden Seiten von Daengs Kopf herab, manchmal flappte ein Ohr, das sich wie trockenes, staubiges Leder anfühlte, gegen ihr Schienbein. Hier oben saß man gar nicht so schlecht und sicher besser als auf Daengs Rücken, auf dem sich wie bei den anderen Elefanten ein knochiges Rückgrat weit nach oben wölbte.
Ricarda spürte, dass Daeng abwartete, um zu sehen, was ihre Reiterin vorhatte. Ihr Rüssel ringelte sich nach oben, tastete nach dem Menschen, der auf ihr saß. Leider hatte Ricarda nichts mehr, mit dem sie ihre neue Freundin beschenken konnte, nicht mal eine matschige Mango.
„Was soll ich jetzt machen?“, fragte sie unsicher. Ganz schön hoch oben war sie jetzt, der Erdboden schien sehr weit entfernt. Hoffentlich fiel sie nicht runter, hatte Lampang eigentlich ein Krankenhaus?
„Du sagst ihr mit Füßen und mit Stimme, was sie tun soll“, erklärte Kaeo und schaute zu ihr hoch. „Pai bedeutet vorwärts. Gleichzeitig du drücken sie mit den Zehen hinter dem Ohr.“
Ricarda probierte es aus. Daeng machte einen Schritt nach vorne, überlegte es sich dann wieder anders und blieb stehen.
„Fester mit den Zehen, nicht nur stupsen! Du musst das Kommando anders sagen.“
„Wie denn? Lauter?“ Ricarda hatte das Gefühl, sich gerade ziemlich dämlich anzustellen. Und schließlich hatten ihre Eltern es ihr schon tausendmal gesagt. Sprich doch bitte lauter, Ricarda! Es gab kaum etwas, das Ricarda mehr hasste als diesen Spruch.
Zum Glück überraschte Kaeo sie. „Nein, nicht lauter“, winkte er ab. „Du hast schöne leise Stimme und Elefanten sehr gute Ohren. Aber so sagen, dass Daeng weiß, du meinst es ernst!“
So bestimmt wie möglich wiederholte Ricarda den Befehl und drückte Daeng die Zehen hinter die Ohren. Und diesmal klappte es, gehorsam setzte sich die junge Elefantin in Bewegung. Ricarda spürte, wie sich Daengs große Schultern bewegten, aber es schaukelte nicht sehr, weich federten ihre runden Füße am Boden ab.
„Und, wie es sich fühlt an?“, lachte Kaeo.
Es war der rechte Moment, um die zwei Worte Thai anzubringen, die sie schon konnte. „Sabai sabai – alles prima!“
Zwei Minuten später fiel Ricarda auf, dass Kaeo vergessen hatte, ihr den Befehl für „Halt!“ beizubringen. Daeng marschierte einfach weiter, auf den Pfad zu, der zum Fluss führte. Anscheinend hatte sie Lust, das Bad von heute morgen fortzusetzen.
Von irgendwoher hörte sie Kaeo etwas rufen, aber ob es der Befehl war oder ein Fluch oder sonst was, konnte sie nur raten. Daeng ging noch ein bisschen schneller, sie hatte den Kopf gehoben und wirkte jetzt ausgesprochen gut gelaunt.
„Sag ihr how, drück zusammen die Knie und nimm Zehen weg!“, rief Kaeo ihr jetzt zu.
Ricarda tat es, und tatsächlich, Daeng wurde langsamer, hielt schließlich an. Puh, Glück gehabt.
„Braaav“, seufzte Ricarda auf Deutsch und tätschelte ihre Elefantin. Daeng schnaufte, und dann ertönte etwas, was wie ein kleiner Wasserfall ganz in der Nähe klang. Kaeo sprach mit ihr, aber Ricarda konnte ihn nicht hören, weil das plätschernde Geräusch alles übertönte. Fragend drehte sie sich auf ihrem Hochsitz halb um und sah, dass auf der Erde gerade eine riesige gelbliche Pfütze entstand. Soso, das war also der Sturzbach gewesen.
„Gut gemacht, ihr beiden“, sagte Kaeo und dann durfte Ricarda absteigen. Als sie wieder mit beiden Beinen auf der Erde stand, stellte sie fest, dass ihre Knie zitterten. Außerdem war ihre Wade aufgeschürft von der Haut der Elefantin und ihre Zehen taten weh. Egal! Es war herrlich gewesen. Dankbar klopfte sie Daengs Bein und die junge Elefantin ringelte