Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Читать онлайн книгу Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen страница 15
„Ein paar Tage?“, raunt sie neben mir entsetzt.
Ich bleibe wieder stehen und sehe die Angst in ihren Augen. Ich nehme ihr Gesicht in beide Hände und versuche sie zu beruhigen. „Carolin, sie können mir nichts! Wirklich!“
„Julian will dir etwas unterjubeln“, stammelt sie.
Ich schließe kurz die Augen. Das ist also sein Plan.
„Das wäre schlecht“, raune ich leise und ziehe sie weiter. „Aber ich passe auf. Und Daniel stellt sich mit ihm gut, um ihn etwas zu bespitzeln“, versuche ich ihr erneut die Sorgen zu nehmen.
„Julian weiß, dass du Daniel auf ihn angesetzt hast. Er hat es mir gesagt“, sagt sie daraufhin nur und ich schüttele den Kopf. „Der ist gar nicht so dumm“, brumme ich.
„Bitte sei vorsichtig. Und lass mich bitte noch einmal mit ihm sprechen. Wenn ich nur wieder mit ihm reden muss und etwas nett sein muss, damit er euch in Ruhe lässt, dann mache ich das“, sagt Carolin und mir stockt der Atem. Wenn sie „etwas nett“ zu ihm sein muss?
Erneut braut sich in mir ein Verdacht zusammen, dass Julian ihr nicht nur ein Bruder sein will. Und hatten wir ein ähnliches Thema nicht auch schon bei Tim? Hatte sie mir da nicht auch gesagt, sie muss etwas nett zu ihm sein, damit er glaubt, sie gehört noch ein wenig ihm, damit er uns in Ruhe lässt.
Mir wird übel und die Mandeln rühren in meinem Magen wie in einem Betonmischer.
Wir überqueren die Straße, um kurz darauf in unsere einzubiegen.
„Nein, eher lasse ich mich einknasten“, fauche ich.
Ich ziehe sie im Eilschritt hinter mir her und sie kann nur mit Mühe Schritt halten. Aber ich will nach Hause, hinter uns alle Türen schließen und die Welt ausgrenzen, die ich nicht einschätzen kann. Nichts kann ich mehr einschätzen. Nicht mal mehr das, was Madame Moinette gesagt hat. Meine Welt verliert jeglichen Halt.
Endlich biegen wir in unsere Einfahrt ein. Ich schließe kurz darauf die Haustür auf und ziehe sie hinein, während sie resigniert jammert: „Das lasse ich nicht zu. Erik, ich kann das alles nicht ohne dich. Auch nicht nur ein paar Tage.“
Ich lasse die Tür ins Schloss fallen und atme tief ein, weil ich das Gefühl habe, mir bleibt die Luft weg.
Sie sieht mich aus traurigen Augen an und ich ziehe sie in meine Arme. „Das wäre auch mein Untergang. Ich würde verrückt werden, wenn ich dich hier allein und schutzlos wüsste.“
So stehen wir nur da, halten uns fest und wissen, dass Carolin eigentlich gar nichts anderes übrigbleibt, als ihren Bruder wieder als Bruder in die Arme zu schließen. Aber will er etwas anderes, werde ich ihn ins Jenseits befördern.
Irgendwann meldet sich mein Handy und ich entlasse Carolin verunsichert aus meiner Umarmung, um es aus meiner Tasche zu ziehen.
„Hallo Daniel“, sage ich nach einem Blick auf das Display.
Daniel ist gut gelaunt und aufgedreht und fragt, wo wir stecken und ob wir noch mit ins Alando kommen.
„Ne, wir sind schon zu Hause. Geht man alleine und viel Spaß noch“, raune ich resigniert.
„Ey, die sind alle echt gut drauf. Komm, sei kein Spielverderber. Die machen wegen euch schon blöde Sprüche“, ruft Daniel viel zu überdreht ins Telefon und ich knurre aufgebracht: „Ist mir egal. Wir hatten keine Lust mehr und nachdem Julian es doch noch geschafft hat, Carolin zu bedrohen, sowieso nicht mehr.“ Ich drücke erbost das Gespräch weg und knurre: „Die wollten, dass wir noch ins Alando kommen.“
Carolin betätigt erneut den Lichtschalter, um die Treppe zu beleuchten und geht vor mir hoch zu unserer Wohnung. Oben schließt sie auf und ich lasse die Tür hinter mir wieder ins Schloss fallen und schließe zu. Für heute ist Schluss.
Wir ziehen unsere Schuhe aus und hängen die Jacken auf.
„Magst du auch noch einen Cappuccino oder Tee?“, frage ich und gehe in die Küche. Carolin folgt mir nicht, aber ich setze trotzdem Wasser auf. Als sie wenig später doch erscheint, stehen schon zwei Tassen auf dem Tisch und in ihrer liegt ein Teebeutel und neben meiner stehen das Cappuccinopulver und der Zucker. Aber ich fühle mich von meinen Gedanken erschlagen, die mich alles noch einmal Revue passieren lassen. Der Schreck, als Julian hinter ihr stand und ich in diesem Karussell festsaß, ihre Worte, dass er mich in den Knast bringen will, wohl um sie alleine und ohne meinen Schutz angehen zu können, die Ungewissheit, was er dann mit ihr vorhat und zu guter Letzt die Worte der Hellseherin, das Carolins und meine Zukunft ungewiss ist, weil sie ein dunkles Geheimnis hütet ...
Carolin kommt mit dem heißen Wasser an den Tisch und gießt es in unsere Tassen. Ich registriere das, bin aber wie gelähmt. Mir wird klar, wie hoffnungslos und schwierig unsere Situation ist.
„Was kann ich nur tun?“, frage ich fast stimmlos. „Wegen Julian!“
Carolin setzt sich zu mir und antwortet ziemlich brüsk: „Nichts. Lass ihn einfach in Ruhe. Ich regele das. Wenn er etwas Schwesterngetue von mir verlangt, dann soll er das haben. Hauptsache er lässt dich in Ruhe. Und du schaust, dass er dich und Daniel wirklich mit nichts belasten kann.“ Ihre Stimme hat einen erschreckend rüden Unterton und klingt wütend.
Sie steht auf und geht ins Wohnzimmer zurück. Ich sehe ihr nach, immer noch wie gelähmt. Sie kommt mit ihrem Handy zurück und setzt sich auf ihren Platz.
Ich werfe ihr einen beunruhigten Blick zu.
„Den Zucker musst du selbst nehmen“, sagt sie und zeigt auf meine Tasse, während sie eine SMS eintippt.
Ich kann nur resigniert den Kopf schütteln, als sie sie mir zu lesen gibt. „Julian, du sollst dein Schwesterngetue haben. Aber Erik und Daniel lässt du ganz in Ruhe. Haben die auch nur einmal Schwierigkeiten, dann ist es für immer mit der Geschwisterliebe vorbei. Carolin.“
Dass sie Julian das schrieb, macht mich völlig fertig. Aber ich weiß auch, dass Julian am längeren Hebel sitzt und mir nichts anderes übrigbleibt, als die Lage zu akzeptieren wie sie ist.
Niedergeschlagen raune ich: „Ich habe wirklich gedacht, dass nie wieder jemand so etwas mit mir machen kann.“
Carolin beugt sich vor und während sie mir sanft meine Locken über der Stirn zurückstreicht, sagt sie: „Es ist nicht so schlimm für mich, wie du denkst. Ich komme schon klar, wenn wir beide einfach nur zusammen sein können.“
Sie gibt den immer noch fehlenden Zucker in meine Tasse und rührt um. „Komm Schatz, wir schaffen das! Julian hat mir versichert, er will mir nichts Böses mehr. Und ich glaube ihm das.“
Will sie mich beruhigen?
Wir nippen an unseren Tassen und hängen unseren Gedanken nach. Es gibt nichts mehr darüber zu sagen. Sie hat sich für mich geopfert und ihrem Bruder geschrieben, dass sie bereit ist, ihn wieder in ihr Leben zu lassen, wenn er mich und Daniel dafür in Ruhe lässt. Sollte er ihr aber doch dumm kommen, bringe ich ihn um.
Carolin geht schon bald ins Bett und ich rauche noch eine Zigarette, bevor ich ihr folge. In meinem Kopf schreit alles nach einer Prise Weiß, um das hier ertragen zu können. Aber selbst das kontrolliert Julian jetzt. Einmal und er kann mich schon hochnehmen,