Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Die Narben aus der Vergangenheit

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Ich versuche alle Gefühle aus meinem Inneren zu verbannen und nicht daran zu denken, was das für uns heißen würde. In der Nacht und den ganzen Tag über habe ich den neuen Erik in einen Kerker aus Eis gesperrt und den alten Erik wieder rausgelassen. Der, den kein Gefühl erreichen kann. Aber zu meinem Entsetzen muss ich feststellen, dass die Wut und Gefühlslosigkeit, die diesen Erik zeitlebens beherrschte, längst nicht mehr so tief sitzt.

      „Aber wir brauchen Gewissheit. Es ist egal, was sie sagt. Nichts bringt uns auseinander. Aber wenn es etwas zu bekämpfen gibt, dann will ich das wissen. Und ich will wissen, was das für eine Doppelgeschichte ist“, murre ich und habe auch die alte Stimme wieder, die den alten Erik ausmachte.

      Wir tauchen in das Zelt ein und die junge Frau, die ihre Aufgabe darin hat, die Kunden herein- und hinauszubegleiten und zu kassieren, sieht uns schon entgegen.

      Bevor ich etwas sagen kann, sagt sie mit ihrer klaren, hohen Stimme: „Madame Moinette erwartet euch schon. Ich bringe euch zu ihr.“

      Carolin sieht mich erschrocken an und ich umfasse ihre Hand fester. Diese Frau, zu der wir gehen, weiß natürlich, dass wir kommen. Mich überrascht das nicht. Schließlich ist das ihr Job.

      Die schwarzhaarige Frau sieht uns schon entgegen. Aber ich habe gleich das Gefühl, dass sie unser Erscheinen nicht freut. Ihre Gesichtszüge sind starr und wie gemeißelt.

      Die junge Frau deutet uns, dass wir uns setzen sollen.

      Ich lasse Carolin den Vortritt und setze mich neben sie. Ohne Umschweife frage ich: „Frau Moinette, wissen Sie warum wir hier sind?“

      Sie lehnt sich vor und sieht erst Carolin, dann mir in die Augen. „Erik und Carolin. E+C. Ihr wollt wissen, welche Chance ihr habt. Aber sie hat Angst. Angst vor dem, was ich sagen könnte“, sagt sie und nickt zu Carolin hin.

      Ich werfe Carolin einen schnellen Blick zu, die Frau Moinette nur anstarrt.

      Mich vorbeugend, raune ich: „Ich möchte wissen, ob wir eine Zukunft haben und was ich tun muss, damit wir zusammenbleiben können.“

      Carolin wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.

      Frau Moinette sieht mich lange an, bevor sie antwortet: „Zukunft! Zukunft ist wann? Und wann endet die eine Zukunft und wird zu einer anderen? Du willst wissen, ob dein Schicksal mit Carolins verknüpft ist? Das ist es natürlich. Ihr lebt zusammen, ihr liebt euch. Eure Seelen sind auf eine Weise verknüpft, dass ihr euch finden musstet. Aber du willst wissen, warum Carolin auch ein Leben als Mutter führen kann, wo du wahrscheinlich niemals Vater wirst.“

      Ich setze mich zurück. „Genau.“ Sie spricht aus, was tief in mir wütet.

      „Ich möchte dir etwas erklären“, sagt Madame Moinette an mich gerichtet. „Schicksale sind vorgegebene Zukunftsereignisse, die immer mehrere Menschen und Geschehnisse miteinander verbinden. Deshalb sind sie auch änderbar. Denn jeder hat einen gewissen Grad an Mitbestimmung für seinen eigenen Lebensverlauf. Erik, du hast dein Schicksal, das dir ein glückliches, aber wahrscheinlich kinderloses Leben beschert, wenn du den Weg weitergehst, den du beschritten hast. Ich habe dir im Frühjahr gesagt, dass du in diesem Sommer auf einen Menschen triffst, der dein Leben verändern kann, wenn du es zulässt. Du bist auf Carolin gestoßen. Du hättest dein Leben aber auch so weiterführen können, wie du es vorher getan hast und ihr wärt niemals auf diese Art zusammengekommen. Verstehst du das?“

      Ich nicke, von den schwarzen Augen wie in einen Bann gezogen. Ahnt diese Frau, wie ich vor Carolin war? Oder weiß sie es sogar? Ich hätte Carolin tatsächlich in mein Bett zerren können, um sie wie alle anderen hinterher abzuservieren.

      „Und dass Carolin sich auf dich eingelassen hat unterliegt ihrem Willen, denn sie hat zwei Wege in sich, die sie wählen kann. Der eine war lange Zeit ihr eigentlicher Hauptweg. Aber euer Schicksal ist miteinander verwoben und sie musste auf dich stoßen und eine Entscheidung treffen. Auch das war ihr vorbestimmt.

      Offensichtlich hat sie sich für das Schicksal mit dir entschieden und es somit zur Realität werden lassen. Dass sie das tat, war aber keinesfalls fest vorprogrammiert.“

      Sie wendet sich an Carolin. „Das andere Schicksal in dir ist sehr mächtig und fordert sein Recht auf Erfüllung. Außerdem hängen zwei Männer daran, deren Schicksale wahrscheinlich auch zwei Wege beschreiben. Doch wenn du dich weiterhin für ein gemeinsames Leben mit Erik entscheidest und er diese Entscheidung mitträgt, dann fallen für die anderen beiden der gemeinsame Weg mit dir weg.“

      Carolin fragt neben mir mit tonloser Stimme: „Wenn ich Eriks Schicksal bin, was würde dann mit ihm passieren, sollte ich mich für das andere entscheiden?“

      Ich werfe ihr einen schnellen, aufgebrachten Blick zu. Warum fragt sie das?

      „Das kann ich dir nicht sagen. Wenn er dann zu mir kommen würde, könnte ich den Weg sehen, den sein Schicksal dann nimmt. Da du ein Doppelträger bist, ist es besonders schwer klar zu sehen, was passieren wird und was das Schicksal dann für Erik bereithält.“

      Sie wendet sich an mich: „Ich kann zu diesem Zeitpunkt nicht klar erkennen, ob ihr zwei zusammenbleibt und was für dich vorgesehen ist. Es ist alles wie in einem dunklen Meer eingeschlossen und ich kann nicht bis auf den Grund des Wassers sehen. Ich sehe nur dein jetziges Leben mit Carolin und dass auch noch etwas anderes für sie vorgesehen ist.“

      „Aber hat dann nicht jeder mehrere Schicksale in sich?“, fragt Carolin.

       Madame Moinette scheint einen Augenblick unentschlossen zu sein, was sie uns sagen soll, beginnt dann aber: „Wir haben alle einen festen Plan, dem wir folgen sollen. Es gibt Bestimmungen im Leben, die wir trafen, als wir dieses Leben wählten und welche, die uns auferlegt werden, während wir dieses Leben zu meistern versuchen. Ich kann nicht immer klar erkennen, was uns vorbestimmt ist und was wir selbst steuern. Ich kann es nur zu interpretieren versuchen. Und die Doppelträger bringen alle vorgegebenen Wege immer wieder ins Wanken, und erschweren uns das Sehen und Deuten erheblich, denn in ihnen leben wahrscheinlich zwei Seelen, die ihren Weg suchen. Genau wissen wir das nicht. Auch uns offenbart sich nicht alles und in seiner ganzen Klarheit.

      Bei dir, Erik, sehe ich ein dunkles, graues Leben, das du aber dem Licht zuführen sollst. Das wurde dir aber erst möglich, als du auf Carolin getroffen bist. Darum setzt du alle Hoffnung in sie und deshalb glaube ich, dass Carolin für dich ein fest vorgegebener Weg für dein Leben ist. Das ist, was ich jetzt sehen kann. Aber irritierend ist für mich der Punkt, dass zum jetzigen Zeitpunkt deine Kinderlosigkeit seltsam hervorsticht. Ich weiß nicht warum, und auch nicht, wieso das so vordergründig erscheint. Es drängten sich schon oft bei meinen Sitzungen Kinder in meine Wahrnehmung, aber noch nie Kinderlosigkeit. Und ich spüre klar, dass du niemals auch nur einen Gedanken an Kinder verschwendet hast und daher kein übergeordneter Kinderwunsch präsent ist.“

      Ich starre in die Augen der Frau vor mir. Ich verstehe diese Kindergeschichte auch nicht und dass mit den Doppelschicksalsträgern ist der pure Wahnsinn! Sie bringen den Verlauf der Welt ins Wanken und Carolin soll so eine sein?

      „Und bei dir, Carolin“, wendet sie sich von mir ab, „drängen sich diese Kinder in den Vordergrund, obwohl ich bei dir einen enormen Widerwillen gegen Kinder spüre. Aber du bist Doppelträger. In dir ist etwas, was dich leitet und in eine bestimmte Richtung drängen will … zu einem bestimmten Weg.“ Sie klingt verstimmt, als sie leiser raunt: „Eure Geschichte … das, was ich sehe und was ich bei dem Doppelträger, der vor euch bei mir war, sah, irritiert mich. Es ist auch mit ihm eine Seelenverwandtschaft vorhanden, aber in einem für mich unerklärlichen Zusammenhang. Ich bin damit etwas überfordert. Aber ich versuche

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