Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Читать онлайн книгу Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen страница 16
Ich ziehe mich aus und schiebe mich zu ihr unter die warme Decke. Sie zieht mich an sich und legt ihre Arme um mich. Offenbar ist mir nicht mal böse, dass ich einfach nicht in der Lage bin, sie zu beschützen und mein Leben sie zu Dingen zwingt, zu denen sie niemals gezwungen werden sollte. Es wäre so, als müsste ich Freundschaft mit Daniela, dem Kindermädchen von damals, schließen, dass mich als fünfjährigen entführte und mir die Brust zerfetzte. Undenkbar.
Ich seufze leise und verdränge den Gedanken.
Sofort schiebt sich Madame Moinette in meinen Kopf und was sie mir sagte. Carolin wird entscheiden, ob wir zusammenbleiben und etwas versucht sie dazu zu bringen, dass sie mich verlässt.
Mir schießt sofort Julian in den Kopf.
Außerdem werde ich nie Kinder bekommen. Madame Moinette war selbst überrascht, warum das so deutlich hervorstach.
Für mich hat das keine Wichtigkeit. Überhaupt keine.
Ich liege auf Carolins Brust und horche auf ihren Herzschlag. Ellen schiebt sich in meinen Kopf, wütend und aufgebracht aus dem Zelt der Hellseherin stampfend und brummend: „Was für ein blödsinniger Kauderwelsch. Ich habe nichts von dem verstanden, was sie gebrabbelt hat … außer das mit den Kindern.“
Mir stockt der Atem, und ich erstarre innerlich. Plötzlich wird mir eiskalt.
Carolin streicht mir durch das Haar und ich sehe auf. Der seichte Schein der kleinen Nachttischlampe lässt ihre Augen funkeln und sie erwidert meinen Blick.
„Carolin?“, frage ich und mir stockt jetzt schon der Atem.
„Ja?“
„Sagst du mir, was die Hellseherin dir gesagt hat?“, flüstere ich.
Carolin zögert und raunt dann vorsichtig: „Ich glaube, das sollten wir besser nicht.“
Ich schiebe mich noch dichter an sie heran und frage: „War es so schlimm?“
„Ich weiß nicht! Ich habe nicht viel von dem verstanden, was sie sagte“, antwortet sie zurückhaltend.
Ich sehe wieder auf. „Beantwortest du mir wenigstens eine Frage … ganz ehrlich?“ Ich kann es einfach nicht dabei belassen.
Sie sieht mich an und nickt unschlüssig.
„Hat sie etwas über Kinder gesagt? Ob du mal welche bekommst, meine ich“, frage ich, und meine Stimme klingt wie ein verstimmtes Klavier.
Sie antwortet nicht und ich schiebe mich auf meine Ellenbogen, um sie ansehen zu können. Ich überfliege ihr Gesicht nach einer Regung, die mir eine Antwort gibt.
„Zwei“, sagt sie plötzlich und unerwartet.
Ich lasse mich auf den Rücken fallen und schließe betroffen die Augen. Jetzt weiß ich, warum das mit meiner Kinderlosigkeit so wichtig ist. Die Einsicht nimmt mir den Atem, raubt mir meine Energie und den Verstand. „Verdammt!“
„Warum?“, fragt Carolin und ist sichtlich erschrocken über meine Reaktion.
„Keine Kinder“, antworte ich nur, als hätte sie mir die gleiche Frage gestellt.
An ihrem Gesicht sehe ich, dass ihr gerade klar wird, was das heißt. Wir haben keine gemeinsame Zukunft. Unsere Liebe ist zu Ende, bevor sie richtig beginnt.
Ich möchte aufspringen und fliehen, mich in meinen Panikraum einschließen und für immer alles vergessen. Und wirklich für immer. Bevor ich ertragen muss, dass sie mich verlässt.
„Warte!“, ruft Carolin plötzlich, als hätte sie eine unglaubliche Idee. „Ich bin Doppelträger!“
„Was?“, frage ich verständnislos und spüre einen Schmerz durch meine Eingeweide kriechen, als wäre schon heute alles für uns vorbei.
Carolins Gesicht leuchtet auf und ihre Augen glänzen wie im Fieber. Sie wirft sich lachend auf mich. „Oh Mann, das ist die Lösung!“
Ich lege locker meine Hände auf ihren Rücken, als könne ich mich an ihr verbrennen. Ihren Stimmungswechsel kann ich nicht nachvollziehen. In mir ist alles, als läge es im Sterben.
„Ich bin Doppelträger, hat sie gesagt. Das heißt, ich habe zwei mögliche Schicksale, die sich erfüllen können. Und eins ist mit zwei Kindern und ohne Liebe und mit ganz viel Hass und Ärger“, erklärt sie völlig überdreht. „Aber das andere ist mit keinem Kind, Liebe, Verbundenheit durch schlimme Vergangenheit … Das bist du! Erik, sie meinte dich damit!“, ruft sie übermütig und sich vollkommen sicher. „Mein zweites Schicksal bist du! Ist ja logisch!“ Sie schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
Ich sehe sie nur verständnislos an. „Was, wie? Ich? Aber du sagtest … zwei Kinder“, raune ich verunsichert.
„Nur, wenn sich das Schicksal erfüllt, das ganz schlimm für mich ist und das ohne richtige Liebe sein wird. Aber es gibt ein weiteres, das für mich vorgesehen ist und das ist ohne Kind und mit dir. Ich will keine Kinder. Ich will nur dich! Jetzt verstehe ich, was sie mir gesagt hat“, sagt Carolin mit leuchtenden Augen.
„Und das erste Schicksal mit den zwei Kindern ist wer?“, frage ich betroffen.
Sie stutzt. „Keine Ahnung. Für mich nicht relevant. Sie hat gesagt, dass es dort nur Hass und keine Liebe gibt“, antwortet sie atemlos. „Erik, sie meint, dass wir eine Zukunft haben! Wir beide!“
Ich sehe sie verunsichert an und in mir schreit alles danach, ihr glauben zu wollen. Alles andere ist zu unerträglich. Aber wie soll ich das glauben? Wie das verstehen? Und das mit den Doppelträgern? Hat Carolin sich das gerade ausgedacht, um mich zu beruhigen?
„Ich glaube, ich will das noch mal ganz genau von ihr wissen. Ich gehe noch einmal zu ihr“, murmelt ich nur.
Carolin nickt nur und zieht mich wieder an sich.
Ich schlinge meine Arme um ihren schmalen Körper und sehe noch einmal vorsichtig in ihr Gesicht. Aber alle Anspannung scheint von ihr abgefallen zu sein. Sie sieht fast glücklich aus.
Das verunsichert mich noch mehr, weil sie sich scheinbar plötzlich ganz sicher ist, recht zu haben. Und mir wird klar, wie sehr ich mir das wünsche. Aber mir reicht eine Vermutung nicht. Ich brauche Gewissheit.
Am Sonntagabend ziehe ich Carolin erneut zu dem Zelt der Wahrsagerin. Es ist schönstes Herbstwetter und dementsprechend sind viele Menschen auf der Kirmes, die sich durch die Gänge schieben.
Mir ist es recht. So bleiben wir unerkannt. Denn ich habe nur ein Ziel, was mich auf die Kirmes treibt … und das hat nichts mit dem zu tun, was all die anderen Menschen hier wollen.
„Okay, und du gehst mit, ob du willst oder nicht“, brumme ich und dulde keine weitere Ausrede, füge aber noch ein „Bitte“, hinzu.
Carolin sieht mich fast schon panisch an. Sie will nicht noch einmal zu dieser Frau gehen. Ihr reicht ihre Einsicht vollkommen aus. Mir aber nicht.
„Erik, ich habe Angst. Was machen wir, wenn sie uns nichts Gutes zu sagen hat?“, fragt sie plötzlich. Also ist sie sich doch nicht ganz sicher.
Ich