Fröhlich durch den Weltuntergang. Julianne Becker
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Die eigentliche Frage ist doch, macht das Asylrecht in dieser Form überhaupt noch Sinn, wenn potentiell viele Milliarden Menschen weltweit lieber in einem Land leben wollen, in dem so stabile und relativ freie Verhältnisse herrschen und Milch und Honig fließt - so wie bei uns? Vor allem, wenn das einzige wirkliche und recht unfaire Auswahlkriterium darin besteht, ob sie es lebend bis zu uns schaffen? Und da sprechen manche Landsleute immer noch von einer 'Willkommenskultur'. Das klingt doch eher wie ein perfides, menschenverachtendes Spiel - oder?
Mit den männlichen Jugendlichen unter den Flüchtlingen aus den akuten Kriegsgebieten verhält es sich ganz anders. Sie sind eigentlich vor allem Kriegsdienstverweigerer. Das macht sie leider auch noch nicht zu Friedensaktivisten oder zu Mitbürgern, die das Grundgesetz automatisch zu ihrer Lebensgrundlage machen werden. Wäre ich dort Mutter, ich würde auch mein ganzes Geld zusammenkratzen, um meine Söhne in Sicherheit zu bringen! Na klar doch! Allerdings, und da kannst du dich drauf verlassen: Auch meine Töchter, unterschiedslos! Und ihre Töchter? Die sind ja scheinbar weniger gefährdet, sie werden ja höchstens vom IS vergewaltigt, verschleppt und verkauft. Oder bei Angriffen getötet. In der Altersgruppe der unbegleiteten Jugendlichen, die ich 2016 in Deutsch unterrichten durfte, gab es unter zwanzig Jungs kein einziges Mädchen.
Keiner der Flüchtlinge kommt, weil er unsere Kultur und unsere Demokratie so toll findet und deshalb mit uns leben will. Oder weil er unsere Grundrechte respektiert. Wahrscheinlich hatte er bisher weder Zeit noch Interesse, sich überhaupt damit zu befassen. Und warum sollte es ihn überhaupt interessieren? Die Jungs sagten mir immer wieder, ihr Ziel sei: Sie wollen die Familie zusammenbringen. Und dann ginge es schon irgendwie weiter. Ich schlug vor, dass sie doch erst einmal selbst einen Beruf erlernen und ausüben sollten, dann könnten sie ihre Familie doch auch selbst versorgen, wenn sie käme. Diese Idee schien ihnen verwunderlich, doch der Beruf interessierte sie dann doch. Mittlerweile sind sie alle auf einem guten integrativen Weg, soweit ich gehört habe. Und darüber freue ich mich aufrichtig.
Die Zusammenballung und längere Unterbringung von erwachsenen Flüchtlingen und Asylanten birgt viel zusätzlichen Zündstoff. Untereinander verfeindete Gruppen treffen in unseren Aufnahmeheimen aufeinander und setzen dort natürlich auch ihr bisheriges Konfliktverhalten fort. Was denn sonst? Und mal ehrlich, stell dir vor, du nimmst aus unserer eigenen Kultur eine repräsentative Auswahl von jungen Männern (Sonderschule bis Abitur) direkt nach der Schule und steckst sie ans Ende der Welt, wo es ihre Eltern und ihre Mädchen und die soziale Kontrolle ihrer Familie nicht gibt, aber auch überhaupt nichts zu tun. Sie sind zwar materiell versorgt, treten aber auf der Stelle, warten auf Genehmigungen, Anerkennungen und Zulassungen und dass es weiter geht in ihrem Leben. Nur ein paar einheimische Mädchen gibt es, die aber sind unehrenhaft. Das sieht man schon daran, wie sie sich kleiden und wie offen und freizügig sie sich fremden Männern gegenüber geben. So ist das, wenn eine Kultur plötzlich in eine ganz andere eingepflanzt wird.
Und als Flüchtling erinnerst du dich, dass die Schlepper dir erzählt haben, dass die Deutschen aussterben, die deutschen Männer könnten keine Kinder mehr zeugen, sie hätten nie mehr als zwei Kinder, oft nur eins oder gar keine. Die deutsche Regierung wolle deshalb, dass sie wegen des Rückgangs der Geburtenrate kommen und viele Kinder zeugen. Da hilft man doch gerne! Das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern so im Internet gefunden. Und verlass dich drauf, die haben alle ein Handy und Internet! Nun, was glaubst du denn, auf welche Gedanken man als junger Mann im Rudel kommt? Müßiggang ist aller Laster Anfang, sagt ein Sprichwort. Gerade der junge Mensch muss sich beweisen können, muss sehen, dass es in seinem Leben weitergeht. Der Tatendrang ist groß. Wir setzen da auf ganz falsche Anreize! Und von den fünftausend Flüchtlingen, die einfach ganz in unserem Land untergetaucht sind, ist überhaupt nicht die Rede. Wovon leben die? Wer versteckt sie? Was tun sie?
So lange die Verhältnisse bei uns stabil bleiben, wird das gehen. Aber stell dir bitte den Zündstoff einer Situation vor, wenn die Versorgung für alle ausfällt, Deutsche wie Flüchtlinge, sagen wir, für drei Tage bis drei Wochen. Ich mache mir dabei weniger Sorgen um die Flüchtlinge, denn die haben die letzten Monate und Jahre das Überleben trainiert, sie haben sich vernetzt und werden ihren Weg finden. Eher um den Frieden im Land und um die behüteten, arglosen Deutschen, die es nicht mehr gewöhnt sind, plötzliche, ungewöhnliche Situationen zu meistern und im Chaos zu überleben.
Übrigens stand mit der ersten Flüchtlingswelle eine App zur Verfügung, die einen beliebigen deutschen Text ins Arabische übersetzt, und nur für die Übersetzung vom Deutschen ins Arabische gedacht war, und nicht umgekehrt. Das entdeckte ich zufällig, als ich den Deutschunterricht für meine syrischen Jugendlichen vorbereitete. Es verblüffte mich schon sehr. Ein Schelm, wer Böses denkt. Du hältst einfach dein Handy so vor ein Schild, als würdest du den Text fotografieren und das Handy zeigt dir dann die arabische Übersetzung der deutschen Worte im Bild. Ich glaube, es wäre Zeit, dass diese App auch das für alle Sprachen kann: Ich will auch mein Handy auf irgendeine Schriftsprache halten können und die Übersetzung lesen!
Mich wunderte, dass diese App nur für den arabischen Sprachraum und mit Hinblick auf die deutsche Sprache programmiert wurde. Wer entwickelt so eine App genau zeitlich passend? Und wenn schon, dann will ich einen Simultan-Übersetzer als Ohrstöpsel, so dass ich auch wieder die vielen fremden Sprachen verstehe, die neuerdings um mich herum gesprochen werden, und wenigstens merke, wenn da über mich geredet wird. Und vor allem was. Ihre fremde Sprache entzieht diese Menschen der sozialen Kontrolle. Und die ist es eigentlich, die uns das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Wenn ich schon im Vorbeigehen an einer Gruppe höre, sie unterhält sich friedlich und privat, gibt mein psychisches Immunsystem nämlich sofort Entwarnung. Sonst hält es mich weiter in Alarmbereitschaft und das stresst. Die Gruppe könnte mich auch überfallen wollen. Oder etwas anderes zusammen planen, was mir und meinen Mitbürgern schadet. Diesen Stress erlebe ich auch bei Motorradgruppen in Lederklamotten, keine Ahnung warum. Schon die Geräuschkulisse macht mich ganz kirre. Laute orientalische Musik und Heavy Metal in der Öffentlichkeit haben übrigens bei mir den gleichen Effekt.
Ich springe auch mal ins kalte Wasser. Ich erwähnte bereits, dass ich die Flüchtlingsfrage hautnah erlebte. Ich unterrichtete drei Monate lang zwanzig männliche Jugendliche in Deutsch, dann ging ich in die Knie. Ich bin gerne für den Deutschunterricht eingesprungen, obwohl es nicht mein Fach war. Doch bald war mein Vorgehen den Jungs nicht gut genug für ihre Ansprüche. Sie wussten einfach besser, wie ich sie zu unterrichten hatte. Mit dem Ende des Schuljahrs war mein Einsatz zu Ende. Ich glaube, alle Beteiligten haben aufgeatmet. Natürlich hatte ich diese halbstarken syrischen und afghanischen Jungs gleich in mein Herz geschlossen und sie benahmen sich eigentlich auch nur wie Deutsche in diesem Alter. Nach fünfundzwanzig Jahren Unterricht bei oft hohem Ausländeranteil aller Herkunftsländer bin ich davon überzeugt: Wir sind alle einfach nur Menschen. Trotzdem muss man Entwicklungen benennen dürfen, die nicht so gut laufen, ohne gleich niedergebuht zu werden und pauschal als ausländerfeindlich ausgegrenzt.
Da wo Flüchtlinge der Schulpflicht unterliegen, sehe ich gute Chancen auf Integration, zumindest, wenn sie dann auch einen Job finden: Nach ein paar Jahren werden sie unsere Werte kennen und schätzen lernen. Und vor allem viele Kontakte und Erfahrungen mit Einheimischen gemacht haben bis hin zu gemeinsamen Partys in der Shisha-Bar. Probleme sehe ich eher dort, wo Menschen isoliert in Unterkünften auf ihr weiteres Schicksal warten. Wo sie die Macht der unbestechlichen deutschen Bürokratie kennen lernen. Oder Parallelgesellschaften aufbauen. Wir benehmen uns in deren Wertebereich wie Opfer, die man ausnutzen und austricksen kann. Sie lernen schnell, dass sie hier einen Anspruch haben, oder eben nicht. Und benehmen sich eben auch anspruchsvoll. Wer könnte es ihnen verdenken?
Du glaubst mir nicht? Warum geht es beim Thema 'Flüchtlinge' immer wieder um Retter, Opfer und Täter? Weil wir auch kollektiv gerade lernen, was in der friedlichen Konfliktlösung längst bekannt ist: Wer in das Täter-Opfer-Retter-Dreieck einsteigt, hat schon verloren, er wird hinein gezogen in den Konflikt und hat das Nachsehen. Eine Mediation sollte unbedingt das TOR vermeiden, denn wer durch dieses TOR geht, wird unweigerlich alle drei Rollen erfahren/erleiden,