Die Therapie entdeckt die Familie. Dr. med. Günther Montag

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Die Therapie entdeckt die Familie - Dr. med. Günther Montag

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Nicht nur du, sondern auch die anderen dürfen so sein und sich so zeigen, wie sie sind.

      Es ist auch eine Erweiterung der Trauma-Therapie, da es sich auch mit Traumen Anderer beschäftigt, deren Folgen wir tragen.

      Seit den Siebzigern bekannt sind traditionelle systemischen Verfahren (z.B. das „Psychodrama“ nach Moreno oder die „Familienrekonstruktion“ nach Virginia Satir), die sich weitgehend mit dem „Sichtbaren“ in einer Familie beschäftigen, z.B. mit den Personen, die nun gerade in einem Haus zusammenleben.

      Als Erweiterung dazu geht die moderne systemische Arbeit auch noch weit über die sichtbar anwesenden Personen der Familie hinaus. Sie öffnet uns für eine Achtsamkeit gegenüber abwesenden, sogar gegenüber verstorbenen, aber energetisch noch anwesenden Personen aus unserer Familie und ihrem Umkreis, für die wir vielleicht unbewusst stellvertretend handeln und leben.

      Aufgrund ihrer Tragweite und der bahnbrechenden neuen Perspektiven behandle ich diese neuen Formen der systemischen Strukturaufstellungen oder Familienaufstellungen besonders ausführlich. Sie verbinde uns mit heilenden Kräften in uns oder außerhalb von uns (energetische Arbeit) – und heilen tiefe Verletzungen (Traumen), auch solche die unbewusst von früheren Generationen übernommen wurden.

      Diese Arbeit führt über das mit Worten Beschreibbare hinaus, ergibt neues Wissen über das achtsame Helfen über die Therapie hinaus auch im Bereich der Pädagogik und Organisationsberatung, und neue philosophischen Sichtweisen. Ein Pionier unter den Buchautoren und Lehrern auf diesem Gebiet ist der durch die „Familienaufstellungen“ bekannte und 2011 für den Friedens-Nobelpreis nominierte Bert Hellinger.

      Das Stellvertreter- Phänomen

      Wir können die Wirkungsweise der systemischen Wahrnehmung und Heilung nur verstehen, wenn wir über zuerst das „Stellvertreter- Phänomen“ Bescheid wissen.

      Wenn wir Kindern beim Spielen zuschauen, sehen wir oft, wie sie mit Hingabe in einer Rolle aufgehen und sich exakt mit vielen Einzelheiten in Andere einfühlen können. Was sie da spielen, können sie manchmal gar nicht gewusst haben. Auch im Ernst gehen manche Kinder fast völlig in Stellvertreter- Rollen auf. In manchen Familien vertreten Kinder unbewusst jemanden aus ihrer Familie.

      Kann das Stellvertreter- Phänomen Kinder krank machen?

      Ja. Das Stellvertreten wirkt sich besonders dann zum Schlimmen aus, wenn das Kind eine Person vertreten muss, die ein schweres Schicksal hatte. Solche Personen werden in vielen Familien „ausgeklammert“, das heißt, manchmal verachtet, manchmal nicht mehr bewusst wahrgenommen, vergessen, obwohl sie doch dazugehören. Das kann ein früh verstorbener Großvater oder Großmutter sein, ein früherer Partner von Vater oder Mutter, oder eine früh verstorbene Schwester oder Bruder, ein abgetriebenes Kind oder ein Zwilling der nicht bis zur Geburt am Leben blieb. Das Kind fühlt wie die ungesehene Person und lebt wie sie. Als ob es diese Person unbewusst genau wahrnehmen würde und als ob es innerlich sagen würde „ich lebe jetzt an deiner Stelle – ich mache das alles jetzt für dich“. Oder „ich bin wie du – ich bin wie tot“. Dieses Vertreten, man sagt dazu auch Identifizierung, kann eine tiefe Ursache für Verwirrung, Unruhe, seltsames Verhalten, Schwermut, und auch körperliche Krankheit und eine Neigung zu Unfall und Selbstmord sein.

      Versuchen die Kinder damit, jemanden zu retten?

      Es scheint so. Es gibt ein archaisches (sehr altes) Denkmuster, dass man durch Opfer jemanden retten kann. In vielen Märchen kommt solches Denken vor. Dieses Denken wird durch manche Aspekte der Religionen gefördert. In vielen Religionen gibt es die Vorstellung, durch ein Opfer den Willen Gottes oder der Götter zu beeinflussen. Wir nennen uns zwar aufgeklärt und halten mit unserem bewussten Verstand so etwas für Unsinn. Aber im Unbewussten wirkten solche Vorstellungen weiter. In der psychoanalytischen Sprache nennt man dieses Denken „magisches Denken“ (Darum dichtet man in der Skriptanalyse Märchen manchmal um, um sie ad absurdum zu führen.).

      Was bewirkt das Stellvertreten wirklich?

      Die Grundhaltung „ich für dich“ führt zu keiner Lösung, auch nicht wenn diese Kinder erwachsen geworden sind. Es gibt etwas wie ein Naturgesetz, dass Spätere nicht durch ein Opfer auf Frühere zurückwirken können und dürfen. (Dieses Naturgesetz ist eine der „Ordnungen der Liebe“.) Im Gegenteil, das Verwechslungs- Spiel geht weiter in die nächste Runde. Kinder der nächsten Generation übernehmen eine solche Verstrickung von ihren Eltern, so als würden sie heimlich denken „ich auch“ „ich für dich“ oder „lieber ich als du“. Sind unsere Kinder solche Kinder? Sind wir selbst solch ein Kind?

      Kann man das „Stellvertreter- Phänomen“ erklären?

      Immer wieder erstaunt uns die genaue Wahrnehmung der Stellvertreter, die auch schon in wissenschaftlichen Studien belegt ist, und die nicht physikalisch oder kognitiv erklärbar ist, denn die Stellvertreter haben ja keine Information – weder in Familien, wo man ja oft die Geheimnisse verschweigt, noch in der experimentellen Form, dem Familienstellen. Ein Versuch, es zu erklären, ist die Vorstellung eines Kraftfelds, das Informationen überträgt. Etwas ähnliches ist ja das elektromagnetische Feld, also die Radiowellen, bei Funk, Fernsehen, Handy oder W-Lan. Der Biologe Rupert Sheldrake beschreibt solche Felder bei den Pflanzen und Tieren. Jeder Mensch hat ein solches Kraftfeld, jede Familie hat ein gemeinsames Feld, und auch jede Gruppe. Es wirkt auch über weite Entfernung und auch über den Tod hinaus. Denken wir an die Berichte aus dem Krieg, vielleicht auch von unseren Großeltern, wo die Familie eines Soldaten über tausende von Kilometern hinweg Verletzungen, Tod, oder auch die erstaunliche Rettung ihres Sohnes oder Bruders oder Mannes genau zur gleichen Zeit gefühlt hat.

      Wo noch, außer in Familien, wirkt das Stellvertreter- Phänomen?

      Das Grundprinzip „jemand der später in eine Gruppe gekommen ist, muss einen Früheren vertreten, der ausgeschlossen oder nicht geachtet wurde“ zeigt sich nicht nur in Familien, sondern auch im Berufsleben. Spätere Mitarbeiter in einer Firma übernehmen zum Beispiel unbewusst Gefühle eines zu Unrecht vergessenen, verachteten oder ausgeschlossenen Erfinders oder Gründers oder früheren Mitarbeiters und verhalten sich wie er. Oder sie „vertreten“ jemanden, auf dessen Kosten die Firma sich unrechtmäßig bereichert hat. Oft spiegelt sich eine Familienkonstellation eines Mitarbeiters am Arbeitsplatz wider. Als würde dieser Mitarbeiter unbewusst seine Familienaufstellung inszenieren – mit seinen Kollegen als Stellvertretern. Auch in einer Gruppe von Helfern, die über Patienten spricht (z. B in Balint-Gruppen oder Supervisionsgruppen) beobachtet man, dass Teilnehmer sich mit unterschiedlichen Personen oder Gruppen aus der Familie des Patienten identifizieren. Somit können manche Patienten in einer Klinik das therapeutische Team spalten.

      Kann man diesen Zusammenhang, der krank macht, umkehren zum Heilen?

      Das Stellvertreter- Phänomen ist also nichts Neues. Das Neue ist nur, es wird bei den Aufstellungen bewusst und experimentell eingesetzt. Ohne es wären die Aufstellungen überhaupt nicht möglich. Das Stellvertreter-Phänomen hilft bei den Aufstellungen indirekt als Diagnostikum und auch direkt durch Fernwirkung zum Heilen. Das Kraftfeld der Aufstellung ist mit dem Feld der wirklichen Familie in Verbindung. Wir erfahren diese Verbindung als zweiseitig. Von der Familie fließt Information zu der aufstellenden Gruppe. Und von der Aufstellung gehen ordnende Impulse auf die wirkliche Familie aus.

      Diese Phänomene zu verstehen, zu achten und ernst zu nehmen, ist eine Vorbedingung um sinnvoll systemisch zu arbeiten.

      Ich

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