Tote Models nerven nur. Vera Nentwich

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Tote Models nerven nur - Vera Nentwich

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dem Gedanken an meine Eltern laufen mir gleich die Tränen meine Wangen hinunter. Ich wische sie mit meinem Ärmel ab. »Ach Mama. Ach Papa.« Wie oft habe ich schon überlegt, was in meinem Leben anders gelaufen wäre, wenn ich meine Eltern nicht verloren hätte. Meine Oma ist wirklich toll und immer für mich da, aber so manches Mal habe ich mir einen Vater gewünscht.

      Mein Vater war mein Held. Sportlich. Er sah super aus. Meine Freundinnen waren immer total neidisch. Er war Ingenieur und arbeitete in Düsseldorf an wichtigen Projekten. Als dann im Dorf erzählt wurde, er hätte den Unfall verursacht, weil er betrunken gefahren sein sollte, brach eine Welt für mich zusammen. Das konnte nicht sein. Oma sagte immer, ich sollte nicht auf das Geschwätz der Leute hören. Vater würde nie betrunken Auto fahren. Aber die Leute hörten nicht auf, dies zu behaupten. Dann fing auch noch Judith damit an. Wir waren damals unzertrennlich. Beste Freundinnen. Aber als auch sie behauptete, mein Vater sei an allem schuld gewesen, war es damit vorbei.Ich muss kurz dem Reflex widerstehen, ihrem leblosen Körper einen Tritt zu verpassen. »Ach Papa, ach Mama, ich vermisse euch so.«

      Vielleicht sollte ich mich doch etwas mehr mit den aktuellen Problemen befassen. Schließlich stehe ich neben einer Leiche. Noch dazu der Leiche einer Person, bei der jeder davon ausgeht, dass ich sie umgebracht habe. Ich sollte also etwas tun. Nur was? Ich könnte Jochen anrufen. Er ist Polizist und weiß sicher, was zu tun ist. Schließlich sitze ich ja wegen ihm in diesem Schlamassel. Hätte er nicht von mir verlangt, mich bei Judith zu entschuldigen, wäre alles in bester Ordnung. Entschuldigen? Wegen ein paar Fotos bei Facebook und eines Blogartikels? So ein Kinkerlitzchen. Ich schreibe ja schließlich nicht für den Stern. Aber Betty hatte mich ja auch gewarnt.

      Nach dem Besuch am Grab meiner Eltern war mir nach einem netten Gespräch gewesen. Und zu Abend hatte ich auch noch nicht gegessen. Das schrie nach einem Abstecher zu Betty. Lag ja praktisch auf dem Weg.

      Richtung Brunsgarten musste ich unweigerlich über die Weststraße. Die Schöllers wohnen auf der Weststraße und ich erblickte den Aston Martin des Spaniers schon von weitem. Meine Neugier ließ mich anhalten, das Fahrrad abstellen und zum Haus der Schöllers schleichen. Verrückt – als ob sie mich hätten sehen können. Ich schüttelte gerade über mich selbst den Kopf und wollte wieder aufs Fahrrad steigen, als sich am Haus der Schöllers etwas tat. Der Spanier stürmte heraus und hinter ihm Judith. Sie schien wieder fit zu sein. Und alle dachten, ich hätte sie krankenhausreif geschlagen. Das musste ich korrigieren und kramte mein Handy aus der Tasche. Die beiden stritten heftig. Er schrie etwas auf Spanisch und sie schrie zurück.

       »Es ist meine Familie!«, konnte ich verstehen, als ich auf den Auslöser der Handykamera drückte. Es blitzte. Mist, wieso blitzte dieses blöde Ding. Es war doch noch gar nicht dunkel. Judith und Jago sahen erschrocken in meine Richtung. Hastig steckte ich mein Handy ein, stieg aufs Fahrrad und trat so kräftig in die Pedale, wie ich nur konnte. Jago kam auf mich zugerannt, konnte mich aber nicht mehr erreichen. Ich streckte ihnen als Abschiedsgruß den Mittelfinger entgegen. Sollten sie sich nur aufregen. Das Foto würde der Hit bei Facebook. Von wegen Traumpaar.

      »Ach Biene.« Auch Betty seufzte. Ich hatte ihr nur meinen Schnappschuss gezeigt. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch und hängte es an einen Haken. Wie immer trug sie Jeans und ein langes Shirt, das ihre ausladenden Hüften etwas schmälerte. Früher haben wir sie immer gehänselt und behauptet, dass sie auf dem Fahrrad zwei Rückleuchten benötige, für jede Pobacke eine – wegen Überbreite. Ihrem Selbstbewusstsein hatte dies aber nicht geschadet. Im Gegenteil, sie ist Muttertier durch und durch. Ihre braunen Haare sind meistens mit einem einfachen Gummi zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden. Der wackelte neckisch, als sie sich wieder mir zuwandte und mir ihren besorgten Blick zuwarf.

       »Guck nicht so! Ich sage dir, bei denen ist irgendetwas im Busch.«

       »Ja, ja.« Betty schob mich aus der Küche in Richtung ihres Handarbeitszimmers. Sie macht gar keine Handarbeiten. Dieses Zimmer ist viel mehr ihr Rückzugsort, wenn selbst ihr als geborenem Muttertier die Familie mal zu viel wird. Und das kommt öfter vor, als man es vermuten würde. Sie schubste mich auf die gemütliche Couch, die den kleinen Raum dominiert. »Trinkst du einen Prosecco mit?«

       »Hmm.« Während sie den Sekt holte, schnitt ich den entscheidenden Ausschnitt aus dem Foto und postete das Ergebnis bei Facebook. Betty kam mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück, die sie auf das kleine Tischchen neben der Couch stellte. Dann begann sie, an dem Verschluss der Flasche zu pulen.

       »Wie geht es dir heute?«

       »Gut.«

       Sie schenkte Sekt ein und hielt mir eines der Gläser hin. Dann setzte sie sich neben mich. Wortlos prosteten wir uns zu.

       »Warst du auf dem Friedhof?«

       »Hmm.« Was sollte ich ihr sagen? Dass ich nach zwanzig Jahren meine Eltern immer noch vermisste? Dass ich ständig darüber nachdachte, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte dieser Unfall nicht alles verändert? Dass ich dann vielleicht nicht mehr in Grefrath säße und mich nicht jeden Tag in einer Steuerberatungskanzlei langweilte? Schließlich hatte ich mal Träume, aber die sind damals mitgestorben. Sollte ich ihr das alles sagen? Wozu? Wahrscheinlich wusste sie es schon und würde nur Dinge sagen, wie »Biene, nach zwanzig Jahren musst du dein Leben leben.« Aber welches Leben ist mein Leben? Schließlich hatte das Leben, das für mich bestimmt war, damals abrupt geendet.

      Bilder von Maya und Sven stehen auf dem Sideboard. Wie alt waren sie da? Vielleicht fünf oder sechs, schätze ich. Das Hochzeitsfoto von Betty und Georg prangt daneben. Bettys Plan war Realität geworden. Seit ich denken kann, hat sie davon gesprochen, dass sie heiraten wollte. Dann sollten es zwei Kinder sein und die Familie in einem Eigenheim mit Vorgarten leben. So ist es gekommen. Ich war ihre Trauzeugin. Damals war ich gerade mal wieder mit Jochen zusammen und er hat mich natürlich begleitet. Betty prostete mir wieder zu.

       »Betrachtest du das Hochzeitsbild?«

       »Hmm.« Ich nippte am Sekt.

       »Ihr wart auch ein schönes Paar, Jochen und du.«

       »Hmm.«

       Betty lachte.

       »Was ist?«, fragte ich.

       »Ich muss gerade daran denken, wie wir dich geschoben haben, dich mit den anderen Frauen nach vorne zu stellen, als es darum ging, den Brautstrauß zu fangen.« Sie grinste. »Ich habe damals auf dich gezielt und du sahst so komisch aus, als du dich vor dem Strauß weggeduckt hast.« Wieder lachte sie auf.

       »Ganz toll«, grummelte ich. »Bei der Aktion habe ich der Kellnerin das Tablett aus der Hand geschlagen und das ganze Bier landete bei deinen Eltern auf dem Schoß. Seitdem gucken die mich immer komisch an, wenn ich ihnen begegne.«

       »Es wird auch in die Grefrather Annalen eingehen. Sabine Hagen, die erste ledige Frau, die einem herannahenden Brautstrauß hektisch ausweicht.«

       »Blöde Kuh.« Ich muss jetzt noch lachen, wenn ich daran denke. Aber irgendetwas hatte mich damals davon abgehalten, den Brautstrauß zu fangen.

       »Nun erzähl doch mal. Du hast dich mit Judith geprügelt?«

       »Geprügelt hört sich schlimmer an, als es war.«

       »Sie soll aber doch mit dem Krankenwagen abgeholt worden sein?«

       »Ja schon. Sie hat das natürlich ausgenutzt. Dabei habe ich ihr nur meinen Kaffee an den Kopf geschmissen, weil sie mich beleidigt hat.«

       »Beleidigt? Wie denn?«

       »Sie kam da vorbei mit ihrem Verlobten, und als sie mich sah, sagte sie ›Ach das

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