"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile. Markus Roentgen
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In der ersten Fassung sollte das Gedicht noch: „Nichts ist wie du, nirgends“ lauten. Der Eckhart-Zusammenhang, der die Gott-Rede ins Eins-Nichts hinein münden lässt leuchtet auf und wird zugleich gebrochen durch den Modus der, in der Endfassung durchgehaltenen, An-Redeform: „Du“.
Zugleich ist die Jhwh-Selbstprädikation in Ex 3,14, die in der Exodus-Theologie Eckharts ebenso eine große Rolle spielt, im Titel schon präsent („Ich bin da, wie ich da bin“), verliert aber hier den geschichtslos-allegorischen Deuterahmen Eckharts in der Anrufung Jerusalems als konkretem Ort: „Du sei wie Du“.
In der hebräischen Tradition ist Jerusalem der tatsächliche Ort, den Gott als Wohnsitz sich erwählt hat!!
Das zerschnittene Band „zu dir hin“ gibt doppelter Assoziation Raum. „Band“ und „Bund“ haben im Deutschen eine Wurzel. Jerusalem ist Ort für das Bundesband zwischen Gott und Israel. Die Bundestreue Gottes bleibt und ist unwiderrufene Zusage seit dem Noachbund – auch wenn das Volk den Bund bricht.
Bund evoziert auch „Bindung“; im Traditionszusammenhang Israels wird der „Bindung Isaaks auf dem Berg Moria“ (Akedah) gedacht; er wird nicht geopfert, er wird nicht getötet – aber er wird auf den Altar gebunden. In der jüdischen Tradition ist diese Akedah, seit den Kreuzzügen und bis hinunter in die Shoah ein zentrales Symbol für das jüdische Martyrium in der Heiligung des göttlichen Namens (Kiddusch Haschem). Die Erwählung, die bindet, wird und wurde zum „Schlammbrocken“, der im Turm (im Ort für Gefangenschaft, Exil und Isolation), heruntergeschluckt werden musste, heruntergeschluckt werden muss (vgl. Jeremia 38,6 – Jeremia in der Zisterne, der Schlamm als Materie der Todesbedrohung; vgl. auch Psalm 69, wo der Beter tief im Schlamm versunken ist). Die Bindung an den Bund, das Band, das zerissen wurde und das nur im Eingedenken, im Gedächtnis wieder geknüpft werden kann, sie ist durch eine unfassliche Blutspur der Opfer gezeichnet.
In „Du sei wie du“ geschieht eine Rückbindung des Neuhochdeutschen durch das Mittelhochdeutsche der Mystik Eckharts bis hinunter in die jüdische Wurzel kumi ori als Wahrung der Traditio, als Übergabe und Übernahme der messianisch-prophetischen Botschaft Israels in ihrem Ursprung.
Die Sprache wird hier („inde wirt/erluchtet“) zur Leuchtspur des Geschehens, wird zur „Finster-Lisene“, sie ist der Schwärze Lichtsaum. „Lisene“ entstammt dem franz. „lisière“ = Saum, Leiste, Rand, Grenze, in der Architektur ein flacher, senkrechter Mauerstreifen. Die Sprache wird Rand der Finsternis, sie spricht das Finstere und, indem sie Ort des Gedächtnisses („der Gehugnis“) ist, als Erinnerungs- und Bewahrungsort, der dem Vergessen entreißt, ist sie, die Sprache, die ephemere und angefochtene, die auch wie ein Nichts ins Schweigen tendiert, so und vielleicht nur so, als Finster-Grenze Lichtsaum und, in ihrer vollendeten Armut und Ausgesetztheit, Hoffnungsspur. Permanentes wechselseitiges Durchdringen und Durchdrungensein von Schweigen und Sagen, Licht und Finsternis.
Ist „gehochnysse (= gehugnisse)“ in Eckharts Predigt noch das geheim-verborgene Wissen, so wendet Celan es in den Ort des Eingedenkens, in das akut-aufmerkende Gedächtnis als den Ort der memoria passionis. Wesentlich ist, dass er „Gehugnis“ an dieser Stelle nicht kursiv als Zitat aus dem Eckhart-Werk kennzeichnet, sondern er dieses mhd. Wort als Eigenes sich anverwandelt, es gleichsam als dem jüdischen Erbe im Kern zugehörig markiert – selbst in seiner mhd. Sprachausgießung. „Zachor!“-Erinnere Dich!“ – das ist das Zentrum der Bundestreue Israels mit seinem Gott – es ist die anamnetische Dimension des Menschen in seinem eingedenkenden Einstehen (solidarisch nach rückwärts und vorwärts mit den Zernichteten, den Leidenden, den Entrechteten der Geschichte) und in seiner bewahrend-akuten Sprache.
Deshalb kann am Ende „kumi ori“ auch nicht durch ein deutsches Wort vertreten werden. Im Original hat Celan diese beiden Worte auch in hebräischer Konsonatenschrift geschrieben. Das „Aufstrahlen des Lichtglanzes“, im Jesajawort „kumi ori“ als Hoffnungsgestalt im Eingedenken der Leidenden und der Opfer der Geschichte Israels, erträgt keine Sprachübertragung. Die mit dem jesajanischen „Jerusalem“ verbundene Hoffnung auf Neuschöpfung, in der Weltanfang und –ende einander endgültig entsprechen, ereignet sich nicht in Geist und Bewusstsein, sie ist angewiesen auf den konkreten Ort, ist material. Jerusalem – die Stadt.
Celan hat die drei Gedichte zeitnah zum „Sechstagekrieg“ Israels gegen Ägypten 1967 geschrieben. Durch diesen war Jerusalem wiedervereinigt worden, hatte das Volk Israel wieder ungehinderten Zugang zu allen heiligen Stätten. Der Wallfahrtsort ist konkret, raumgebunden, material, ja politisch – er wird nicht zeitenthoben spiritualisiert.
Zu Wirk nicht voraus
Das Schlussgedicht des Lichtzwang-Gedichtbandes verschränkt nochmals christlich-mystisches mit jüdisch-kabbalistischem Gedankengut.
Der Mensch, der angesprochen wird, ist aufgefordert, sich jeglicher Providenz, jeglicher Vorausschau zu enthalten. Walter Benjamin hatte in seinen geschichtsphilosophischen Thesen zum Ende seines Lebens (am 27. September 1940 nahm er sich, auf der Flucht vor den deutschen Truppen, im spanischen Grenzort Port Bou das Leben) darauf hingewiesen, dass es dem frommen Juden versagt sei, der Zukunft nachzuforschen. Dagegen „steht herein“ die Unterweisung in das je jetzt zu praktizierende Eingedenken durch Wort und Herz und Mund und Tat und Leben (Walter Benjamin, Anhang B der Thesen „Über den Begriff der Geschichte“).
Wieder wird das mystische „Nu“ Eckharts, das Intellekt, Geist und Seelengrund anspricht von Celan in den Konkretionsraum und in die Zeithaftung der Geschichte verlagert.
Wieder kommt Eckhart wörtlich zum Tragen, diesmal jedoch nicht im mittelhochdeutschen Zitat, sondern vollends adaptiert von Celans eigenem Wortschatz.
Einig ist Celan mit Eckhart über die Bedingung der In-Besitz-Nahme der Je-Jetzt-Gegenwart. Bei Eckhart wie Celan geschieht dies durch das „Gott-lassen“, „ledig/allen Gebets“, „durchgründet vom Nichts“ als das, was in der Tradition der negativen Theologie die wirkliche Wahrung von Gottes Göttlichkeit auszeichnet. Zugleich verbindet Celan hier das Eckhart-Wort mit der lurianischen Kabbala, die in ihrem Zentrum der „creatio ex nihilo“ nachgeht, der „Schöpfung aus Nichts“, die, im Gegensatz zur plotinischen Vorstellung das Andere Gottes nicht durch Überfließen aus sich entlässt, sondern durch Selbst-Kontraktion, dadurch also, dass Gott im ersten Nu des Anfangs sich in sich selbst zusammenzieht (kontrahiert) und Platz macht, damit das Andere von-ihm-weg //zu-dir-hin//auf-ihn-zu überhaupt in Freiheit sein kann (im Hebräischen heißt dies Zimzum).
Setzt Eckhart sich von der Jesaja-Vor-schrift insofern ab, dass er sie hineinverwandelt in sein zeitenthobenes Durchbrechen zur Gottinnung im Nichts-Eins-Gottes des Seelengrundes, gleichsam in den vorgeburtlich-ungeschichtlichen Zustand zurück, der ewig-jetzt ist als unendliche Gegenwärtigkeit, der aber aposteriori vom geschaffenen Menschen durch das abgeschieden-arme Gott-quitt werden erst wieder erlangt werden muss, so ist die prophetische Vor-schrift für Celan unüberholbar, auch nicht durch das Christusgeschehen, in dem, nach christlicher Tradition die Prophetie Israels ihre Erfüllung gefunden hat.
In seinem Gedicht „Spät und tief“ hatte Celan die ihm einzig glaubhafte Bedingung für das Erscheinen des Messias, lastend schwer gegen Christus und das Christentum, genannt: „es komme, was niemals noch war!// Es komme ein Mensch aus dem Grabe.“
Ein Mensch – nicht der Gott-Mensch Christus Jesus des Evangeliums.