was Leiden schafft. Hermann Brünjes

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was Leiden schafft - Hermann Brünjes Jens Jahnke Krimi

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überlassen hatte und diversen Hülsen und Blindgängern aus einer alten Deponie, waren mehrere Handgranaten, eine 120er Mörsergranate und allerhand Gewehr- und Artilleriemunition gekommen.

      Klar, sein Hobby war nicht nur gefährlich, er machte sich auch strafbar. Doch man würde ihn niemals erwischen. Er hatte sich einen bestens abgeschirmten Ort der Freiheit und Sehnsucht geschaffen, gewissermaßen eine neue „erwachsenenfreie Zone“. Hier, meist in Tarnkleidung, lässt er seine Hände liebevoll über das kalte Metall seiner Sammelobjekte gleiten und simuliert in Computerspielen, was er mit seinen Granaten alles machen könnte. Hier fühlt er sich unbezwingbar, frei und spürbar jung.

      Sein Kumpel beim Bund hat ihm angeboten, auch andere Waffen zu besorgen. Außer einer halbautomatischen Pistole hatte er jedoch nichts angenommen. Er ist Sammler, kein Krimineller, Terrorist oder abgedrehter Nazi.

      Und nun hat er eine neue Option.

      Er kann eine ganz besondere Granate erwerben. Liebevoll, fast zärtlich betrachtet er das gestochen scharfe Foto, das sein Kumpel ihm hat zukommen lassen. Schlank, in mattem Grau, glänzend und wunderschön werden drei Schmuckstücke präsentiert. Tödlich, aber gesichert. Er lehnt sich genüsslich zurück. Um eines dieser Prachtstücke in seine Sammlung zu integrieren, wird er weder Mühe noch Kosten scheuen.

      Dienstag, 1. März

      „Die spinnen doch!“

      Erst nach einem einfachen Mittagessen, Nudeln mit Pesto, komme ich dazu, unser heutiges „Käseblatt“ zu lesen. Am Vormittag war ich zum Testen im Nachbarort. Negativ lautet das Ergebnis und in diesen Zeiten ist „negativ“ das neue „positiv“. Endlich darf ich wieder unter Leute.

      Maren lacht. „Da kannst du dann ja gleich mitmachen. Eine Pappnase habe ich oben noch irgendwo herumliegen!“

      „Niemals! Ich mache mich doch nicht zum Affen!“

      „Du bist eben ein typisch Norddeutscher, völlig unterkühlt! Wärst du am Rhein geboren, könntest du nicht anders. Die haben Karneval im Blut.“

      „Aber genetisch ist das ganz sicher nicht, sondern antrainiert. Die fahren schon als Babys im Prinzenwagen mit und werden bei Alaaf- und Helau-Rufen der Mutter gestillt. Das verstehe ich ja. Aber hier bei uns? Die haben vermutlich im tristen Februar einfach zu viel Langeweile.“

      Ich habe gerade den Artikel meiner Kollegin Elske gelesen. Wie immer sauber recherchiert und ansprechend geschrieben, berichtet sie über Karneval bei uns im Landkreis. In den letzten zwei Wochen hat sie mich vertreten. Ein bisschen regen sich deshalb Schuldgefühle in mir, deutlich mehr jedoch Erleichterung. Gut, dass nicht ich mich mit den Jecken herumschlagen musste.

      Maren tippt auf das große Foto mit den verkleideten, lachenden und verzückten Karnevalisten. „Schau sie dir doch an! Die leben ihre Sehnsucht. Karneval ist ihre Leidenschaft, ihre Passion. Sie fiebern darauf hin, basteln monatelang an ihren Kostümen, Umzugswagen und Büttenreden herum und gehen ganz darin auf. Das ist doch etwas Schönes!“

      Sie lacht und wehe, ich widerspreche ihr.

      „Stimmt. Das hat natürlich was. Aber Passion definieren wir Christen ja wohl etwas anders, oder?“

      Ich weiß, dass Maren auf meine Anspielung anspringt.

      Sie ist es, die mich in den christlichen Glauben und die Gemeinde von Himmelstal hineingezogen hat. Sie ist jedenfalls mehr Experte als ich, der ich „von draußen“ in die christliche Szene gekommen bin.

      Sie lacht und streicht sich ihre braunen Locken aus dem Gesicht. „Na ja, so ganz anders ist es mit der christlichen Passion auch nicht gemeint. Gottes Leidenschaft für uns Menschen schafft ihm am Ende Leiden.“

      Leidenschaft schafft Leiden. Das Wortspiel habe ich bereits gehört. „Jesus leidet aus lauter Leidenschaft? Das klingt ein bisschen idealisiert und abgehoben“, erwidere ich deshalb. „Unter Passionszeit habe ich bisher etwas anderes verstanden. Echtes Leiden, Sterben, Folter, Blut, Einsamkeit … Jesus hatte jedenfalls nichts zum Lachen wie die da auf dem Foto.“

      Maren nickt. „Das stimmt. Am Aschermittwoch ist es aber ja auch vorbei mit dem Spaß. Da beginnt die Fasten- und Passionszeit …“

      Sie wird jäh unterbrochen. Ein gellender Alarmton baut sich auf und dringt schnell durch jede Ritze. Die Sirene steht auf dem Dach des Tagungshauses, etwa dreihundert Meter von Marens Haus entfernt. Wenn sie losgeht, fordert sie unbedingte Aufmerksamkeit. Wir sind irritiert.

      „Es muss etwas passiert sein, lass uns nachsehen.“

      Ich stehe bereits an der Haustür. Maren folgt mir. Nur am Montag, Punkt zwölf, wird die Sirene getestet. Heute ist Dienstag. Zu sehen ist nichts.

      „Wenn du nicht Journalist wärst, Jens, würde ich sagen, sei nicht so neugierig und sensationsgeil!“

      „Danke. Aber ich bin nun mal Journalist.“ Ich grinse sie an. „Und neugierig und sensationsgeil ist eben meine Passion!“

      Erste weniger laute Sirenen sind aus der Ferne zu hören.

      „Sie rücken echt schnell aus! Bin gespannt zu hören, wer diesmal der Erste war.“

      Oft erreicht Theo Beyer, Leiter vom Tagungshaus, als erster das Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr. Die Geschichten haben sich herumgesprochen.

      „Vielleicht kommt er wieder auf Socken!“ Maren lacht.

      Der laute Alarm endet so plötzlich wie er begonnen hat. Man hört andere, leisere Sirenen, sieht von hier aus allerdings nichts.

      „Ich muss los!“ rufe ich meiner Liebsten zu und hole Schuhe und Jacke aus dem Schrank.

      Maren reicht mir meine Fototasche. „Dann mal viel Erfolg auf der Jagd nach Schlagzeilen …“ Ihre Ironie ignoriere ich.

      *

      Es ist diesig. Man hat das Gefühl, es ist noch früher im Jahr. Schon seit Tagen zeigt sich die Sonne kaum. Es nieselt bei Temperaturen um acht bis vierzehn Grad. Ich nehme dennoch das Rad. Was immer passiert ist, es ist im Norden von Himmelstal geschehen. Vielleicht ein Brand im Schweinestall, oder ein Unfall auf der schmalen Straße ins Nachbardorf. Feuchte Luft kriecht in meine Kleidung. Hände und Ohren frieren. Ich hätte mich winterlicher kleiden sollen.

      Als ich an der alten Wassermühle vorbei bin, sehe ich die ersten Blaulichter. Ein Rettungswagen vom Roten Kreuz biegt gerade ab. Ich folge ihm so schnell ich kann. Es geht bergauf, aber nur ein kleines Stück. Ein Polizeiwagen mit Blaulicht rast an mir vorbei. Ein Feuerwehrfahrzeug steht mitten auf dem Acker. Es scheint sich festgefahren zu haben. Aufgeregt laufen einige Gestalten in rot-gelber Uniform um das Fahrzeug herum. Rechts davon gibt es mitten auf dem riesigen braunen Acker ein kleines rundes Busch- und Waldstück. Gesehen habe ich es bei Spaziergängen oft, dort gewesen bin ich noch nie. Einen Weg dorthin scheint es nicht zu geben. Man muss querfeldein über den Acker stapfen. Ich schätze, das Waldstück hat einen Durchmesser von etwa ein- oder zweihundert Metern. Ich stelle mein Rad an eine Birke, schnappe mir die Fototasche, ignoriere die Fahrzeuge mit Blaulicht und stapfe über den Acker Richtung Waldstück. Ich schaffe es bis zum Rand. Dann hält mich ein Polizist zurück.

      „Presse. Ich bin von der Presse.“

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