was Leiden schafft. Hermann Brünjes
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Oben auf Station faucht mich eine vollschlanke Schwester an, als wolle ich ihr und ihren Patienten an den Kragen.
„Zu wem wollen Sie? Besuche sind nicht erwünscht.“
„Mein Neffe braucht sein Handy“, lüge ich. „Sie wissen ja, die Jugend von heute …“.
Sie wirkt jetzt zugänglicher.
„Wie heißt Ihr Neffe denn?“
Oh je, ich kenne seinen Nachnamen noch nicht.
„Linus“, antworte ich und hole Luft.
„Ah, Linus Bornkamp.“
„Richtig, genau der.“
„Na gut, aber nicht länger als eine Viertelstunde. Und hier nochmal die Hände desinfizieren!“
Sie schiebt mich in einen vom Hauptgang abzweigenden Flur, an dessen Ende sich ein Fenster und davor eine Sitzecke mit kleinem Fernseher an der Wand befindet. Ich desinfiziere meine Hände und schiebe dann die Tür an der rechten Seite auf. Linus liegt allein in einem geräumigen Zweibettzimmer. Sein rechtes Bein ist mit einem dicken Verband versehen und etwas erhöht fixiert. Auch ein Arm ist verbunden. Der Rest des Jungen macht allerdings einen munteren Eindruck.
„Wer sind Sie denn!“ begrüßt er mich. Schwester Grimmig ist zum Glück nicht mehr da. „Wie ein Arzt sehen Sie nicht aus.“
Ich ziehe mir einen Stuhl ans Bett.
„Ich bin dein Onkel und bringe dir dein Handy.“
Er schaut mich an, als wäre ich Gustav Gans.
Dann lacht er. „Das ist gut! Mein Onkel wohnt in München und mein Handy liegt hier auf dem Nachtschrank.“
Tatsächlich. Dort liegt ein Smartphone. Gut, dass die Schwester es nicht bemerkt hat. Auch ich lache – und gemeinsames Lachen schafft bekanntermaßen immer eine gute Basis.
„Ich heiße Jens Jahnke. Ohne die kleine Lüge mit dem Onkel und dem Handy hätten sie mich nicht zu dir gelassen.“
„Sie sind also nicht von der Polizei.“
„Nein. Ich bin der Nachbar von Dennis und bei der Presse.“
„Dann haben Sie also diesen netten Artikel geschrieben?“
Ich schaue mich um, sehe jedoch keine Zeitung. Er lacht und ich bemerke seine Grübchen. Ein netter, hübscher Junge – allemal im Blümchennachthemd und nicht in Tarnklamotten mit einer Granate in der Hand.
„Wer liest denn heute noch Zeitung? Denken Sie an den Papierverbrauch und das Klima! Nee. Ich habe alles hier drin.“
Er blickt in Richtung Smartphone. Ich staune. Vierzehn Jahre und schon Abonnent der online-Ausgabe unseres Kreisblattes? Als ich ihn danach frage, grinst er verschmitzt.
„Meine Mutter hat mir heute Vormittag davon erzählt, dass unser kleiner Unfall in der Zeitung steht. Sie hat mir über WhatsApp ein Foto von Ihrem Artikel geschickt. Nicht übel. Dennis hat Ihnen ganz offensichtlich vertraut.“
„Ja. Das siehst du auch daran, dass ziemlich viel von eurer bombigen Truppe nicht drinsteht.“ Ich sage ihm, dass ich unter anderem auch seine Rolle bei der Explosion kenne. „Das habe ich der Polizei aber nicht gesagt. Die gehen davon aus, dass ihr die Granaten gefunden habt und eine davon versehentlich hochgegangen ist.“
„Die Bullen waren schon hier“, bestätigt Linus meine Vermutung. „Sie haben mich befragt und genau diese Version habe ich ihnen präsentiert. Sie wissen auch nichts von anderen Munitionsfunden. Zum Glück haben Sie in Ihrem Artikel auch nichts davon erwähnt.“
„Der Artikel von heute war nur die Folge Eins. Vermutlich steht im nächsten Teil dann auch was von Malle und eurem Treiben an den Fischteichen.“
Der Junge erschrickt. Eben noch cool, klingt er jetzt ängstlich und kleinlaut.
„Dennis muss Ihnen wirklich extrem vertrauen, wenn er davon erzählt hat.“
„Das kannst du auch. Ich werde weder euch noch Malik Yilmatz in die Pfanne hauen, es sei denn, dort geschieht Unrecht und es treffen sich Nazis oder Reichsbürger oder sowas …“
„Blödsinn. Was Malle macht, hat mit Nazis nichts zu tun. Wir sind einfach nur Pfadfinder ohne Kluft.“
Er wirkt aufgebracht.
„Aber im Krater tragt ihr Tarnuniformen.“
„Ja. Es macht einfach Spaß, im Gebüsch herumzustrolchen. Aber wir haben mit Politik absolut nichts zu tun.“
„Und du bist der Chef? Oder Malle?“
„Malle ist Chef bei den Fischteichen, ich mehr oder weniger im Krater. Na, das ist ja jetzt wohl vorbei. Das mit der Handgranate war jedenfalls ein dicker Fehler.“
„Allerdings. Man könnte auch sagen ein tödlicher Fehler.“
„Zum Glück nicht. Wie konnte ich nur so blöd sein. Da war Ben damals schlauer.“
„Ben?“
„Ja, von ihm habe ich den Krater gewissermaßen übernommen. Er ist im letzten Jahr hier im Krankenhaus gestorben.“
Ich weiß sofort, von wem er redet. Im Sommer letzten Jahres war Ben Lohse gemeinsam mit seiner Mutter hier im Krankenhaus. Beide wurden mit einer unbekannten Krankheit eingeliefert. Zuerst dachte man an Corona, dann an eine Vergiftung und zuletzt an eine unbekannte allergische Reaktion. Die Mutter schaffte es, ihr vierzehnjähriger Sohn nicht. Ich habe von dieser Tragödie berichtet, die Eltern kennengelernt und mit ihnen gelitten. Ben war also auch in dieser Clique.
„Und Ben war gegen die Sprengung der Handgranaten?“
„Ja. Er war extrem vorsichtig. Wann immer wir eine Granate oder andere Munition gefunden hatten, holten wir sofort Malle. Er kannte sich aus, weil er sowas bei der Bundeswehr gelernt hatte. Malle sicherte die Bomben und brachte sie auf seinem Quad zu den Fischteichen. Uns hat er jedes Mal weggeschickt.“
„Was hat Malle mit der alten Munition gemacht?“
„Genau weiß ich es nicht. Ich glaube, er hat die Zünder entfernt und die Granaten dann verkauft. Aber nicht an Nazis.“
„Woher weißt du das?“
„Malle ist gegen Nazis. Er kannte einige abgedrehte Typen, das stimmt. Die nannte er Siedler.“ Linus verzieht das Gesicht. „Aber Malle hat oft gesagt, dass politischer Extremismus, egal ob von rechts oder links, Blödsinn ist.“
„Hat Malle euch von dem Geld, das er für eure Funde gekriegt hat, etwas abgegeben?“
„Nein. Er hat davon Jungfische gekauft, Angeln, Kompass, Kartenmaterial, Sportbögen, Tarnklamotten