was Leiden schafft. Hermann Brünjes
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„… ja Chef, als Theologe ist dir ja klar, dass heute Aschermittwoch ist, oder? Und Steini ist aktives Mitglied im Karnevalsverein. Der weiß sicher auch, was Aschermittwoch bedeutet.“
Steinis Gesichtsausdruck widerlegt diese Annahme.
Unser Chef nickt. Hätte ihn jemand anders als Elske auf seine Vergangenheit hin angesprochen, hätte er jetzt abgeblockt.
Florian Heitmann hat einmal ein paar Semester Theologie studiert. Zu vorgerückter Stunde während einer Betriebsfeier mit ausgesprochen viel Alkohol ist dies einst herausgekommen. Bis heute weiß niemand, warum er sein Studium abgebrochen und statt Pastor dann Journalist geworden ist. Irgendetwas muss passiert sein. Heute jedenfalls ist Florian Heitmann fast zwanghaft ablehnend, wenn es um Kirche und Themen des Glaubens geht. Oder anders ausgedrückt: Er präsentiert sich als leidenschaftlicher Atheist.
Nun verstehe ich, warum Elske mich unterbrochen hat. Sie will mich unterstützen und weiß, dass Florian ihr so gut wie nichts ausschlägt, selbst religiöse Themen nicht.
Unser Chef tappt ihr in die Falle.
„Klar weiß ich das, Elske. Dazu muss man nicht Theologie studieren. Das weiß jeder Jeck!“ Er schaut Steini an und grinst wissend. „Der Aschermittwoch ist der Beginn der Fastenzeit. Da ist Schluss mit lustig. Und wenn du es auch aus meinem Mund noch auf christlich hören willst: Die Kirchen bezeichnen die kommenden 40 Tage bis zum Karfreitag als Passionszeit.“
Ich juble innerlich. Meine clevere Kollegin erspart mir ätzende Diskussionen und mühsame Überzeugungsarbeit. Ich überlasse die Sache nun lieber gänzlich ihr.
„Genau, Chef. Das ist eine wichtige Zeit für viele unser Leser und Leserinnen. Du weißt ja, Fasten, Abnehmen, weniger Müll und Konsum, Verzicht wegen Klimaschutz, Konzentration auf das Wesentliche … das interessiert einen Großteil unserer Leserschaft. Was wir Christen Fasten nennen, ist heute ein hoch aktuelles Thema. Und Passion allemal. Leiden, Schmerz und Sterben sind doch an der Tagesordnung. Also Jens hat recht! Das müssen wir in der Passionszeit unbedingt thematisieren.“
Sie ist großartig. Dabei habe ich noch kein Wort dazu gesagt. Aber ihr sprühendes Statement verfehlt nicht seine Wirkung. Florian tippt auf seinem iPad herum. Es wirkt, als versuche ein Gorilla zu telefonieren. Geöffnet ist der Monatsplan, das habe ich vorhin gesehen. Dann hebt er den Blick, schaut zunächst Elske an und dann mich.
„Okay. In der K-Woche vor Ostern machen wir eine dreiteilige Serie. Aber ich bin nicht senil, Kollegen. Ihr macht zusammen was über die Fasten- und die Passionszeit. Aber ihr sucht unbedingt den weltlichen Bezug. Wir sind keine Kirchenzeitung und machen keine Propaganda für die christliche Ideologie! Ist das klar?“
Ich nicke. „Chef, dass ich das hinkriege, habe ich doch wohl in der Vergangenheit bewiesen – oder?“
Die Kuh ist vom Eis.
Auch die drei Lokalredakteure am Tisch, unser Rechtsberater Dr. Mayer und der Chef der Druckerei nicken. Selbst Steini schluckt eine Bemerkung runter, die ihm wohl schon auf der Zunge lag.
Die Redaktionssitzung ist noch vor elf Uhr zu Ende. Florian lockert seine Krawatte und verschwindet hinter der Tür seines Chefbüros, wir anderen setzen uns an unsere Arbeitsplätze im Großraumbüro. Wäre heute nicht die wöchentliche Besprechung gewesen, zu der Florian uns alle verpflichtet hat, ständen unsere Schreibtische unbesetzt im Raum. Außer dem Chef, der täglich kommt und mit der Zeitung gewissermaßen verheiratet ist, arbeiten wir anderen in diesen Corona-Zeiten entweder „an der Front“, wie sich Florian ausdrückt, oder im Homeoffice.
„Danke!“ Ich nicke Elske zu. Unsere Schreibtische stehen einander gegenüber. Sie schenkt mir ihr strahlendes Lachen und tippt mit einem Bleistift auf den Block vor sich.
„Gern geschehen. Ich weiß doch, worüber unser Starreporter gerne berichtet! Und ich weiß auch, dass er mit seinem Chef nicht besonders diplomatisch umgeht.“
„Vermutlich hast du recht. Aber es ist schon ein bisschen unheimlich, wie du meine Gedanken liest.“
Sie wickelt sich den Bleistift um eine ihrer blonden Locken und mimt die Geheimnisvolle.
„Jens Jahnke, merke dir: Du bist für mich ein offenes Buch.“
„Dann weißt du ja auch, was ich vorhabe.“
Elske überlegt einen Moment und starrt mir mit ihren hellblauen Augen direkt in meine.
Dann antwortet sie: „Du willst die Bomben und das damit verbundene Leid mit dem Thema Passion verbinden. Du willst aufzeigen, wie das Leid der Welt und die Leiden Christi sich zueinander verhalten. Du willst unseren Leserinnen und Lesern einen Blick in menschliche Abgründe zumuten, sie dann aber auch trösten und ihnen Perspektiven aufzeigen.“
Nun grinst sie, weist mit dem Bleistift in meine Richtung und erwartet eine Reaktion. Ich bin baff. Sie kennt mich wirklich gut, manchmal denke ich, besser als meine Liebste Maren. Nicht zum ersten Mal schießt mir durch den Kopf, dass Elske und ich ein tolles Paar sein könnten, wenn da nicht die über zwanzig Jahre Altersunterschied wären. Wir passen einfach gut zusammen.
„Wie immer, schöne Blonde aus dem Norden, du triffst ins Schwarze. Und ich vermute, du hast es darauf angelegt, deinen alten Reporterkollegen zu unterstützen.“
Sie zeigt mir ihren Schmollmund.
„Herr Jahnke, Sie haben mich durchschaut. Wann fangen wir an? Am besten, du fasst nochmal zusammen, was in deinem Artikel stand – und vor allem, was du nicht erwähnt hast.“
„Okay. Lass uns aber den Ort wechseln. Hier im Büro haben die Wände Ohren und ich das Gefühl, ich arbeite.“
*
Eine halbe Stunde später sitzen wir gemütlich in unserem Lieblings-Café. Elske hat einen indischen Gewürztee bestellt, ich einen Cappuccino. Ich mag dieses Café, duftet es dort doch zugleich nach Kaffee und indischem Essen. Das indische Restaurant ist direkt nebenan. Außer Kuchen und Kaffee bekommt man auch Eis und kleine indische Leckereien. Und man hat einen guten Blick auf einen der schöneren Plätze unserer Kreisstadt.
Hier redet und denkt es sich ganz anders als im nüchternen Redaktionsbüro – und man muss auch nicht fürchten, dass der Chef plötzlich auftaucht oder Steini einen seiner geistreichen Sprüche raushaut.
„Da gibt es diesen Krater“, beginne ich meinen Bericht. „Woher genau er stammt, habe ich noch nicht herausbekommen. Vielleicht ein Überbleibsel der letzten Eiszeit, vielleicht ein alter See oder Teich. Als der Acker angelegt wurde, hat man alles in das Loch geschmissen, was man loswerden wollte: Feldsteine, Gestrüpp, Baumstümpfe und später wohl auch Munition aus beiden Weltkriegen.“
„Das wird ein Teil unserer Recherche sein müssen: Woher kommt die Munition? Wie überhaupt ist der Umgang mit Munitionsresten und Blindgängern aus den Weltkriegen? Das kann ich übernehmen!“ Elske hat Feuer gefangen.
„Danke. Ja, das müssen wir recherchieren. Ich selbst will lieber mit den Beteiligten reden. Die wohnen alle in und um Himmelstal herum.“
„Dieser Dennis ist ja offenbar sogar dein Nachbar.“
„Ja.