Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier

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Nicht alle sehen gleich aus - Monica Maier

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du denkst, mir hast du ja auch helfen können mit deiner christlichen und sozialen Ader!“

      „Genau!“, erwiderte sie.

      „Gib das Geld beim nächsten Mal lieber meinen Nichten, die haben nicht mal genügend warme Kleidung im Winter“, meinte er etwas schroff. Sie führten diese Diskussion darüber oft, weil Annika schon lange als Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache beschäftigt war und so viel Energie in die neuen ausländischen Zugewanderten pumpte, ohne zu wissen, ob es sich am Ende überhaupt für ihre Schülerinnen und Schüler lohnte. Es hing davon ab, ob und wie lange sie bleiben durften, ob sie denn überhaupt eine lohnenswerte Arbeit fanden und auch länger oder für immer in Deutschland leben wollten. Manchmal schien Karim ihre Gedanken zu lesen, für sie das Zeichen einer guten Ehe. Er hatte ihrer Meinung nach aber leicht reden, weil er zumindest beruflich nichts mit den zugewanderten Menschen zu tun hatte und er selbst nur Schüler in einem Integrationskurs gewesen war, während sie täglich ganze Klassen und Schicksale vor sich vereint sah. Sie sollte wirklich nicht die ganze Welt retten, schienen seine wachen Augen also zu sagen, sie kannte ihn und sie kannte sich selbst. Aber für ein paar lohnte sich der Einsatz immer, das war auch genau das, was ihr an diesem Beruf gefiel, erwiderte sie mit ihrem Blick, ohne die gemeinten Worte auszusprechen.

      Am nächsten sonnigen Montag Ende September hieß es dann auch wieder arbeiten. Annika blickte noch nicht ganz ausgeschlafen aus dem Küchenfenster. Sie griff an diesem frühen Morgen zur Kaffeetasse vor sich auf dem Tisch und zählte: „Zwei!“ Dabei ging es um eine Maschine der Emirate Airways. Während sie in den knackigen Toast biss, wurde ihr Essgeräusch vom Schall des Flugzeuges mal wieder haushoch überboten. Der blaue Himmel über ihr in der Nähe des 1974 eröffneten Tegeler Flughafens lag in der Einflugschneise. Der Bezirk Pankow, der von dem kleineren Fließgewässer der Panke seinen Namen hatte, war ein früherer Stadtteil Ostberlins, in dem zu DDR-Zeiten viele SED-Genossen und Künstler lebten und immer noch leben. Die Nachsilbe „ow“, wie ein „o“ ausgesprochen, stammte aus dem Slawischen, weil das 1244 gegründete Berlin historisch betrachtet eine slawische Siedlung war. Eine etymologische Vermutung, den Namen betreffend, ging dahin, dass Berlin „Siedlung bei einem Sumpf und Morast“ bedeutete. Ganz sicher wusste eine Germanistin wie sie das nicht, vielleicht hieß es auch Floßstelle, das hatte sie zumindest mal gelesen.

      Gewiss war, dass es sie immer noch gab: die Einteilung in Ost- und Westdeutschland nach dem Kalten Krieg und der Mauer. Dank der europäischen Osterweiterung hatten sich zwei gesamtdeutsche Parallelgesellschaften herausgebildet, was durch den Mentalitätsunterschied und die „Kolonialisierung“ durch die USA im Westen und Russland im Osten bedingt war. Manchmal startete eine Maschine im Sommer alle fünf bis zehn Minuten, und dann kam es auf den Wind an, wie laut es über den Köpfen der echten und hinzugezogenen Pankower wurde. Der Sound in der Straße war heute noch deutlicher als sonst zu hören. Eine große, wie laute Maschine flog den Militärflugplatz in Tegel an, auf dem schon Obama gelandet war, bevor er den militärischen Einsatz gegen Syriens Präsidenten unterließ. Nicht nur in Marokko, sondern natürlich auch in Deutschland waren die Medien von Kriegsnachrichten in dem Land überflutet. Annika schaltete das Küchenradio lieber aus, sie konnte es nicht mehr hören, weil es sie traurig machte und schlecht auf den heutigen Unterricht einstimmte.

      „Ich glaube es nicht. Nummer Drei!“, rief sie Karim aus der Küche in den Flur zu, der dem Schlurfen der Schritte nach aufgestanden war und kurz darauf mit einem verschlafenen „Morgen Schatz!“ den Raum betrat.

      „Eins, zwei, drei“, rappte er gut gelaunt, während er in die Zuckerdose griff, um seinen Kaffee mit drei Löffeln Zucker wie einen zu süßen marokkanischen Tee anzurühren. Typisch für ihn, so ruhig zu bleiben, die Flugzeuge störten ihn gar nicht, dachte Annika und blickte ihn liebevoll und etwas neidisch an.

      „Wie lange haben sie gestern geflogen?“, fragte er anteilnehmend.

      Sie erwiderte: „Bis um 1 Uhr, da habe ich immer noch was gehört und muss dann irgendwann eingeschlafen sein. Es nervt mich! Ab 23 Uhr ist doch eigentlich Nachtflugverbot, oder? Die da oben machen wirklich, was sie wollen.“

      Karim setzte sich neben sie, schmierte seinen Toast und meinte: „Jetzt reg dich nicht immer so auf, dann müssen wir eben eine neue Wohnung suchen!“

      Annikas Laune war wegen der Immobilienblase und -misere in der Hauptstadt schon länger unten und sie erinnerte ihn daran, wie schwer es geworden wäre, in Berlin bezahlbaren Wohnraum zu finden. Dann beendete sie die Unterhaltung mit den Worten: „Ich muss gleich los, es gibt übrigens nicht mehr viel im Kühlschrank, falls du zufällig einkaufen gehen willst?!“

      Sie bejahte, stand auf, warf ihre langen dunkelbraunen Haare nach hinten, zog sich im Schlafzimmer einen roten Rock und einen weißen Pullover an und packte ihre Tasche mit den nötigen Unterrichtsbüchern zusammen. Denn sie mochte farbige Kleidung, vor allem im Herbst und dann in der Winterzeit, wenn fast alle auf Dunkel und Schwarz zu setzen schienen. Heute ging sie zurück in ihren Deutschkurs bei einem der großen Berliner Bildungsträger. Während ihres zehntägigen Urlaubs war sie von einer Kollegin vertreten worden. Deren E-Mail zur Übergabe war schon am Freitag eingetroffen. Annika wusste, welchen Stoff sie durchgenommen hatte, aber sehr vorbereitet für den Unterricht war sie wegen der Rückreise heute nicht. Das fand sie ausnahmsweise in Ordnung. Noch ein Kuss für Karim und ein Blick in den marokkanischen Spiegel im Flur an der Wand. Dann fiel die Wohnungstür hinter Annika ins Schloss.

      Kaum im Treppenhaus tönte ihr ein „Jutn Morjen ohne Sorjen, wie war der Urlaub?“ entgegen. Ihre gleichaltrige Nachbarin Susanne aus demselben Stockwerk gegenüber, die während ihrer Abwesenheit ihre Blumen gegossen hatte sowie für das Leeren des Briefkastens zuständig gewesen war, kam mit Brötchen vom Bäcker die Stufen hoch.

      „Ah, hallo, guten Morgen! Es war toll, super Wetter. Nochmal vielen Dank für deine Hilfe!“, antwortete Annika in Eile. Sie war spät dran, denn um 8:30 Uhr, also in genau einer Stunde, ging der Kurs schon los und sie musste die Öffentlichen Verkehrsmittel nehmen. „Ich habe heute schlecht geschlafen, sorry, kann noch nicht so wach denken, aber danke, dass du die Post und die Blumen gemacht hast“, sagte sie.

      „Hoffentlich nich der Fluglärm?“, fragte Susanne, was Annika sofort bejahte.

      „Die da oben machen echt, was sie wollen. So eine Vetternwirtschaft! Ick hab ja jesehn, dass du ooch den gleichen Brief bekommen hast. Der Senat will wieder jejen Tegel unterschreiben lassen und is doch klar, dass nix dabei rumkommt. Bringt doch allet nüscht!“, redete sich Susanne in ihrem Brandenburger Akzent in Rage, während Annika dazu nickte und hinzufügte: „Nicht in diesem Jahrzehnt. Ich muss leider los!“

      „Lass uns auf n Kaffee treffen die Tage und dann quatschen, okay?“, schlug Susanne vor.

      „Machen wir“, meinte Annika und lief schon die Treppe runter.

      Diese und vielleicht noch eine Generation dauerte es bestimmt noch, bis Deutschland zu einem einheitlichen Nationalgefühl die hundertprozentige Chance haben würde, dachte sie. Zu viele negative Energien wegen der schlecht gelaufenen Wende und der momentanen neoliberalen EU-Politik, die Richtlinien vorgab, schwirrten herum und verbreiteten Rechtspopulismus und Leiden. Die Leute wollten ihr eigenes Ding machen und nicht nur gesagt bekommen, wo es lang ging. Dass die DDR 1989 finanziell am Ende war, wurde oft vergessen. Die Atmosphäre im Land sei nach 2015 – und davor schon 2008 zur Finanzkrise – ob West oder Ost den Bach und die Panke hinuntergegangen, meinte Susanne immer. Die Jammerer gegen die Regierung von heute seien dieselben oder dieselbe Sorte Mensch, die damals in der DDR schon gejammert hätten. Ohne etwas dagegen zu unternehmen, sagte sich Annika dann immer, wenn sie sich sahen. Die, die damals den Mund aufgemacht und Widerstand gewagt hatten, kamen in den Knast, erhielten Repressalien aller Art und wurden psychisch fertig gemacht. Glück hatte der, dessen Ausreiseantrag angenommen wurde und dessen Familie nicht darunter leiden musste. Aber gab es so

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