Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier

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Nicht alle sehen gleich aus - Monica Maier

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Mädchen schwieriger, vielleicht auch, weil die Leute mehr auf das Gerede der Nachbarn gaben und der Vater leichter ein scharfes Auge auf sie haben konnte? Wenn diese Orte touristisch waren, gaben sich die Leute definitiv offener, weil sie sowieso Übung mit Durchreisenden hatten und an sie gewöhnt waren. Schon immer gab es Bewegung im Land. Auch hier in Tanger, so nahe an Spanien und Europa. Sie blickte auf ihre beiden Nichten, die an dem großen Esstisch dazugekommen waren und jetzt mit einem Avocado Milchshake dasaßen. Annika hing gerade lieber ihren Gedanken nach, als sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Vor der Ehe wollte man sich als junge Frau ausprobieren und musste das manchmal vor den Eltern verheimlichen, falls die nicht so liberal eingestellt waren. Mädchen dabei besonders vor dem strengen Vater, der seine Tochter vor den so gesehenen bösen Männern schützen wollte und den Abnabelungsprozess erst zulassen musste. Je liberaler und weltoffener die Familie, desto moderner und freier konnte sich der Geist der neuen Generation entfalten. Die Berber respektierten ihre Frauen, die im Haus das Sagen hatten. Die Prostitution der Mädchen und Jungs vor allem in den Städten blühte jedoch, weil es eben sonst so wenige oder schlechtbezahlte Jobs gab, sogar Studentinnen gingen ihr in den Bars großer Hotels nach. Aber dazu gehörten Shama und Aisha ja nicht. Annika verstand das Land erst, seit sie auch mit den Frauen hier persönlich zu tun hatte und ihnen näherkam. Wer die Frauen nicht kannte, kapierte ein Land nicht. Aisha musste ihre Gedanken gespürt haben, sie blickte sie an und ein unschuldiges Lächeln huschte über ihr schönes Gesicht.

      Berlin im Anflug

      Mit Karim saß sie am Sonntag darauf wieder im Flugzeug nach Berlin. Seine Augen überflogen die arabischen Schlagzeilen der Wochenendausgabe einer Tageszeitung eine Sitzreihe vor sich: „Ist das Königreich Marokko korrupt?“, „Ist der König schwul?“, „Ein Helikopter mit Gold im Sudan entdeckt. Gold aus Marokko?“ waren die Themen, die das Geschehen dominierten. Annika döste vor sich hin und blickte ab und zu aus dem Fenster. „Deutschland will wieder mehr Geld in Marokko investieren, deutsche Unternehmer sollen nachhaltig tätig werden“, übersetzte Karim eine weitere Schlagzeile in der Sitzreihe vor sich aus dem Arabischen ins Deutsche und unterbrach ihre Gedanken.

      „Geht das als Entwicklungshilfe durch oder ist das reine Geschäftemacherei?“, meinte sie zu ihm. Sie würde Geld nie ohne nachhaltige und gut organisierte Kontrolle in die nordafrikanischen, aber ebenso die südlicheren Länder des Kontinents pumpen. Ihre Meinung kannte er. Das würde bedeuten, dass man genügend Diplomaten und begleitende kontrollierende Bürokratie in Zusammenarbeit mit der Politik vor Ort bräuchte, um sich um die kluge Geldverteilung zu kümmern und Korruption zu unterbinden. Dies war aber nicht unbedingt der Fall. Sie schaute auf ein paar Wolken draußen. Wenn die oben es nicht gebacken kriegten, konnte man nichts anderes als das erwarten, dass diese Leute in einer Mischung aus Verzweiflung, Überlebenstrieb und krimineller verrückter Energie zu dem getrieben wurden, was sie auf dem Meer vor kurzem gerade erlebt hatten. Warum interviewte eigentlich keine deutsche Talkshow einmal Jungs wie diese, die sie da so unverhofft getroffen hatten? Oder den marokkanischen König? Immer die gleichen Gesichter in den deutschen intellektuelleren Fernsehshows.

      „Das ist doch immer dasselbe!“, erwiderte Karim. „Wie viele Steuergelder versanden in der Bestechung, wie viele bewirken etwas? Ich hätte gern mal eine Aufschlüsselung von eurem Finanzamt, was von meinen Steuern in Deutschland wohin fließt. Zum Beispiel in den neuen Berliner Flughafen. Sogar dem Militär in Ägypten und den Saudis schickt ihr Waffen, warum eigentlich? Unternehmer profitieren doch schon lange von den Billiglöhnen im Ausland, spätestens da hat für mich die Globalisierung begonnen, als westliche Unternehmer vor Jahrzehnten anfingen, in China billiger zu produzieren und damit Steuern zu umgehen.“

      Der Mann mit der Zeitung drehte sich um und sah die beiden komisch an, ohne ein Wort zu sagen.

      „Wir? Es gibt eindeutig ein Problem mit dem Steuersystem in Deutschland, okay, viel Geld wird auch verschwendet, dafür haben wir einen Sozialstaat“, antwortete Annika leise und registrierte aus dem Augenwinkel, dass der Mann vor ihnen seine Zeitung zusammenfaltete, als hätten sie jetzt hoffentlich endlich genug darüber gequatscht. „Ist das meine Schuld?“ Auf einmal wurde sie sauer. Karim vergriff sich gerne im Ton und projizierte auf sie als Deutsche Dinge, für die sie gar nichts konnte. Er kannte dieses Verhalten schon von sich und lächelte sie entschuldigend an. „Selbst in Europa oder Deutschland ging es manchmal auch nicht gerade unkorrupt zu“, fuhr sie fort, „allerdings passiert es da eher im schicken Anzug und geht um andere Beträge als die sieben oder neun Euro, die euer Polizist letztens bei unserer Kontrolle eingeheimst hat, weil du keinen Führerschein dabeihattest. Erinnerst du dich noch? Ist ja fast sympathisch, möchte man sagen, ist es aber natürlich nicht. Alles ist relativ. Wenn die Polizei mein Geld will, wie bei euch, damit ich ohne Führerschein oder Lizenz zum Touristenrumkutschieren bei einer Kontrolle weiterfahren darf, dann ist für mich da schon eine Grenze überschritten. Das heißt, mit Geld keine Strafe im Straßenverkehr und eine rasche Behandlung und ein Krankenbett. Da müsste eure Politik was machen. An was es bei euch generell fehlt, ist ein gutes Gesundheitssystem mit Krankenversicherung, vor allem für Menschen ohne Geld. Die Leute sterben, weil sie kein Geld haben und nicht einmal genug oder keins verdienen können, weil die Arbeit so schlecht bezahlt ist!“

      Karim meinte: „Stimmt, bei uns leben viele von Tag zu Tag und von der Hand in den Mund. Aber offene EU-Grenzen, Schlepper und Menschenhandel und so? Eure Asylpolitik ist doch seit Jahrzehnten nicht zu Ende gedacht. Endlich fällt es mal so richtig auf. Wir hatten nochmal Glück mit dem Boot, was aus denen wohl geworden ist?“

      Die Diskussion endete mit seinem Gähnen, während er schon die Augen schloss. Sie tat es ihm nach. Seine relaxte Art war meist klüger und gesünder als ihr logisches Gehirn, das, typisch deutsch, zu viel grübelte und sich damit selbst in Frage stellte. Probleme gab es genug auf der Welt.

      Die Stadt Berlin war vier Stunden später im Anflug und der Flughafen Tegel im Norden saugte das Ehepaar in sich ein. Zurück zu Hause zu sein fühlte sich am ersten Tag gut an. Endlich wieder europäische Toiletten, wohin man nur blickte, sorglos trinkbares Leitungswasser, Leute vom Zoll und Polizei am Flughafen, bei denen man zu 100 Prozent damit rechnen konnte, dass sie kein Bakschisch erwarteten, damit man schneller an der Grenze vorbeikam. Sie nahmen den Bus zur S-Bahn Beusselstraße und stiegen dort um.

      Leider gab es wieder eine der vielen Baustellen und die Heimfahrt dauerte länger als erwartet. Die Sonne ging schon langsam unter, als sie die Treppen ihres Mietshauses hinaufstiegen. Ihre Nachbarin Susanne hatte die Post auf die Kommode im Flur gelegt. Es waren wie immer ein paar Rechnungen darunter und noch immer ein Brief zum Thema Fluglärm vom Berliner Senat. „BER“ als Kurzbezeichnung für den neuen Flughafen im Süden Berlins kam sicher nicht vom Volk der Berber, sondern war seit 2012 nach der Nichteröffnung der Flughafencode für alle Berliner Flughäfen geworden, aber besonders eben für diesen unfertigen Flughafen Berlin Brandenburg, der nach einem deutschen SPD-Politiker benannt wurde. Aber auch eine Postkarte aus Tarifa, die sie sofort zu lesen begann. Sie war nicht, wie zunächst vermutet, von Simone.

      „Bonjour Madame, bonjour Monsieur,

      Je vous remercie beaucoup pour votre aide. Je suis arrivé à Tarifa et j’ai contacté votre amie. Elle m’a donné un logement pour quelques jours. Ça va bien. Inch’Allah! Merci! Votre ami, Mamadou”

      „Von wem ist die denn?“, fragte Karim.

      „Von Mamadou aus Mali, er ist jetzt tatsächlich in Tarifa“, antwortete Annika ungläubig und reichte ihm die Karte. Als er sie selbst las, kombinierte er, dass seine Frau ihm von Simones Hostel erzählt und ihm Geld zugesteckt haben musste. Denn der Malier wohnte für ein paar Tage bei ihr. Karim wollte wissen, wie viel sie ihm denn gegeben habe.

      „Nur 50 Euro, die habe ich ihm zugesteckt, als er in Tanger vor mir aus dem Boot gestiegen ist und mir noch geholfen hat auf den Steg zu steigen!“, lautete

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