Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier
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Annika meinte: „Wisst ihr, was Christen glauben? Abraham ist der Vater der drei Buchreligionen Islam, Judentum und Christentum. Er soll als erster Mensch in der Geschichte einen Bund mit Gott geschlossen haben. Auf diesen geht auch zurück, dass Christen Monotheisten sind. Das haben sie mit den anderen Buchreligionen wie der euren gemeinsam, damit sind damals dann wohl die Naturreligionen zu Ende gegangen. Gott verlangte im Alten Testament als Vertrauenstest und Liebesbeweis, dass er seinen Sohn Isaak opfert, also ihn tötet. Das Opfer sollte zeigen, man liebt Gott mehr als die eigenen Kinder, ist das bei euch auch der Grund? Ist ja wirklich hart!“
Karim zuckte mit den Schultern und antwortete: „Keine Ahnung. Genau weiß ich das ehrlich gesagt nicht. Aber Gott hat Abraham dann doch noch rechtzeitig gestoppt, oder?“
„Ja“, sagte sie. „Im Christentum haben wir dafür aber keinen Feiertag.“
„Wir Muslime zelebrieren diese Begebenheit, um die Barmherzigkeit zu feiern, jedes Jahr mit der Schlachtung, es ist unser größtes religiöses Fest“, antwortete Yassine. Fatima meldete sich in ihrem gebrochenen Schulfranzösisch zu Wort: „Wir sagen, Abraham wollte Ismael opfern, den Sohn, den er mit seiner Sklavin Hagar hatte, weil seine Frau Sara kinderlos blieb und ihm erlaubt hatte, einen Nachfolger seines Stammes mit dieser Frau zu zeugen.“
Annika hatte ihren katholischen Glauben aus der bayerischen Kindheit vor der Begegnung mit Karim schon abgehakt und verstand sich als spirituellen Menschen ohne Dogmen und Glaubenssätze mit Hang zum Buddhismus. Religion konnte Menschen helfen, wenn es ihnen richtig schlecht ging und manchmal holte sie das Thema wie jetzt einfach ein. „Nach dem Alten Testament galten die Kinder, die der Ehemann mit Einverständnis seiner Frau mit einer Sklavin zeugte, als seine oder sogar ihre Kinder“, fuhr sie fort, weil sie mal darüber gelesen hatte.
Fatima meinte: „Mein Gott, ist das kompliziert. Aber dass du das alles weißt! So ein liberaler Umgang miteinander, dass eine Frau einer anderen Frau so etwas erlaubt! Hört sich eher nach dominierender Stellung des Mannes an. Ich wäre da als Ehefrau total eifersüchtig.“ Sie sah Yassine von der Seite an, der sofort beteuerte, dass er nie eine andere Frau als sie in seinem Leben haben würde.
Annika schätzte die einfache, liberal eingestellte und offene 60-jährige Frau, der es nicht vergönnt gewesen war, in ihrem Heimatdorf die Schule zu Ende zu besuchen. Nur manchmal machte es sie traurig, dass sie keinen wirklichen Beruf erlernen konnte. Dies hatte sie ihr einmal erzählt, zu gerne sei sie Mutter und kümmerte sich um ihre Großfamilie. Auch Bücher hätte es damals so gut wie keine gegeben, außer dem Koran. Ihre ehemalige Schönheit sah man ihr immer noch an. Mal trug sie Make-up, mal keins, auf alle Fälle mochte sie die Farbe Rot, das zeigten ihre heute bis zum Boden reichenden Kleider und Tücher. Die beiden Frauen lächelten sich an, sie hatten sich gerne, und von Männern unterdrückt zu sein schienen beide nicht. Ihre Blicken trafen sich in einer für jede anders bedingten Introvertiertheit, was ein Außenstehender mit Schüchternheit verwechseln könnte. Die Schwiegermutter war stolze Berberin und hatte mit Karim sieben Kinder aufgezogen.
Je liberaler die Eltern, desto lockerer die Regeln, das konnte Annika bezeugen: „Gut, dass ihr Karim nicht so superreligiös erzogen habt, sonst würde er mein paniertes Schweineschnitzel sicher nie essen. Leider liest er nicht gerne, das hat er von dir, Fatima! Nur auf Facebook, das ist aber mehr ein Scrollen“, meinte sie ironisch und rollte scherzhaft die Augen.
Ihr Mann blickte sie etwas verletzt an: „Wir hatten keine Bücher als Kinder, die gab es einfach nicht! Aber Religion ist Religion, ob christlich oder muslimisch, solange man nicht fanatisch wird, ist es doch egal, welcher man angehört.“
„Wir sind da, dort vorne ist es! Ich kann die Schafe schon riechen!“, schaltete sich Yassine ein und brachte das Gespräch damit zum Stillstand. Sie parkten und stiegen aus dem Auto. Bei dem Bauern, einem Freund seines Vaters Ali, wartete dieser bereits auf sie. Sohn und Vater bezahlten das Geld für das Tier gemeinsam. Unter Blöken wurde es dann an den Hufen zusammengebunden.
Annika blickte dem Opfer direkt in die Augen und meinte leise zu Karim: „Wer hat mehr Angst, das Schaf vor dem Tod oder ich vor dem Islam?“ Der grinste sie nur an, als die Männer schon das Tier auf Yassines Pickup hoben, in dessen Haus das große Schlachten, Kochen und Essen ja am Folgetag stattfinden würde. Er wusste nicht, was er darauf sagen konnte, manchmal verstand er die Beziehung seiner Frau zu seiner Religion wirklich nicht, aber er hatte Humor und Selbstironie.
„Du hast doch keine Angst!“, sagte er.
Ein Schaf alleine würde natürlich nicht reichen, um genügend Fleisch für alle zu braten. Für ihr eigenes gemeinsames Opfertier, das sie für das Familienfest beisteuerten, mussten sie jetzt 1800 Dirham, also umgerechnet an die 180 Euro hinblättern. Es wurde ebenfalls an allen Vieren zusammengebunden, von ein paar Jungs auf den Transporter gehievt und starrte sie so unverhohlen wie mitleiderregend an.
Diesmal konnte Annika dem Blick aus reiner Tierliebe nicht standhalten und meinte nur: „Ganz schön teuer bist du!“
„Ist ja auch schon dick und hat viel gegessen“, konterte der wegen des Erwerbs der beiden Opfertiere dagegen sichtlich erfreute Großvater, der als Witwer mit Sohn Yassine und Schwiegertochter Fatima im gemeinsamen Haushalt zusammenlebte. Mit nun zwei Tieren auf der Ladefläche fuhren sie im Konvoi gemeinsam zurück nach Hause.
„Zu Zeiten des Opferfests Eid ul-Adha kommt man an einem Schaf nicht vorbei“, postete sie später in einem Café in der Cinémathèque, die sich in der Nähe der Wohnung befand. Dort tranken sie gegen Abend öfter noch einen Nos-Nos oder sahen manchmal auch einen Film. Sie schrieb weiter: „Seltsame Religion, die einen hier mit der Vergangenheit verbindet. Die Schafe werden auf dem flachen Hausdach an den Beinen zusammengebunden und bleiben dort über Nacht liegen, bis sie morgen am Festtag dann von den männlichen Familienmitgliedern geschlachtet werden sollen.“ „Igitt!“, schrieb Simone aus Tarifa zurück, die gerade online war. Sie war nun einmal eine fast militante Vegetarierin, von der sie nichts anderes zu erwarten hatte. Die beiden Freundinnen chatteten etwas hin und her. Keiner der noch folgenden Likes oder Kommentare kam auch nur auf die neugierige Idee, von Annika mehr über das Opferfest zu erfragen. Niemand schien sich für Religion zu interessieren. Mit Karim ging sie hungrig zu Fuß nach Hause. Fatima hatte natürlich nochmal gekocht.
Ihr Schlafzimmer lag genau unter dem ebenerdigen Hausdach und man hörte es am nächsten Montagmorgen plötzlich früh von dort poltern. Annika konnte deswegen nicht mehr schlafen und stand vor Karim auf, um sich neugierig geworden anzusehen, was da oben vor sich ging. Die zwei Schafe wehrten sich gegen die Fesseln. Yassine war schon da. Er wünschte ihr einen guten Morgen, den sie erwiderte. Sie gingen kurz darauf gemeinsam runter zum Frühstücken. Karim stieß dazu.
Später erst sollte es so richtig schlimm werden, weil sie wie abgemacht beim Schlachten zuschaute. Sie hielt es nicht lange aus und konnte schon bald nicht mehr hinsehen. Annika zog sich lieber auf ihr Zimmer zurück. Noch einprägsamer wurden die Bilder jedoch, als Karim sie eine Stunde später nochmal überzeugen konnte, bitte jetzt doch mit zu den anderen hoch aufs Dach zu kommen, das Schlimmste sei vorbei. Wäre sie mal lieber nicht mitgegangen. Die Tiere hingen schon kopfüber, und die Köpfe wurden im Feuer geröstet. Sie beschrieb es ihrer 17-jährigen Nachbarin Nele in Berlin, die sich kurz darauf zufällig auf WhatsApp meldete. Annika war froh, die Erlebnisse chattend bei einer Gleichgesinnten in Deutschland loszuwerden. Mitgehangen, mitgefangen.
„Ich sehe zu, wie mein Schwager mit dem Messer das Schaf, das von unseren Neffen Abderraman und Ibrahim halb gefesselt in einem Schuppen in der Nähe