Überredung. Jane Austen

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Überredung - Jane Austen

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Leib und Seele anderen gehören sollten. Sie konnte am 29. September kaum an etwas anderes denken und freute sich abends über die mitfühlende Geste von Mary, die zufällig das Datum aufschrieb und ausrief: »Du liebe Güte! Ist dies nicht der Tag, an dem die Crofts in Kellynch einziehen wollten? Ein Glück, daß ich nicht vorher daran gedacht habe. Wie mich der Gedanke bedrückt.«

       Die Crofts zogen mit typisch seemännischer Entschlußkraft ein und mußten besucht werden. Mary jammerte über die Unumgänglichkeit. Es ahne ja niemand, wie sie darunter leiden werde. Sie werde es hinauszögern, solange sie könne, gab aber keine Ruhe, bis sie Charles dazu überredet hatte, sie bei der ersten Gelegenheit hinüberzufahren, und befand sich im angenehmen Zustand äußerst lebhafter eingebildeter Erregung, als sie zurückkam.

       Anne war von Herzen froh, daß sie keine Möglichkeit hatte hinzufahren. Sie wollte die Crofts allerdings gern kennenlernen und freute sich, zu Hause zu sein, als der Besuch erwidert wurde. Sie kamen. Der Herr des Hauses war nicht daheim, aber die beiden Schwestern waren da; und da der Zufall es wollte, daß Anne sich Mrs. Crofts annahm, während der Admiral sich zu Mary setzte und sich durch die gutmütige Anteilnahme an ihren kleinen Jungen sehr beliebt machte, hatte sie ausgiebig Gelegenheit, auf Ähnlichkeiten zu achten und sie, falls der Gesichtsausdruck ihr nichts sagte, in ihrer Stimme, ihren Auffassungen und ihren Gesten zu suchen.

      Mrs. Croft, obwohl weder groß noch dick, war von einer Gesetztheit, Geradheit und Vitalität, die ihrer Person Gewicht verlieh. Sie hatte strahlende dunkle Augen, gute Zähne und ein durchaus ansprechendes Gesicht, obwohl man aus ihrem geröteten und wettergebräunten Teint – einer Folge davon, daß sie beinahe ebenso viel Zeit auf See verbracht hatte wie ihr Mann – geschlossen hätte, daß sie schon etwas länger auf der Welt war als achtunddreißig Jahre. Ihr Benehmen war offen, ungezwungen und bestimmt wie bei jemandem, dem es an Selbstvertrauen nicht fehlt und der sich im klaren ist, was er zu tun hat, ohne jedoch in die Nähe von Gewöhnlichkeit oder Humorlosigkeit zu geraten; und Anne mußte ihr wirklich zugestehen, daß sie in allem, was sich im Zusammenhang mit Kellynch auf sie bezog, großes Taktgefühl bewies. Das freute sie besonders, da sie sich in der allerersten halben Minute, ja, unmittelbar bei der Vorstellung vergewissert hatte, daß Mrs. Croft auch nicht das geringste Anzeichen von Mitwissen oder Verdacht verriet, das auf Voreingenommenheit hätte schließen lassen. Sie war also in dieser Hinsicht ganz ruhig und deshalb voller Zuversicht und Mut, bis eine plötzliche Bemerkung von Mrs. Croft sie zusammenfahren ließ:

       »Mit Ihnen und nicht mit Ihrer Schwester hatte mein Bruder, wie ich höre, das Vergnügen, bekannt zu sein, als er in dieser Gegend wohnte.«

      Anne hoffte, über das Alter des Errötens hinaus zu sein, aber über das Alter starker Gemütsbewegungen war sie es nicht.

       »Vielleicht haben Sie gar nicht gehört, daß er verheiratet ist«, fügte Mrs. Croft hinzu. Nun konnte sie antworten, wie es sich gehörte, und war erleichtert, als Mrs. Crofts folgende Worte klarmachten, daß sie Mr. Wentworth gemeint, daß sie nichts gesagt hatte, was nicht auf beide Brüder zutraf. Sie begriff sofort, wie naheliegend es war, daß Mrs. Croft von Edward und nicht von Frederick sprach; und beschämt über ihre eigene Vergeßlichkeit, brachte sie den Ausführungen über das augenblickliche Wohlergehen ihres früheren Nachbarn das erforderliche Interesse entgegen.

       Den Rest des Besuches überstand sie in völliger Gelassenheit, bis sie beim Aufbruch den Admiral zu Mary sagen hörte:

       »Wir erwarten demnächst einen Bruder von Mrs. Croft hier. Sie kennen ihn bestimmt dem Namen nach.«

       Er wurde durch die ungestümen Überfälle der kleinen Jungen unterbrochen, die sich an ihn hängten wie an einen alten Freund und ihn nicht gehen lassen wollten; und da er mit der Drohung, sie in seiner Manteltasche mitzunehmen, so beschäftigt war, daß ihm gar keine Zeit blieb, das zu beenden oder sich auch nur auf das zu besinnen, was er angefangen hatte, war Anne darauf angewiesen, sich so gut es ging einzureden, daß es sich immer noch um denselben Bruder handelte. Sie war sich ihrer Sache allerdings nicht so sicher, daß sie nicht liebend gern erfahren hätte, ob im Herrenhaus, wo die Crofts vorher einen Besuch gemacht hatten, etwas über das Thema gesagt worden war. Die Familie vom Herrenhaus sollte an diesem Tag den Abend in dem Cottage verbringen; und da es unterdessen zu spät im Jahr war, solche Besuche zu Fuß zu machen, fingen sie gerade an, auf die Kutsche zu horchen, als die jüngste Miss Musgrove eintrat. Daß sie kam, um die Familie zu entschuldigen, und daß sie nun womöglich den Abend allein verbringen mußten, war zuerst ihre Befürchtung; und Mary war auch schon drauf und dran, wie üblich beleidigt zu sein, als Louisa sie durch die Nachricht versöhnte, daß sie nur zu Fuß gekommen sei, um mehr Platz für die Harfe zu lassen, die mit der Kutsche nachkäme.

       »Und ich will euch auch genau erzählen«, fuhr sie fort, »warum. Ich bin gekommen, um euch zu sagen, daß Papa und Mama heute abend sehr niedergeschlagen sind, besonders Mama. Sie muß immer an den armen Richard denken, und wir waren uns einig, daß die Harfe das beste wäre, denn sie macht ihr anscheinend mehr Spaß als das Klavier. Ich will euch auch sagen, warum sie so niedergeschlagen ist. Als die Crofts heute vormittag zu Besuch waren (hinterher waren sie hier, oder nicht?), haben sie zufällig erwähnt, daß ihr Bruder, Kapitän Wentworth, gerade nach England zurückgekehrt ist oder vorläufig an Land bleibt oder irgend so was und daß er sie sehr bald besuchen will, und unglücklicherweise fiel Mama, als sie gegangen waren, ein, daß der Kapitän des armen Richard früher mal Wentworth oder so was ähnliches geheißen hat, ich weiß nicht, wann oder wo, aber jedenfalls lange vor seinem Tod, der Ärmste! Und als sie seine Briefe und Sachen durchsah, stellte sie fest, daß es stimmte, und ist nun ganz sicher, daß er genau der Mann sein muß, und muß nun immer daran denken und an den armen Richard! Wir müssen also alle so vergnügt sein wie möglich, damit sie nicht immer an solche trostlosen Sachen denkt.«

       Die wahren Hintergründe dieser traurigen Familiengeschichte waren, daß die Musgroves das Unglück gehabt hatten, einen sehr schwierigen, hoffnungslosen Sohn zu haben, und das Glück, ihn zu verlieren, bevor er zwanzig war. Daß man ihn auf See geschickt hatte, weil er an Land so dumm und unausstehlich war; daß der Familie niemals viel an ihm gelegen hatte, wenn auch fast mehr, als er verdiente; daß er selten von sich hören ließ und so gut wie gar nicht vermißt wurde, als die Nachricht von seinem Tode vor zwei Jahren nach Uppercross gelangt war.

       Er war, auch wenn seine Schwestern sich nun alle Mühe um ihn gaben, indem sie ihn den »armen Richard« nannten, in Wirklichkeit nichts anderes als der dickköpfige, gefühllose, nutzlose Dick Musgrove gewesen, der, tot oder lebendig, nichts getan hatte, was ihn zu mehr als der Abkürzung seines Namens berechtigt hätte.

       Er war mehrere Jahre zur See gefahren und im Verlauf von Versetzungen, der alle Kadetten und besonders solche unterworfen sind, die jeder Kapitän los werden möchte, sechs Monate an Bord von Kapitän Frederick Wentworths Fregatte, der »Laconia«, gewesen. Und von der »Laconia« hatte er unter dem Einfluß seines Kapitäns die einzigen beiden Briefe geschrieben, die sein Vater und seine Mutter während seiner ganzen Abwesenheit je von ihm erhalten hatten; d. h. die einzigen beiden uneigennützigen Briefe. Alle anderen waren bloße Bitten um Geld gewesen. In beiden Briefen hatte er seinen Kapitän lobend erwähnt, aber sie waren so wenig daran gewöhnt, auf solche Dinge zu achten, so unaufmerksam und wenig neugierig waren sie, was Namen von Männern und Schiffen anging, daß es damals so gut wie keinen Eindruck bei ihnen hinterlassen hatte; und daß Mrs. Musgrove ausgerechnet an diesem Tag der Name Wentworth im Zusammenhang mit ihrem Sohn schlagartig einfiel, war anscheinend einer jener außergewöhnlichen Geistesblitze, die gelegentlich vorkommen.

       Sie war an ihre Briefe gegangen und hatte alles bestätigt gefunden; und das Wiederlesen dieser Briefe nach so langer Zeit, jetzt, wo ihr armer Sohn längst dahin und die Schwere seiner Fehler längst vergessen war, berührte sie sichtbar schmerzlich und rief größere Trauer um ihn hervor, als sie bei der unmittelbaren Nachricht seines Todes empfunden hatte. Mr. Musgrove war, wenn auch in geringerem Maße, ebenso bedrückt; und als sie das Cottage erreichten, war es ihnen ein offensichtliches Bedürfnis, zunächst das Thema lang und breit noch einmal

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