Charles Dickens. Charles Dickens

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Charles Dickens - Charles Dickens

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ich bemitleidete sie sehr, hielt es aber für besser, zu schweigen.

      »Ich wollte, ich wäre tot«, brach sie endlich los. »Ich wollte, wir wären alle tot. Es wäre viel besser für uns.«

      Im nächsten Augenblick kniete sie vor mir auf dem Fußboden, verbarg ihr Gesicht in meinem Kleid, bat mich leidenschaftlich um Verzeihung und weinte. Ich tröstete sie und wollte sie aufheben. Aber sie rief: »Nein, nein!« und duldete es nicht.

      »Sie haben Mädchen unterrichtet«, schluchzte sie. »Wenn Sie mir hätten Unterricht geben können, hätte ich von Ihnen lernen können! Ich bin so unglücklich und liebe Sie so sehr!«

      Ich konnte sie nicht überreden, sich neben mich zu setzen. Das einzige war, daß sie sich einen Schemel nahm und sich darauf kniete, immer noch dabei mein Kleid festhaltend.

      Allmählich schlief das arme, müde Mädchen ein, und ich hob leise ihren Kopf in die Höhe, daß er auf meinem Schoße zu ruhen kam, und deckte uns beide mit Schals zu. Das Feuer ging aus, und die ganze Nacht schlummerte sie so vor dem erkaltenden Kamin.

      Anfangs konnte ich nicht einschlafen und versuchte vergeblich, mich mit geschlossenen Augen in den Szenen des Tages zu verlieren. Langsam, sehr langsam wurden sie undeutlich und verwirrt. Ich fing an, über die Identität der auf meinem Schoße Schlummernden unklare Vorstellungen zu bekommen. Jetzt war es Ada, denn wieder eine meiner alten Freundinnen aus Reading, und es kam mir unglaubhaft vor, daß sie vor so kurzer Zeit erst Abschied von mir genommen hätten. Dann war es die kleine verrückte Alte, müde vom Knicksen und Lächeln; dann wieder eine Autoritätsperson in Bleakhaus. Zuletzt war es niemand, und auch ich war niemand.

      Der stockblinde Tag kämpfte mühsam mit dem Nebel, als ich die Augen öffnete und dem starr auf mich gehefteten Blick eines schmutzigen kleinen Gespenstes begegnete. Peepy war aus seinem Bettchen gestiegen und in seinem Nachtjäckchen und Mützchen zu mir gekrochen und fror so sehr, daß ihm die Zähne klapperten.

5. Kapitel

      Ein Morgenabenteuer

      Obgleich der Morgen rauh war und der Nebel immer noch dicht zu sein schien – ich sage 'schien' – denn die Fensterscheiben waren so mit Schmutz überzogen, daß der hellste Sonnenschein durch sie trübe ausgesehen hätte –, konnte ich mir doch das Unbehagliche eines Morgens in diesem Hause zu deutlich vorstellen und war zu neugierig auf London, um den Vorschlag Miß Jellybys, einen Spaziergang zu machen, nicht für einen guten Gedanken zu halten.

      »Mama wird so bald nicht herunterkommen«, sagte sie, »und dann wird möglicherweise das Frühstück eine Stunde später fertig. Sie trödeln so. Pa nimmt, was er kriegen kann, und geht dann ins Bureau. Ein ordentliches Frühstück hat er in seinem Leben noch nicht gehabt. Priscilla läßt ihm am Abend vorher Brot und Milch draußen, wenn welche da ist. Manchmal ist keine da, und manchmal säuft sie die Katze. Aber ich fürchte, Sie werden müde sein, Miß Summerson, und möchten sich vielleicht lieber ins Bett legen.«

      »Ich bin durchaus nicht müde, liebes Kind, und würde viel lieber ausgehen.«

      »Wenn Sie wirklich Lust haben«, sagte Miß Jellyby, »will ich mich anziehen.«

      Ada erklärte sich ebenfalls bereit mitzugehen und war bald fertig. Peepy machte ich den Vorschlag, ich wolle ihn waschen – da ich nichts Besseres für ihn tun konnte – und ihn dann wieder in mein Bett legen. Er ließ sich das mit der besten Miene, die man von ihm erwarten konnte, gefallen und glotzte mich während der ganzen Prozedur an, als wäre er in seinem ganzen Leben noch nie so erstaunt gewesen. Er sah dabei recht weinerlich aus, war aber ganz still und fiel sogleich in tiefen Schlaf, als alles vorbei war.

      Anfangs hatte ich so meine Bedenken, ob ich mir solche Freiheiten herausnehmen dürfe, aber dann fiel mir ein, daß niemand im Hause es bemerken würde.

      Das Kind zu waschen, mich anzuziehen und Ada zu helfen, machte mich bald ziemlich warm. Miß Jellyby fanden wir am Kamin im Schreibzimmer stehen, wo Priscilla mit einem rußigen Talglicht ein Feuer anzuzünden bemüht war. Damit es besser brenne, warf sie schließlich die Kerze hinein. Alles lag noch so da, wie wir es am Abend verlassen hatten, und sollte offenbar immer so bleiben. Unten war das Tischtuch nicht weggenommen, sondern für das Frühstück liegen geblieben. Krumen, Staub und zerknülltes Papier lagen überall im Hause herum. Ein paar blecherne Bierkrüge und eine Milchkanne hingen auf dem Hofgitter. Die Türe stand offen, und wir begegneten der Köchin an der nächsten Ecke, wie sie gerade aus einer Schenke kam und sich den Mund wischte. Sie sagte uns im Vorbeigehen, sie habe nachgesehen, wie spät es sei. Vorher trafen wir noch Richard, der Thavies Inn auf und ab tanzte, um sich die Füße zu wärmen. Unser frühzeitiges Erscheinen überraschte ihn höchst angenehm, und er schloß sich mit großer Freude unserm Spaziergang an.

      So nahm er Ada unter seine Obhut, und Miß Jellyby und ich gingen voraus. Miß Jellyby hatte wieder ihr mißgelauntes Wesen angenommen, und ich würde ihr nicht geglaubt haben, daß sie mich so gerne habe, wenn sie es mir nicht wiederholt gesagt hätte.

      »Wohin wollen wir gehen?« fragte sie.

      »Irgendwohin, liebes Kind.«

      »Irgendwohin heißt nirgendshin«, sagte sie und machte störrisch halt.

      »Nun, so machen Sie selbst einen Vorschlag!«

      Sie fing darauf an, sehr rasch zu gehen.

      »Mir ist alles gleich«, rief sie aus. »Sie haben es gehört, Miß Summerson, ich sage, mir ist alles gleich – aber wenn er auch mit seiner glänzenden buckligen Stirn jeden Abend zu uns käme, bis er so alt wäre wie Methusalem, würde ich kein Wort mit ihm sprechen. Zu was für Eseln er und Mama sich machen!«

      »Aber Kind«, mußte ich sagen, »Ihre Pflicht als Tochter –«

      »Ach, sprechen Sie mir nicht von Kindespflicht, Miß Summerson; erfüllt Mama vielleicht ihre Mutterpflicht? Immerfort Afrika und Öffentlichkeit! Soll Afrika und die Öffentlichkeit Kindespflicht an den Tag legen; sie haben mehr damit zu tun als ich! Das empört Sie wahrscheinlich! Nun, mich empört's auch; so empört uns die Sache beide, und damit Schluß.«

      Sie führte mich noch schneller die Straße entlang.

      »Aber trotz alledem, ich sage noch einmal, mag er kommen und kommen und wieder kommen, ich habe mit ihm nichts zu schaffen. Ich kann ihn nicht ausstehen. Wenn ich etwas auf der Welt hasse und verabscheue, so ist es das Zeug, was er und Mama miteinander schwatzen. Ich wundere mich nur, daß die Pflastersteine vor unserm Haus Geduld haben, dort zu bleiben und Zeuge zu sein von solchen Widersprüchen und all dem hohltönenden Unsinn und von Mamas Wirtschaft.«

      Sie konnte natürlich nur Mr. Quale meinen, den jungen Herrn, der gestern nach dem Essen erschienen war.

      Aus der unangenehmen Lage, mehr über dieses Thema hören zu müssen, retteten mich Richard und Ada, indem sie uns jetzt in scharfem Schritt nachkamen und lachend fragten, ob wir einen Wettlauf veranstalten wollten. So unterbrochen, wurde Miß Jellyby still und ging mürrisch neben mir her, während ich den häufigen Szenenwechsel und die Verschiedenartigkeit der Straßen bewunderte und die vielen schon so früh umhereilenden Leute, die Menge Wagen, die Geschäftigkeit beim Auskehren der Läden und beim Arrangieren der Auslagen und die seltsamen zerlumpten Gestalten, die verstohlen im Kehricht nach Nadeln und anderm Abfall wühlten, anstaunte.

      »Schauen Sie nur, Kusine«, sagte hinter mir Richards heitere Stimme zu Ada, »es scheint, als sollten wir gar

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