Charles Dickens. Charles Dickens

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Charles Dickens - Charles Dickens

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seine Farbe verloren, und auch Richard war kaum weniger blaß. Wenn auch mich der Prozeß selbst nichts anging, so konnte ich mich doch nicht wundern, daß für ungeprüfte und jugendliche Herzen die Aussicht etwas Erschütterndes hatte, die Erbschaft eines jahrzehntelang hingeschleppten Elends, das für so manchen mit so schrecklichen Erinnerungen verknüpft war, dereinst antreten zu müssen. Ich dachte, die peinliche Erzählung würde auch auf die arme halbverrückte Alte einen tiefen Eindruck gemacht haben, aber zu meiner Verwunderung blieb sie vollkommen gleichgültig und führte uns ruhig die Treppen hinauf. Dabei gab sie uns, nachsichtig wie ein höheres Wesen gegenüber den Schwächen eines gewöhnlichen Sterblichen, zu verstehen, ihr Hauswirt sei »ein klein wenig – ver- Sie verstehen schon!«

      Sie wohnte im obersten Stock in einem ziemlich großen Zimmer, von dem sie eine Aussicht auf das Dach der Lincoln's-Inn-Hall hatte. Dies schien sie ursprünglich hauptsächlich veranlaßt zu haben, ihre Wohnung hier aufzuschlagen.

      Sie könne des Nachts hinsehen, sagte sie, besonders im Mondschein.

      Das Zimmer war reinlich, aber sehr, sehr kahl. Von Möbeln konnte ich nur das Allernotwendigste bemerken; ein paar alte, aus Büchern gerissene Kupferstiche, Kanzler und Advokaten darstellend, waren mit Oblaten an die Wand geklebt, und ein halbes Dutzend Strickbeutel »mit Dokumenten«, wie sie sagte, hingen herum. Im Roste lagen weder Kohlen noch Asche, und Kleidungsstücke oder Lebensmittel waren nirgends zu bemerken. Auf einem Brett in einem offenen Küchenschrank standen ein paar Teller, eine Tasse und ähnlicher Hausrat; aber alles war bestaubt und leer. Das kümmerliche, spitze Aussehen der Alten kam mir jetzt, wo ich mich umgesehen, ergreifender vor als zuvor.

      »Ich fühle mich außerordentlich geehrt«, sagte sie unendlich süßlich, »durch diesen Besuch der Mündel in Sachen Jarndyce. Und ich bin Ihnen außerordentlich für dieses gute Vorzeichen verbunden. Es ist eine stille Lage. Verhältnismäßig. Ich bin in der Wahl meiner Wohnung beschränkt wegen der Notwendigkeit, den Gerichtssitzungen beiwohnen zu müssen. Ich lebe seit vielen Jahren hier. Meine Tage bringe ich im Gerichtssaal zu. Meine Abende und meine Nächte hier. Die Nächte werden mir lang, denn ich schlafe wenig und denke viel. Das ist natürlich unvermeidlich. Denn es gehört zum Kanzleigericht. Ich kann Ihnen leider keine Schokolade anbieten. Ich erwarte binnen kurzem ein Urteil und werde dann meine Wirtschaft auf größerem Fuße einrichten. Für jetzt gestehe ich den Mündeln in Sachen Jarndyce ohne Beschämung, aber in tiefstem Vertrauen, daß es mir manchmal schwer fällt, den äußern Schein der Wohlanständigkeit zu wahren. Ich habe hier gefühlt, was Kälte heißt. Ich habe noch Schlimmeres gefühlt als Kälte. Doch das tut nichts. Bitte entschuldigen Sie, daß ich von so banalen Dingen rede.«

      Sie zog den Vorhang des langen niedrigen Dachfensters etwas zurück und machte uns auf eine Anzahl dort hängender Käfige aufmerksam. Es waren Lerchen, Hänflinge und Gimpel darin; mindestens zwanzig.

      »Ich fing an, die Tierchen in einer Absicht zu halten, die die Mündel leicht verstehen werden. In der Absicht, ihnen die Freiheit zu geben. Sowie das Urteil erfließen würde. Ja-a! Und dennoch sterben sie im Käfig. Das Leben der armen Dinger ist so kurz im Vergleich mit Kanzleigerichtsprozessen, daß die ganze Sammlung schon mehr als ein Mal ausgestorben ist. Wissen Sie, daß ich sehr zweifle, ob ein einziges von ihnen, so sehr jung sie noch sind, jemals den Tag seiner Freilassung erleben wird? Unendlich traurig, nicht wahr?«

      – Wenn sie eine Frage stellte, schien sie selten eine Antwort zu erwarten, sondern schwatzte immer fort, als ob sie sich das so bei ihrem Alleinsein angewöhnt hätte. –

      »Wahrhaftig, ich kann Ihnen versichern, manchmal fange ich an zu glauben, daß man mich, während die Sache immer noch nicht abgemacht und das sechste oder Große Siegel immer noch geschlossen ist, auch eines Tages hier tot und starr finden wird, wie ich schon so manchen Vogel im Käfig gefunden habe.«

      Richard, Adas mitleidigen Blick verstehend, benützte die Gelegenheit, um leise und unbemerkt etwas Geld auf den Kaminsims zu legen. Wir traten alle näher an die Käfige und stellten uns, als betrachteten wir die Vögel.

      »Ich darf sie nicht oft singen lassen«, erklärte die kleine Alte. »Sie werden es seltsam finden, der Gedanke macht mich verwirrt, daß sie singen, während ich der Beweisführung im Gerichtshof folge, und ich muß mir den Kopf so außerordentlich klar erhalten. Sie verstehen! Ein andermal will ich Ihnen ihre Namen sagen. Jetzt nicht. An einem Tag von so guten Vorzeichen sollen sie singen, soviel sie wollen. Zum Preis und Lob der Jugend« – sie lächelte und knickste – »der Hoffnung« – sie lächelte und knickste. »So! Wir wollen volles Licht hereinlassen.«

      Die Vögel fingen an zu flattern und zu zirpen.

      »Ich kann nicht frische Luft hereinlassen«, begann die kleine Alte wieder – das Zimmer war dumpfig und hätte einer Lüftung dringend bedurft –, »weil die Katze unten – Lady Jane – ihnen nach dem Leben trachtet. Sie lauert am Fenstersims stundenlang. Und ich habe entdeckt«, flüsterte sie uns geheimnisvoll zu, »daß ihre natürliche Grausamkeit geschärft wird durch die Furcht, sie könnten eines Tages in Freiheit gesetzt werden. Infolge des bevorstehenden Urteils. Sie ist schlau und voll Tücke. Manchmal glaube ich so halb und halb, sie ist gar keine Katze, sondern so etwas wie der Wolf aus dem alten Märchen. Es ist so schwierig, sie vom Zimmer fern zu halten.«

      Die Schläge der benachbarten Turmuhr, die die Arme daran erinnerten, daß es halb zehn sei, trug mehr zur Beendigung unseres Besuchs bei, als wir selbst hätten tun können. Sie nahm hastig ihren kleinen Dokumentenbeutel, den sie beim Hereintreten auf den Tisch gelegt hatte, und fragte uns, ob wir auch mit in den Gerichtssaal gingen. Als wir verneinten und sie um keinen Preis aufhalten wollten, öffnete sie die Tür, um uns zur Treppe zu geleiten.

      »Bei einem so guten Omen ist es sogar notwendiger als gewöhnlich, daß ich dort bin, ehe der Kanzler kommt«, sagte sie, »falls er meine Sache gleich vornehmen sollte. Ich habe eine Ahnung, daß sie wirklich heute morgen zuerst dran kommt.«

      Auf der Treppe blieb sie stehen und verriet uns flüsternd, das ganze Haus sei mit allerlei Gerumpel angefüllt, das ihr Wirt stückweise gekauft habe und um keinen Preis mehr hergeben würde, – weil er ein wenig – ver – – – – sei.

      Das war auf dem ersten Treppenabsatz. Im zweiten Stock war sie schon ein Mal stehen geblieben und hatte bloß schweigend auf eine dunkle Tür gedeutet.

      »Der einzige andre Mieter außer mir!« flüsterte sie erklärend. »Ein Advokatenschreiber. Die Kinder auf der Gasse sagen, er hätte sich dem Teufel verkauft. Ich möchte nur wissen, wo er das Geld hingetan haben sollte. Sst!« –

      Sie schien sogar hier zu fürchten, daß der Mietsmann oben sie hören könnte, sagte immerwährend: »Sst!« und ging auf den Zehen vor uns her, als ob der Schall der Tritte ihm schon verraten könnte, was sie gesagt hatte.

      Als wir durch den Laden das Haus verlassen wollten, fanden wir den Alten beschäftigt, eine Anzahl Pakete Makulatur in eine Art Brunnen im Fußboden zu packen. Es schien ihn sehr anzustrengen, denn der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Mit einem Stück Kreide malte er jedes Mal einen Haken auf das Wandgetäfel, wenn er einen Pack Papier verstaut hatte.

      Richard, Ada, Miß Jellyby und die kleine Alte waren an ihm vorbeigegangen, und ich wollte ihnen gerade folgen, als er meinen Arm berührte, damit ich bleiben sollte, und den Buchstaben J. an die Wand malte; – auf eine sehr seltsame Weise, indem er mit dem untern Ende des Buchstabens anfing und ihn nach rückwärts schrieb. Es war ein Anfangsbuchstabe, nicht von der Form eines gedruckten, sondern von der Art, wie ihn ein Schreiber aus der Kanzlei Kenge & Carboy gemacht haben würde.

      »Können Sie ihn lesen?« fragte er mich mit einem stechenden Blick.

      »Natürlich. Er ist sehr

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