Charles Dickens. Charles Dickens
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Wir traten daher alle, ermutigt durch Richards fröhliche Laune und auf seinen Schutz vertrauend, ein.
»Mein Hauswirt Krook«, stellte die kleine Alte mit großer Herablassung den Ladeninhaber vor. »Seine Nachbarn nennen ihn den Lordkanzler. Sein Laden heißt: Der Kanzleigerichtshof. Ein sehr exzentrischer Mann. Kurioser Kauz. Ich versichere Ihnen, er ist sehr sonderbar.«
Sie nickte wiederholt und deutete mit dem Finger auf die Stirn, um auszudrücken, daß wir ihm etwas zugute halten müßten.
»Er ist ein klein wenig – Sie wissen schon – ver –«, sagte sie mit gnädiger Herablassung. Der Alte überhörte es scheinbar und lachte.
»Es ist schon wahr«, sagte er, als er uns mit der Laterne vorausleuchtete, »daß sie mich den 'Lordkanzler' und meinen Laden 'Das Kanzleigericht' nennen. Aber warum glauben Sie wohl, nennen sie mich den 'Lordkanzler' und meinen Laden 'Das Kanzleigericht?'«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Richard ziemlich gleichgültig.
»Sie müssen wissen«, der Alte blieb stehen und drehte sich um, »daß sie... Hi! Ist das aber ein schönes Haar! Ich habe drei Säcke voll Frauenhaar unten im Keller, aber keins ist so schön und weich wie dieses. Was für eine Farbe, und die Geschmeidigkeit!«
»Ich dächte, lieber Freund«, sagte Richard, es höchlichst mißbilligend, daß der Alte eine von Adas Locken durch seine gelbe Hand gleiten ließ, »Sie könnten es bewundern, wie wir andern, ohne sich diese Freiheit zu nehmen.«
Mr. Krook schoß einen so scharfen Blick auf ihn, daß es sogar meine Aufmerksamkeit von Ada ablenkte, die erschrocken und errötend so merkwürdig schön aussah, daß sie selbst die ruhelosen Augen der kleinen Alten zu fesseln schien, – aber da Ada sich einmischte und lachend sagte, sie könne auf eine so ungeschminkte Bewunderung nur stolz sein, beruhigte sich Mr. Krook schnell wieder.
»Sie sehen, ich habe soviel Sachen hier«, fuhr er fort und leuchtete mit der Laterne herum, »so vielerlei, – und alles, wie die Nachbarn, die es nicht verstehen, meinen, nur zum Vermodern, daß man mich und meinen Laden deshalb so getauft hat. Ich habe viele alte Pergamente und Papiere in meinem Lager und eine Vorliebe für Rost und Moder und Spinnweben. Alles, was Fisch ist, geht mir ins Netz. Und es ist mir ganz unmöglich, etwas wieder herauszugeben, was ich einmal habe – so denken wenigstens meine Nachbarn, aber was verstehen die davon –, oder etwas zu ändern, rein machen oder fegen oder ausbessern zu lassen. Dadurch habe ich den Spitznamen 'Kanzleigericht' bekommen. Mir ist das einerlei. Ich besuche meinen vornehmen und gelehrten Kollegen so ziemlich jeden Tag, wenn er im Gericht Sitzung hat. Er beachtet mich nicht, aber ich beachte ihn. Der Unterschied zwischen uns ist nicht groß. Wir wühlen beide in altem Plunder. Hi, Lady Jane!«
Eine große, graue Katze sprang von einem nahen Brett auf seine Achsel und erschreckte uns alle.
»Hi! Zeig ihnen, wie du kratzen kannst. Hi! Kratz, Lady Jane!« Die Katze sprang auf den Boden und hakte ihre tigerartigen Krallen in ein Bündel Hadern. Es gab einen Ton, der mir durch Mark und Bein ging.
»So macht sie es mit jedem Lebendigen auch, auf den ich sie hetze«, sagte der Alte. »Ich handle unter anderm auch mit Katzenfellen, und ihres wurde mir ebenfalls angeboten. Es ist ein sehr schönes Fell, wie Sie sehen, aber ich habe es ihr nicht über die Ohren gezogen! Das war nicht Kanzeleigerichtsbrauch, werden Sie sagen.«
Wir waren jetzt durch den Laden gegangen, und er öffnete eine Hintertür, die auf den Hausflur führte. Während er, die Hand auf das Türschloß gelegt, dastand und uns hinausgehen ließ, bemerkte die kleine Alte gnädig zu ihm:
»Schon gut, Krook. Sie meinen es gut, sprechen aber zuviel. Meine jungen Freunde haben Eile. Ich habe selbst auch keine Zeit übrig und muß bald in die Sitzung. Meine jungen Freunde sind die Mündel in Sachen Jarndyce.«
»Jarndyce!« fuhr der Alte auf.
»In Sachen Jarndyce kontra Jarndyce. In dem großen Prozeß, Krook!«
»Hi!« rief der Alte in einem Ton gedankenvollen Staunens und starrte uns mit noch größeren Augen an als vorher. »Da denke einer!«
Er schien auf einmal so in Gedanken versunken zu sein und sah uns so sonderbar an, daß Richard zu ihm sagte:
»Sie scheinen sich sehr um die Prozesse vor Ihrem vornehmen und gelehrten Kollegen, dem andern Kanzler, zu bekümmern?«
»Ja«, erwiderte der Alte grüblerisch. »Gewiß! Ihr Name muß sein –«
»Richard Carstone.«
»Carstone«, wiederholte er und zählte langsam seine Finger ab. »Ja. Dann ist da der Name Barbary, der Name Clare und der Name Dedlock, glaube ich.«
»Er weiß wahrhaftig von dem Prozeß soviel wie der wirkliche bezahlte Kanzler«, sagte Richard ganz erstaunt zu Ada und mir.
Langsam erwachte der Alte aus seinem Träumen. »Ja! Tom Jarndyce – Sie werden entschuldigen, daß ich so sage, aber man kannte ihn hier unter keinem andern Namen und kannte ihn so gut wie – diese hier.« – Er deutete mit einem leichten Nicken auf seine Mieterin; »Tom Jarndyce war oft hier im Laden. Er hatte sich ein ruheloses Herumlaufen angewöhnt, während sein Prozeß verhandelt wurde, und ließ sich in Gespräche ein mit den kleinen Ladeninhabern und riet ihnen, sich um jeden Preis von dem Kanzleigericht fernzuhalten; denn, sagte er, im Kanzleigericht sein, heißt Stück für Stück von einer langsamen Mühle gemahlen, von einem langsamen Feuer gebraten, von einzelnen Bienen zu Tode gestochen, tropfenweise ertränkt werden, schrittweise den Verstand verlieren. Er war so nahe daran, mit sich ein Ende zu machen, als man nur sein kann, auf derselben Stelle hier, wo jetzt die junge Dame steht.«
Wir hörten mit Grausen zu.
»Er kam zur Türe herein«, fuhr der Alte fort und bezeichnete mit dem Finger langsam und gespenstisch einen Pfad durch den Laden. »Er kam an dem Tage, wo er es tat, zu der Türe dort herein – die ganze Nachbarschaft hatte schon seit Monaten gesagt, er werde es ganz gewiß tun, früher oder später – und setzte sich auf eine Bank, die damals dort in der Ecke stand, und bat mich, ihm eine halbe Flasche Wein zu holen. Denn, sagte er, 'Krook, ich bin sehr niedergedrückt; meine Sache wird wieder verhandelt, und ich glaube, ich bin dem Richterspruch näher als je.'
Ich wollte ihn nicht allein lassen und überredete ihn, in die Taverne drüben auf der andern Seite der Kanzleigerichtsgasse zu gehen; und ich ging ihm nach und blickte zum Fenster hinein und sah ihn ganz gemütlich, wie ich glaubte, in einem Lehnstuhl am Feuer sitzen, und Gesellschaft bei ihm. Aber kaum war ich wieder in meinem Laden, hörte ich einen Schuß drüben. Ich lief auf die Straße – die Nachbarn liefen auf die Straße – und zwanzig von uns schrieen auf einmal: Tom Jarndyce!«
– Der alte Mann hielt inne, sah uns scharf an, sah die Laterne an, blies das Licht aus und machte sie dann zu. –
»Wir hatten es erraten, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Hi! Wie die Nachbarschaft in den Gerichtssaal strömte, als noch am selben Nachmittag der Prozeß zur Verhandlung kam! Wie mein vornehmer und gelehrter Kollege und all die andern übrigen wie gewöhnlich das alte Lied herunterleierten und sich Mühe gaben, ein Gesicht zu machen, als ob sie kein Wort