Vendetta Colonia. Peter Wolff

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in den 60er Jahren neben 14 000 deutschen Lohnempfängern 7000 Ausländer. Ein Bettplatz in den Wohnheimen kostet zehn Mark Wochenmiete, das Mittagessen in der Kantine 60 Pfennig (20).

      Borna Krupcic bezieht bereits zehn Tage nach seiner Ankunft ein Zimmer im Ford-Wohnheim. Er lebt sich schnell in Köln ein, verbringt viel Zeit bei den Krastics und findet auch schnell Kontakt zu anderen Gastarbeitern.

      Zweimal in der Woche telefoniert Borna mit seiner Familie, was in den 60er Jahren bisweilen noch ein schwieriges Unterfangen ist.

      „Zdravo tata. Hallo Papa.“

      „Borna, mein Junge! Wie geht es Dir?“

      „Ihr fehlt mir natürlich sehr, aber ansonsten geht es mir gut. Ich habe bereits ein eigenes Zimmer und die Arbeit klappt auch immer besser.“.

      „Ich wusste, dass Du das schaffst, moj sin.“

      „Wie steht es denn um Euch?“

      „Die Kleinen vermissen Dich natürlich. Deine Frau auch. Sie bringt die beiden gerade ins Bett. Soll ich Ana an den Hörer holen?“

      „Nein, lass' Sie sich in Ruhe um die Kinder kümmern.“

      „Willst Du majka noch kurz sprechen.“

      „Ja, gern.“

      „Mein Sohn, wie schön, von Dir zu hören!“

      „Mutter! Ich umarme Dich!“

      „Wir sind unheimlich stolz auf Dich, dass Dir der Start so gut gelungen ist.“

      „Es wurde mir hier auch sehr leicht gemacht. Hier arbeiten einige Landsleute, wir unterstützen uns alle gegenseitig.“

      „So soll es sein, mein Junge. Lass' uns jetzt aufhören, das wird zu teuer für Dich.“

      „Ich melde mich in zwei oder drei Tagen wieder bei Euch, Kuss für Ana und die Decki.“

      07

      Alfredo Bugno fällt erschöpft ins Bett. Endlich Urlaub. Eigentlich wollte er sich einer Wandergruppe anschließen, die in der Umgebung des Monte Amiata, mit 1739 Metern die höchste Erhebung in der Toskana (21), eine fünftägige Tour geplant hat.

      Aber seine Nervenerkrankung ist fortgeschritten, und die unkontrollierten Zuckungen und Bewegungen, die er in infolge seines Tourette-Syndroms zunehmend macht, lassen eine längere Wanderreise kaum zu.

      Statt dieser hat sich Alfredo vorgenommen, an seinen freien Tagen zwei weitere Ärzte zu konsultieren, die im Ruf stehen, auf dem Gebiet der nervlichen Erkrankungen Spezialisten zu sein. Irgendwie muss es ihm gelingen, der Krankheit Einhalt zu gebieten.

      Alfredo hat einen sicheren Arbeitsplatz in der Fertigung des Automobilherstellers Fiat am Lingotto, dem legendären Hauptsitz von Fiat im Süden Turins.

      Gegründet wird die Firma Fiat am 11. Juli 1899 von neun Personen. Einer von ihnen ist Giovanni Agnelli senior, der Großvater von Gianni Agnelli, unter dem Fiat in den 60er Jahren zu einer großen europäischen Marke wird (22).

      Alfredo ist an der Produktion des Fiat Nuova 500 beteiligt und fest in die zunehmend beschleunigte Fertigung des Automobils eingebunden.

      Nehmen die Tics weiter zu, wird er seinen Job kaum weiter zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ausführen können.

      Mario Stroppa, der zu jener Zeit als Fertigungsleiter in Turin arbeitet, ist ein guter Freund der Familie Scirelli.

      Er ist entschlossen, solange es eben geht an Alfredo Bugno, dem Cousin von Guiseppe Sicrelli, festzuhalten.

      Er denkt daran, ihn demnächst in einen anderen Teil des Produktionsprozesses einzubinden, der eher mit seinen krankheitsbedingten unkontrollierten Bewegungen vereinbar scheint.

      Just in den Tagen, an denen sich Alfredo Bugno auf den neuesten Wissensstand bezüglich seiner Erkrankung bringt, erreicht Mario Stroppa ein Anruf von Guiseppe Scirelli:

      „Ciao Guiseppe, das ist ja eine schöne Überraschung. Wir haben lange nicht mehr gesprochen“

      „Ti saluto! Wie geht es Dir, Mario?“

      „Bestens, ich kann nicht klagen. Und Dir und der Familie?“

      „Soweit auch tutto bene, alles gut.“

      „Wir müssen uns einmal wiedersehen, Guiseppe.“

      „Ja, das müssen wir. Warum ich anrufe, Mario...“

      „Ja?“

      „Es geht um Alfredo. Denkst Du, dass er den Anforderungen in Deinem Betrieb noch gewachsen ist? Ich habe da meine Bedenken.“

      „Der Junge legt sich wirklich mächtig ins Zeug. Er scheint mir wild entschlossen, sich hier trotz der Sache zu beweisen.“

      „Certo, aber es steht wirklich nicht gut um ihn. Diese Krankheit...Ich weiß nicht, ob man Alfredo einen Gefallen tut, wenn er sich in diesem Zustand noch der Öffentlichkeit zeigt.“

      „Was soll das heißen?“

      „Es gibt da ein noch recht neues Wohnheim in der Nähe von Bergamo.“

      „Und?“

      „Ich denke, das ist das Beste für Alfredo. Es gibt dort eine Behindertenwerkstatt und es wird selbst gekocht.“

      „Behindertenwerkstatt? Alfredo ist doch nicht behindert!“

      „Wie würdest Du das denn nennen, Mario?“

      „Ich weiß es nicht, aber...“

      „Du siehst doch selbst, wie es immer schlimmer wird mit seinen Anfällen. Wofür ihn weiter auf der Arbeit quälen?“

      „Er liebt seine Arbeit. Ich glaube nicht, dass er sich bereits im jetzigen Stadium der Krankheit quält. Man sollte...“

      „Mario, wir brauchen das an der Stelle nicht weiter zu diskutieren. Ich habe einen Arzt, der Alfredo die Berufsunfähigkeit attestiert. Es ist bereits ein Platz im Pflegeheim reserviert.“

      „Du willst Deinen eigenen Cousin ins Pflegeheim abschieben?“

      „Wir haben keine andere Wahl.“

      „Das sehe ich anders. Ich habe schon überlegt, ihm eine etwas weniger anspruchsvolle Tätigkeit zu übertragen.“

      „Die Famiglia hat entschieden. Nach seinem Urlaub sprichst Du Alfredo die Kündigung aus. Seine Wohnung in Turin habe ich bereits gekündigt.“

      Guiseppe Scirelli legt den Hörer auf.

      Mario Stroppa sitzt mit offenem Mund in seinem Bürostuhl und ist völlig perplex. Wie kann man einen jungen Mann derart aus dem Leben reißen? Wie kann es den Scirellis dermaßen wichtig sein, Alfredo so schnell wie möglich aus der Öffentlichkeit zu ziehen und ihn in ein abgelegenes

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