Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens

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den Hut, der eher wie ein Bausch zum Tragen von Lasten aussah, aufsetzte, verfing sich derselbe in ihrem wallenden Haar und konnte nicht gleich wieder losgemacht werden. Die gute Mrs. Brown zog eine Schere heraus und geriet in einen unerklärlichen Zustand von Aufregung.

      »Warum konntest du mich nicht gehen lassen, du kleine Närrin, nachdem ich zufrieden war?« sagte Mrs. Brown.

      »Verzeiht mir«, keuchte Florence; »ich weiß ja nicht, was ich getan habe, und konnte nicht dafür.«

      »Konntest du nicht dafür?« rief Mrs. Brown. »Und weshalb glaubst du, daß ich dafür kann? Ach Himmel!« sagte die Alte, indem sie mit wütender Lust die Locken der Kleinen durchwühlte, »jedermann außer mir würde es zuerst auf sie abgesehen haben.«

      Florence fühlte sich erleichtert, als sie fand, daß Mrs. Brown nur nach ihrem Haar, nicht nach ihrem Kopf verlangte; sie ließ sich darum alles ohne Widerstand oder Bitte gefallen und richtete bloß ihre unschuldigen Augen zu dem Gesicht der guten Seele auf.

      »Wenn ich nicht selbst einmal ein Mädel gehabt hätte – jetzt weit über dem Meer drüben – das auf ihr Haar stolz war«, sagte Mrs. Brown, »so müßte jedes Löckchen mir gehören. Sie ist weit weg! Oho! oho!«

      Der Ausruf von Mrs. Brown war nicht melodisch; sie warf aber dabei voll leidenschaftlichen Grams ihre abgezehrten Arme in die Höhe, und das ging Florence so zu Herzen, daß sie sich mehr als je fürchtete. Vielleicht lag hierin auch der Grund, daß ihre Locken geschont wurden; denn nachdem Mrs. Brown sie einige Augenblicke gleich einer neuen Art von Schmetterling mit ihrer Schere umschwebt hatte, befahl sie ihr, sich den Kopf mit dem Hut zu bedecken und keine Spur von ihren Haaren blicken zu lassen, damit sie nicht in weitere Versuchung geführt werde. Nach diesem Sieg über sich selbst setzte sich die Alte wieder auf die Knochen nieder und rauchte mummelnd eine kurze schwarze Pfeife mit einer Gier, als ob sie das Rohr essen wolle.

      Sobald die Pfeife ausgeraucht war, gab sie der Kleinen eine Kaninchenhaut über den Arm, damit sie sich wie ihre gewöhnliche Begleiterin ausnehmen möchte, und bedeutete ihr sodann, sie wolle sie jetzt nach einer Hauptstraße hinführen, wo sie sich nach dem Weg zu ihren Freunden erkundigen könne. Zugleich aber warnte sie Florence unter Drohungen summarischer und tödlicher Rache für den Fall eines Ungehorsams und verbot ihr, ja keine Fremden anzureden oder sich nach ihrem eigenen Hause zu begeben, das vielleicht für Mrs. Browns Bequemlichkeit zu nahe lag, sondern das Geschäftslokal ihres Vaters in der City aufzusuchen. Ferner sollte sie an der Straßenecke, wohin sie gebracht würde, warten, bis die Uhr drei geschlagen hätte. Diesen Weisungen gab Mrs. Brown noch größeren Nachdruck durch die Versicherung, daß sie mächtige Augen und Ohren im Dienst habe, die alles Tun und Treiben des Mädchens genau beobachten würden, und Florence versprach, allem, was ihr geboten worden, treu und eifrig nachzukommen.

      Endlich brach Mrs. Brown auf und führte ihre so umgewandelte und zerlumpte kleine Freundin durch ein Labyrinth von engen Straßen, Gassen und Gäßchen, bis sie nach langer Zeit in einen Stallhof mit einer Einfahrt gelangten, in welchem das Getümmel einer belebten Hauptstraße hörbar war. Hier tat die Alte noch einen Abschiedsgriff nach den Locken des Kindes – ganz unwillkürlich und aus unbewältigbarem Impulse, wie es schien – deutete aber dann nach dem Tore hin und teilte Florence mit, wenn es drei geschlagen habe, solle sie sich nach links wenden; sie wisse jetzt, was sie zu tun habe, und solle danach handeln, aber dabei nicht vergessen, daß sie aufs schärfste beobachtet werde.

      Mit leichterm Herzen, aber noch immer in großer Angst fühlte sich Florence nun befreit und eilte nach der Ecke hin. Dort angelangt schaute sie zurück und bemerkte noch den Kopf der guten Mrs. Brown, der zu dem niedrigen hölzernen Gang heraussah, wo die Abschiedseinschärfungen erteilt worden waren, zugleich aber auch die Faust, mit der die gute Mrs. Brown ihr drohte. Sooft sie aber auch später wieder zurückschaute – und sie tat das in ihrer erschreckten Erinnerung an die Alte jede Minute – konnte sie nichts mehr von ihr entdecken.

      Florence blieb, wo sie war, und schaute in das Gewühl auf der Straße, durch das sie immer noch mehr verwirrt wurde. Mittlerweile schienen die Glocken darauf versessen zu sein, nie und nimmermehr drei Uhr zu schlagen. Endlich klang es von dem Kirchturme herab – einer davon war ganz in der Nähe, und es konnte keine Täuschung obwalten. Die Kleine schaute oft über ihre Schulter zurück, ging oft ein Streckchen weit und kam ebensooft wieder nach der alten Stelle, damit die allgewaltigen Spione der Mrs. Brown keinen Anstoß nehmen sollten; dann aber eilte sie, so schnell es in ihren Schlappschuhen möglich war, mit ihrem Kaninchenfell in der Hand weiter.

      Von den Geschäftslokalen ihres Vaters wußte sie weiter nichts, als daß sie Dombey und Sohn gehörten und daß diese Firma eine große zur City gehörige Macht war. Sie konnte daher nur nach Dombey und Sohn in der City fragen und erhielt, da sie sich hauptsächlich mit ihren Erkundigungen an Kinder wendete, weil sie sich scheute, erwachsene Personen um Auskunft zu bitten, sehr ungenügende Erwiderungen. Es gelang ihr aber doch durch ihre Nachfragen, die sie vorderhand nur auf den Weg nach der City beschränkte, allmählich dem Herzen jener großen Region näher zu kommen, die durch den schrecklichen Lord-Mayor beherrscht wird.

      Müde vom Gehen, allenthalben hin und her gestoßen, betäubt von dem Lärm und der Verwirrung, voll Angst um ihren Bruder und die Wärterinnen, erschreckt durch das Vorgefallene und durch die Aussicht, ihrem zornigen Vater in einem so veränderten Zustand entgegenzutreten, wankte Florence mit tränenvollen Augen auf ihrem Wege weiter und konnte sich's nicht erwehren, ein- oder zweimal haltzumachen, um ihr übervolles Herz durch ein bitterliches Weinen zu erleichtern. Aber in dem Gewande, das sie trug, achteten bei solchen Gelegenheiten nur wenige Leute auf sie, oder wenn es auch geschah, so glaubte man, sie sei dazu angehalten, um Mitleid zu erregen, und ging weiter. Doch bot die Kleine all die Festigkeit und Selbstzuversicht eines Charakters, der durch traurige Erfahrungen frühzeitig geprüft und gereift ist, auf und strebte stetig dem Ziele zu, das sie im Auge hatte.

      Volle zwei Stunden später, nachdem sie ihren letzten abenteuerlichen Gang angetreten, gelangte sie aus dem Lärm einer engen Straße voller Karren und Frachtwagen nach einer Art Werft oder einem Landungsplatz an der Flußseite, wo viel Gepäck, Fässer und Kisten umherlagen. Neben einer großen hölzernen Wage stand ein kleines Bretterhaus auf Rädern, vor dem ein stämmiger Mann pfeifend, die Feder hinter dem Ohr und die Hände in der Tasche, als ob sein Tagwerk bald zu Ende sei, nach den benachbarten Masten und Booten hinsah.

      »Was willst du?« sagte der Mann, der sich zufällig nach ihr umdrehte. »Wir haben nichts für dich, Mädchen. Mach', daß du fortkommst!«

      »Mit Erlaubnis, ist hier die City?« fragte die zitternde Tochter der Dombeys.

      »Ja, freilich ist es die City, aber ich denke mir, du weißt das ebenso gut. Marsch da! Wir haben nichts für dich.«

      »Ich verlange nichts, danke Euch«, lautete die schüchterne Antwort. »Ich möchte nur den Weg zu Dombey und Sohn wissen.«

      Der Mann, der sorglos auf sie zugegangen war, schien über diese Antwort in Staunen zu geraten; er sah ihr aufmerksam ins Gesicht und erwiderte:

      »Der Tausend, was kannst du von Dombey und Sohn wollen?«

      »Nur den Weg dahin, wenn ich bitten darf.«

      Der Mann sah sie noch neugieriger an und rieb sich vor Verwunderung den Hinterkopf so eifrig, daß ihm der Hut herunterflog.

      »Joe!« rief er einem andern Manne, einem Arbeiter zu, während er seine Kopfbedeckung aufhob und sie wieder aufsetzte.

      »Was verlangt Ihr von Joe?« versetzte der Angerufene.

      »Wo ist denn der junge Bursch von Dombey, der die Aufsicht über die Einschiffung der Güter hat?«

      »Eben

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