Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens

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Miß Dombey«, sagte Walter, ihm im Weitergehen nachsehend, »wir wollen uns beeilen, daß wir schnell zu meinem Onkel kommen. Habt Ihr je Mr. Dombey von dem jüngeren Mr. Carter sprechen hören, Miß Florence?«

      »Nein«, erwiderte das Kind sanft; »ich höre den Papa nicht oft sprechen.«

      »Ach ja, es ist wahr; um so mehr Schande für ihn«, dachte Walter. Nach einer kurzen Pause, während welcher er auf das sanfte, geduldige Antlitz an seiner Seite niedergesehen hatte, bemühte er sich mit seiner gewohnten knabenhaften Lebhaftigkeit und Unruhe, den Gesprächsgegenstand zu ändern; und da ganz gelegen jetzt wieder einer von den unglücklichen Schuhen zurückblieb, machte er Florence den Vorschlag, er wolle sie auf den Armen nach dem Hause seines Onkels tragen. Trotz ihrer Ermüdung lehnte die Kleine lachend den Vorschlag ab, weil er sie fallen lassen könnte. Sie waren dem hölzernen Midshipman schon ziemlich nahe, und da Walter fortfuhr, verschiedene Vorgänge bei Schiffskatastrophen und andern ergreifenden Vorfällen zu erzählen, wo jüngere Knaben als er viel ältere Mädchen als Florence gerettet und triumphierend davongetragen hätten, so befanden sie sich noch in voller Unterhaltung darüber, als sie an der Tür der Instrumentenmacherswohnung anlangten.

      »Holla, Onkel Sol!« rief Walter, in den Laden hineinstürzend und von dieser Zeit an für den ganzen übrigen Abend sehr unzusammenhängend und außer Atem redend. »Wir haben da ein wundervolles Abenteuer! Mr. Dombeys Tochter hier hat sich in den Straßen verirrt und ist durch eine alte Hexe von einem Weibsbild ihrer Kleider beraubt worden. Ich habe sie gefunden – nach unserm Hause gebracht, damit sie hier ausruhe – schaut her!«

      »Gütiger Himmel!« rief Onkel Sol, gegen seinen Lieblingskompaß zurückprallend. »Es kann nicht sein! Na, das –«

      »Nein, weder Ihr, noch jemand anders«, fiel ihm Walter ins Wort, dem begonnenen Satze vorgreifend. »Ihr wißt, niemand würde oder hätte es können. So! Wollt Ihr so gut sein, Onkel Sol, mir das kleine Sofa in die Nähe des Feuers rücken zu helfen? – Habt acht auf die Teller – richtet ihr etwas zum Essen her, wollt Ihr, Onkel? – werft diese Schuhe unter den Rost, Miß Florence – setzt Eure Füße zum Trocknen auf die Kaminstange – wie feucht sie sind! – ist das nicht ein Abenteuer, Onkel? Gott behüte mich, wie heiß es mir ist!«

      Und Solomon Gills war es eben so heiß geworden, infolge seiner Teilnahme sowohl, als seiner großen Verwirrung. Er streichelte Florence den Kopf, drängte sie zum Essen, nötigte ihr Trinken auf, rieb die Sohlen ihrer Füße mit seinem am Feuer gewärmten Taschentuch, folgte seinem beweglichen Neffen mit Augen und Ohren, und hatte von nichts eine klare Vorstellung, ausgenommen, daß er unaufhörlich gegen diesen aufgeregten jungen Gentleman anprallte oder über ihn stolperte, wenn derselbe im Zimmer umherschoß und zwanzig Dinge auf einmal auszuführen versuchte, ohne überhaupt mit einem einzigen zustande zu kommen.

      »Wartet eine Minute, Onkel«, fuhr er fort und zündete ein Licht an, »bis ich die Treppe hinaufgeeilt bin und eine andere Jacke angezogen habe; dann will ich mich sogleich auf den Weg machen. Was meint Ihr, Onkel, ist das nicht ein Abenteuer?«

      »Mein lieber Junge«, sagte Solomon, der mit seiner Brille auf der Stirne und dem großen Chronometer in der Tasche unaufhörlich zwischen Florence auf dem Sofa und seinem Neffen in allen Teilen des Zimmers hin und her oszillierte, »es ist das Alleraußerordentlichste –«

      »Nein, Onkel, aber eßt jetzt – und eßt auch Ihr, Miß Florence – Ihr wißt, Onkel.«

      »Ja, ja«, rief Solomon, indem er unverzüglich von einer Hammelkeule ein Stück abschnitt, als müßte er einen Riesen verproviantieren. »Ich will Sorge für sie tragen, Wally! Ich verstehe das liebe Herz – natürlich ganz ausgehungert. Und du, geh jetzt und mache dich fertig. Gott behüte mich. Sir Richard Whittington, dreimal Lord-Mayor von London!«

      Walter brauchte nicht lange, um nach seinem luftigen Dachstübchen hinaufzueilen und wieder herunterzukommen; aber inzwischen war Florence, von Müdigkeit überwältigt, vor dem Feuer eingeschlummert. Der kurze Zwischenraum von Ruhe, obschon er nur einige Minuten dauerte, setzte Solomon Gills in den Stand, sich so weit zu sammeln, daß er für die Bequemlichkeit seines Gasts einige kleine Vorbereitungen treffen, das Zimmer verdunkeln und den Ofenschirm zum Schutz gegen die Feuerhitze vorschieben konnte. Als der Knabe wieder zurückkehrte, lag sie in ruhigem Schlafe.

      »Das ist vortrefflich!« flüsterte er, indem er Solomon in einer Weise umarmte, daß diesem ein neuer Ausdruck in sein Gesicht gepreßt wurde. »Jetzt will ich fort. Gebt mir nur noch ein Brotkrüstchen mit auf den Weg, denn ich bin sehr hungrig – und – weckt sie nicht auf, Onkel Sol.«

      »Nein, nein«, entgegnete Solomon. »Das hübsche Kind.«

      »Jawohl, hübsch!« erwiderte Walter. »In meinem Leben habe ich noch nie ein solches Gesicht gesehen, Onkel Sol. Jetzt geh ich.«

      »Recht so«, sagte Solomon, in hohem Grade erleichtert.

      »He, Onkel Sol«, rief Walter, und steckte den Kopf wieder zur Tür herein.

      »Da ist er schon wieder«, sagte Solomon.

      »Wie sieht sie jetzt aus?«

      »Ganz glücklich«, antwortete Solomon.

      »Das ist herrlich! Jetzt flugs fort.«

      »Hoffentlich ist es einmal an dem«, sagte Solomon zu sich selbst.

      »He, Onkel Sol«, rief Walter, wieder zur Tür hereinschauend.

      »Da haben wir ihn schon wieder!« sagte Solomon.

      »Wir haben Mr. Carter, den Jüngeren, auf der Straße getroffen; er sah seltsamer aus als je. Er sagte mir Adieu, kam aber hinter uns drein – das ist doch kurios! – denn als wir die Haustür erreichten, schaute ich zurück und sah, daß er ruhig wegging, wie ein Diener, der mich auf dem Wege nach Hause beaufsichtigen wollte, oder wie ein treuer Hund. Wie sieht sie jetzt aus, Onkel?«

      »So ziemlich wie vorhin, Wally«, versetzte Onkel Sol.

      »Das ist recht. So, jetzt gehe ich!«

      Diesmal hielt er auch richtig Wort, und Solomon Gills, dem der Appetit zum Essen vergangen war, setzte sich auf die andere Seite des Ofens, und wenn man ihn so im Schatten und in der Umgebung aller seiner Instrumente sah, nahm er sich wie ein in eine welsche Perücke und in einen kaffeebraunen Anzug verkleideter Magier aus, der das Kind in einem Zauberschlaf erhielt.

      Mittlerweile fuhr Walter in einem Trabe, wie ihn selten ein Droschkengaul vom Stande weg zu erreichen vermag, nach Mr. Dombeys Haus, steckte aber dabei alle zwei oder drei Minuten den Kopf zum Fenster hinaus, um dem Kutscher ungeduldige Vorhaltungen zu machen. Am Ziel seiner Fahrt angelangt, sprang er hinaus, teilte atemlos einem Diener den Zweck seiner Ankunft mit und folgte ihm geradeswegs nach dem Bibliothekzimmer, wo Mr. Dombey, seine Schwester, Miß Tox, Richards und Nipper unter gewaltigem Zungenlärm versammelt waren.

      »O, ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte Walter, auf Mr. Dombey zueilend, »aber ich bin so glücklich, Euch sagen zu können, daß alles gut ist, Sir. Miß Dombey ist gefunden!«

      Der Knabe mit seinem offenen Gesicht, dem wallenden Haar und den funkelnden Augen, während er vor Freude und Aufregung fast nicht zu Atem kommen konnte, bot einen wunderbaren Gegensatz zu Mr. Dombey, der in seinem Bibliothekstuhle saß.

      »Ich sagte dir ja, Louisa, sie werde sich sicherlich finden«, bemerkte Mr. Dombey, indem er leicht über die Achsel nach dieser Dame hinsah, die gemeinsam mit Miß Tox weinte. »Bedeutet den Dienstboten, daß

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