Der letzte Tag. Walther Nithack-Stahn

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Der letzte Tag - Walther Nithack-Stahn

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hebe es mir auf für eine ganz heilige Stunde.«

      »Archibald – ich wollte eigentlich zur Betstunde gehen – ich kann es nicht. Nun wird uns alles zerstört, das Schönste und Reinste auf der Welt, durch ein grausames Mißgeschick.«

      »Bist du so kleingläubig – weil es uns trifft?«

      »Nein, nein. Ich denke an all das herrliche blühende Leben, das da vernichtet werden soll. Wozu? Warum?«

      »Mir ist es sehr wahrscheinlich, daß unsre Sterneninsel durch einen ähnlichen Untergang einer früheren Welt entstanden ist. Würdest du auch dieses Ergebnis grausam, sinnlos schelten? Diese Ursache, ohne die wir nicht da wären?«

      »Du gibst Schweres zu denken auf.«

      »Wenn uns das eine ehrfürchtig dankbar stimmt, dürfen wir das andere schmähen?«

      »Aber daß Gott seine Welt so verderben soll!«

      »Steht das nicht schon in den Heiligen Schriften? Und was bedeutet diese ›Welt‹? Wenn auf fernen Gestirnen sehende Augen sind, dann werden sie nur ein schwaches Aufleuchten wahrnehmen, etwas wie einen neuen Stern, dessen Glanz bald wieder verblaßt. Was ist das im All?«

      Wieder die knackenden, zuckenden Geräusche des unverrückbaren Zeitlaufs und dahinter das dumpfe Flehen der Glocken. Sigrid hat den Kopf tief gesenkt.

      »Sprich weiter, bitte. Ich frage nichts mehr.«

      »Sieh, was die Menschen an dem Kommenden erregt, ist seine verhältnismäßige Größe. Hier im Walde, unweit der Warte, ist ein kleiner, versumpfter Teich, der jeden Sommer einmal austrocknet. Das ist für die Milliarden Wesen, die ihn bevölkern, auch ein Weltende, und wenn die denken könnten – und wer weiß, ob sie es nicht tun? – so würden sie dieselben Betrachtungen anstellen wie jetzt du und ich ... Es ist wahr: uns liegt es nah, dem scheinbaren Zufall zu grollen, dem wir zum Opfer fallen. Aber nennen wir auch das ein blindes Kräftespiel, was uns im Tiefsten selig macht? Ich entsinne mich eines Tages im letzten Winter: ich ging durch die Stadt, eine gleichgültige Besorgung zu machen. An einer Straßenkreuzung blieb ich stehen, unschlüssig, ob ich rechts oder links am besten zu meinem Ziele käme. Irgendein nebensächlicher Gedanke führte mich rechts.

      Wenige Schritte später kommt mir ein unbekanntes Mädchen entgegen, hoch, stattlich, ich sehe sie noch in schlichter, pelzverbrämter Jacke, die Wangen von der Kälte hold gerötet, sieht mich mit ihren leuchtenden Augen an, nur so im Vorüberschreiten. Mir stockt unwillkürlich der Fuß, ich stelle mich unkundig und frage nach dem Wege, nur um ihre Stimme zu hören. Sie antwortet unbefangen, geht davon, ich ihr unbemerkt nach, erkunde ihre Wohnung – war das nun blöder Zufall – oder heilige Fügung?«

      Sie hebt seine Hand zu den Lippen und küßt sie. »Ich habe schon einmal gedacht, dies Haus sähe einem Tempel ähnlich. Es ist wirklich einer, du brauchst keinen anderen.« Sie sitzen fest umschlungen, und ihre Seelen finden sich wie noch niemals in heißer Berührung ...

      Plötzlich ist sie aufgestanden: »Sie erwarten mich zu Hause. Ich muß den Kindern die Schulhefte durchsehen, der Mutter helfen. Und morgen gehe ich wieder in die Schreibstube.«

      »Das ist recht. So habe ich meine Sigrid lieben und ehren lernen. So laß uns diese Tage durchleben: ausharren bei dem Gebot der Stunde. Aber das Letzte gehört uns allein.«

      Noch einmal reißt er sie in seine Arme. All die unerfüllte Sehnsucht kraftvoller Jugend glüht in ihren Adern und drängt zueinander.

      Dann geleitet er sie ritterlich, beinahe ehrfürchtig die Treppe hinunter bis zur Ausgangstür, wo die Posten ihm wie dem Burgherrn Gruß bezeugen. Und winkt ihr nach, solange die weiße Erscheinung zu sehen ist.

      *

      Wie ein glühender Sternenring schwebt der Kronleuchter unter den dunklen Gewölben des Domes, während in den Fensterrosen die Abendsonne das Gewimmel der Heiligen und Seligen entbrennen läßt. Hier unten schattenhafte Wesen der Tiefe, Kopf an Kopf gedrängt, in allen Gängen zu dunklen Mauern erstarrt, mit bleichen Gesichtern.

      »Bald aber nach der Trübsal derselbigen Zeit werden Sonne und Mond ihren Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes im Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zu dem andern.«

      Dunkel, drohend hallt es von den flackernden Kerzen des Altars herüber. Und nun dumpf aufwühlend die Orgel, die den leisen, beklommenen Gesang der Menge überdröhnt:

      Tag des Zornes, Tag voll Bangen,

       Da die Welt in Glut zergangen,

       Wie Propheten vormals sangen!

      Zittern in der Erde Gründen

       Wird des Richters Nah'n verkünden,

       Der die Herzen will ergründen.

      Die Posaun' im Wundertone

       Sprengt die Gräber jeder Zone,

       Fordert alle hin zum Throne.

      Und ein Buch wird aufgeschlagen,

       Drin ist alles eingetragen,

       Welt, daraus dich zu verklagen!

      »Alsdann fliehe auf die Berge, wer im Lande ist. Und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hernieder, etwas aus seinem Hause zu holen. Und wer auf dem Felde ist, kehre nicht um, seine Kleider zu holen. Wehe aber den Schwangeren und Säugerinnen zu der Zeit. Denn es wird alsdann eine große Trübsal sein, als nicht gewesen ist von Anfang der Welt. Wahrlich, ich sage euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß es alles geschehe.«

      Ach, was werd' ich Armer sagen,

       Wessen Hilf' und Schutz erfragen,

       Da Gerechte selber zagen?

      König, furchtbar hoch gekrönet,

       Doch der Sünden weit versöhnet,

       Hilf mir, der um Gnade stöhnet!

      »Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht. Es wird aber sein wie in den Tagen der Sintflut: sie aßen, sie tranken, sie freieten und ließen sich freien und achteten's nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin. Darum wachet, denn ihr wisset nicht, welche Stunde der Herr kommen wird.«

      Ledig sprachest du Marien,

       Hast dem Schächer selbst verziehen,

       Hoffnung ist auch mir verliehen.

      ... An das harte Gestein des Pfeilers gedrückt, steht Sigrid, hat im Gedränge schützend die Arme um die kleine Mutter und die Geschwister gelegt, und die Felsenkühle im Rücken durchschauert ihr alle Glieder. Halb nur hörend, sieht sie das menschenerfüllte Riesenschiff mit zerborstener Decke in rasendem Fluge himmelwärts gezogen in eine weißglühende Hölle fahren. Noch ein einziger tausendkehliger Schrei, der im Feuerwirbel verweht, und Steine und Leiber zerschmelzen, verrauchen, in Atome

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