Der letzte Tag. Walther Nithack-Stahn
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der letzte Tag - Walther Nithack-Stahn страница 8
Nun endlich, endlich ist unser Maß voll. Gott kommt, unserem sinnlosen Treiben ein Ende zu machen. Gott – nicht der, den wir anmaßlich ›Vater‹ nannten, womit wir meinten, daß er nur da sei, uns zu verzeihen – sondern der wirkliche Gott, der die heilige Weltordnung wiederherstellen muß und diesen Schandfleck der Schöpfung tilgen.
Ich sage nicht, daß er auf einem Throne sitzen und uns einzeln richten werde – wir sind schon gerichtet – sondern wenn unsre Körper verbrennen und in den Weltstoff zurückkehren, so wird das Ewige in uns, das wir mißachtet haben, so fortleben, wie wir in diesen Lebzeiten gewollt. Das ist die Hölle, die sich vor uns auftut –«
»Ich habe nicht leben wollen! Niemand hat mich gefragt! Die Welt ist nicht gefragt!«
Aufschreit's eine heisere Mannesstimme. Von den Gewölben hallt's zurück, erstirbt. Der auf der Kanzel steht, die Arme auf die Brüstung gestützt, hält inne. Totenstille. Nur in der Mitte des Schiffs, woher die Stimme kam, entsteht flüsternde Wellenbewegung, wie leises Bitten und Zureden. Da reckt sich eine Hand auf, wieder schreit es: »Was hat mir das Leben gebracht? Zum Krüppel war ich bestimmt, kein Glück hab' ich gesehen, arm und einsam bin ich! Niemand darf mich verklagen! Wenn einer da ist, der das alles wollte – er soll nur kommen – er soll sich nicht ewig verstecken! Ich klage ihn an – ich klage!«
Die Hand, geisterhaft blaß, ballt sich zur Faust, starrt wie die eines Ertrinkenden aus dunklen Fluten empor. Diese wogen auf, in wallenden Kreisen schlägt es an die ragenden Mauern mit leisem Rauschen, wird wieder still.
Jetzt klingt es ruhig von oben: »Mein Freund, er tat dir nicht unrecht. Er wies deiner Seele diese Wohnung an mitten in der Unendlichkeit. Du solltest dir eine Welt erschaffen aus allen Sonnenkräften deines Wesens – warum schufst du dir keine bessere? Wir sind alle Mißschöpfer gewesen; nun empfangen wir, was unsre Taten wert sind.«
»Gibt es denn keine Gnade?!« Eine schmerzhafte Frauenstimme ruft's irgendwoher aus einem Winkel im dunklen Walde der Pfeiler. Ein Aufstöhnen geht durch das Menschenmeer und sinkt in Schweigen zurück.
»Ja, es gibt Gnade. Man unterbrach mich, als ich es sagen wollte. Sie ist freilich ganz unfaßbar. Und wie kann einer an Gnade glauben, der verklagt? Es soll unser Letztes sein, daß wir darum flehen ...«
Wieder braust es mit Donnergrollen über das Volk hin, schüchtern heben sich die Stimmen:
Mit zerknirschtem Herzen wende
Asche ich zu dir die Hände:
Gib erbarmend mir das Ende!
Gedrängt, fast getragen von der Welle der Menschenleiber, die aus den Portalen in den dämmernden Abend quillt, getrennt von den Ihren, bleibt Sigrid wie im schweren Traume zu Füßen der großen Freitreppe stehen und sieht der herunterströmenden Masse zu. Ist es nicht, als stiegen sie Schritt für Schritt hinab in ein großes, gemeinsames Grab? Dort der Alte mit den verwitterten Zügen, der so abschiednehmend in den fahlen Himmel hinaufstarrt; da das Kind, das an der Mutterhand behutsam Stufe um Stufe nimmt, als fürchte es um sein kleines Leben, nicht ahnend, daß es schon verloren ist. Dort die stolze Frau, die ihren kostbaren Pelzkragen ordnet und prüfend ihr Kleid hinunterblickt; zürnt sie, weil es im Gedränge zerknittert worden? Ist sie dem Schicksal gram, da sie bald nichts mehr zur Schau tragen kann? Halt, da ist der Verwachsene, dem der Kopf zu tief zwischen den Schultern sitzt – ihr scharfes Auge erkennt ihn wieder, wie er mit langen Armen durch das Gedränge rudert. Etliche stoßen sich bei seinem Anblick an, weichen ihm aus, wie einem Unheimlichen, der zu lästern gewagt. Sicher, in tausend Häusern wird man seine Worte wiederholen, viele werden ihm heimlich recht geben, doch wenige es zu bekennen sich getrauen; werden sich an die Worte des Pfarrers klammern, wie der Ertrinkende an das rettende Boot – und er wird einsam bleiben.
Sigrid zieht es zu dem Verfemten hin, sie tritt ihm in den Weg: »Muß es Ihnen nicht lieb sein, daß es zu Ende geht – unglücklich, wie Sie sind?«
Aus dem blassen Faltengesicht stechen schwarze Augen zu ihr hinauf. »Meinen Sie? Was verstehen Sie davon – hübsches Mädel –?«
Ein schiefes Lächeln verzieht ihm die Mundwinkel. Sie kämpft einen Widerwillen nieder. »Ich meine, wir sollten uns alle verstehn, da wir das gleiche Schicksal haben.«
Er sieht ernst zu Boden. »Wenn's mir am Ende gelegen wäre, das hätt' ich jeden Tag haben können. Ich hab' aufs Glück gepaßt wie tausend andre Narren – nun ist's verspielt. Jetzt bin ich nur noch neugierig, wie das ganze Ding in die Luft fliegen wird. Schade, daß man sich nicht den Spektakel von außen ansehen kann.« Er faßt an den Hut und setzt sich mit langen Schritten in Bewegung, sie folgt ihm unwillkürlich.
»Sie sollten nicht so bitter sein.«
»Bin ich schon nicht mehr. Ich ärgerte mich nur über den Pfaffen, wie der seinen Gott herausstrich und uns Würmer schlecht machte. Uns hat der liebe Gott dumm geschaffen, damit er uns besser anführen kann. Irgendwo in der Bibel steht: ›Es reute ihn, daß er die Menschen gemacht hatte‹. Glaube ich wohl, es war ein Fehler, aber nicht von uns. Hahaha ...«
Sigrid durchschauert es, aber sie bleibt ihm an der Seite. »Mir war auch nicht wohl bei allem, was der Prediger sagte. Kann man dies Ende nicht auch anders verstehen – als einen neuen Anfang?«
Wieder schnellt ein Blick zu ihr auf und haftet prüfend: »Sie sind wohl sehr fromm? Na ja, das steht jungen Mädchen immer gut – wie ein weißes Kleid.«
Jetzt ist sie nahe daran, ihn laufen zu lassen, aber ein tiefes Mitleid hält sie fest. Sie gehen eine Weile stumm nebeneinander, verwunderte Blicke streifen das seltsame Paar.
Da fängt er von selber