Wahre Kriminalfälle und Skandale. Walter Brendel

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Wahre Kriminalfälle und Skandale - Walter Brendel

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die Brust gab. Das katholische Diözesanblatt zürnte ob der "frechen Schamverletzung", die sogleich der "wilden und provozierenden Nacktbaderei" zugeordnet wurde.(Am 10. September. )

      Eine Möglichkeit zu legalem Schwangerschaftsabbruch gibt es in der Stadt nicht, ebenso wenig wie irgendwo sonst im Allgäu. Die Kliniken in Memmingen und Kempten, Füssen und Illertissen lehnen Eingriffe bei Notlagen-Indikation grundsätzlich ab. Die Frauen müssen in weit entfernte Krankenhäuser reisen, nach Augsburg oder nach München.

      Wie aber soll, fragen sich viele in Bayern, eine Frau ihrer frommen Sippschaft oder ihrem Arbeitgeber erklären, dass sie mal eben für drei bis fünf Tage ins Krankenhaus muss? So hat es auch der jetzt angeklagte Frauenarzt Theissen gesehen: "Dann weiß in der ländlichen Umgebung jeder, was los ist. Davor hatten sie eine wahnsinnige Angst."

      Häufig hatte Theissen es mit Frauen zu tun, deren Notlage bedrückend war – zum Beispiel mit einer 40jährigen türkischen Arbeiterin, die ihren Fall so schilderte: " Mein Mann hat noch keine Arbeitserlaubnis, weil er noch nicht so lange hier ist. Wir haben drei Töchter und leben von dem Geld, das ich verdiene. Ich arbeite Schicht in der Fabrik. Wenn ich nicht zu Hause bin, kümmert sich mein Mann nicht um die Kinder. Er hat sehr großes Heimweh und trinkt sehr viel. Manchmal telefoniert er für über hundert Mark in die Türkei, dann haben wir bis zum Monatsende kein Geld mehr. Als ich wieder schwanger wurde, bin ich zu Dr. Theissen gegangen. Ich habe nicht gedacht, dass das verboten ist, denn bei uns in der Türkei darf man offiziell bis zum dritten Monat abtreiben. Nach dem Koran ist es zwar Sünde, aber ich bin nicht so gläubig. Ich hätte dieses Kind auf keinen Fall kriegen können, denn dann hätte ich meine Arbeit aufgeben müssen. Wenn ich dann vom Sozialamt gelebt hätte, wäre ich sicher bald ausgewiesen worden. Wir wohnen in einer sehr kleinen Wohnung. Ich muss aber beim Ausländeramt nachweisen, dass die Wohnung für uns groß genug ist, sonst bekomme ich keine Aufenthaltsgenehmigung. Wenn ich jetzt noch ein Kind mehr hätte, müsste ich acht Quadratmeter mehr Wohnraum nachweisen. Das heißt, ich bräuchte eine neue Wohnung. Mit vier Kindern und einem Mann, der nicht arbeitet, ist es hier aber so gut wie unmöglich, eine Wohnung zu finden. "

      Sicher ist, dass Theissen, was selbst seine Ankläger einräumen, in jedem einzelnen Fall medizinisch einwandfrei handelte. Er besaß uneingeschränktes Vertrauen und den Ruf absoluter Diskretion. "Der Arzt", so eine Kemptenerin, "war ein Verbündeter der Frauen, der sich auch nicht bereichert hat." Solcher Ärzte wird es in Bayern künftig womöglich noch häufiger bedürfen. In keinem anderen Bundesland wird der legale Schwangerschaftsabbruch so massiv erschwert wie im CSU-Freistaat. In keinem anderen Bundesland zielen Politiker so fanatisch auf eine völlige Abschaffung der Abtreibung wie im erzkonservativen Bayern.

      Stimmung gegen den Paragraphen 218 machte etwa Edmund Stoiber, Straußens damaliger Staatskanzlei-Minister und späterer Ministerpräsident, der die "Morde an ungeborenen Kindern" und den "offensichtlichen Missbrauch der sozialen Indikation" anprangert. Stoiber pflichtete auch dem Fuldaer Bischof Johannes Dyba bei, der von einem "Kinder-Holocaust" gesprochen hatte.

      In Bayern war, wie sonst nur noch in den damaligen CDU-regierten Baden-Württemberg, der legale Eingriff ausschließlich Kliniken vorbehalten - und auch dort nur bei stationärer Behandlung mit einer Verweildauer von mindestens vier Tagen möglich. Viele kommunale wie staatliche Krankenhäuser im Freistaat jedoch lehnen Schwangerschaftsabbrüche selbst bei medizinischer Indikation grundsätzlich ab. "Schon jetzt", stellte "Pro Familia" im Süden der Bundesrepublik fest, "gibt es in Bayern ganze Regionen, in denen ein legaler Schwangerschaftsabbruch nicht mehr möglich ist" - Voraussetzungen für einen allseits beklagten "Abtreibungstourismus" in liberalere Bundesländer, für den heimlichen Gang zu einem Dr. Theissen oder, wenn''s den nicht gibt, für den Weg zu einem Kurpfuscher, vulgo "Engelmacher".

      "Eigentlich müsste", sagt "Pro Familia"-Landes-geschäftsführer Joachim von Baross, "die bayrische Landesregierung auf die Anklagebank": "Sie drängt hilfesuchende Frauen nicht nur in die Illegalität, sie sorgt auch dafür, dass sie wie Verbrecher vor Gericht gezerrt werden."

      In Bayern beginnt das Spießrutenlaufen bereits bei der Beratung, die ohnehin auf staatlich genehmigte Stellen beschränkt ist. Die Berater dürfen keinerlei Adressen von hilfsbereiten Ärzten oder Kliniken hergeben. Vielmehr soll laut Regierungsdekret "klargestellt werden, dass der Abbruch die rechtswidrige Tötung eines Kindes darstellt"; nur "im besonders gelagerten Ausnahmefall" dürfe "auf Strafverfolgung verzichtet" werden.

      Die Absicht ist unverkennbar: Die Frauen sollen sich wie Kriminelle fühlen - wie die Memminger Justizopfer, die fünf Jahre lang das Stigma einer Vorstrafe tragen müssen.

      Das Wunschziel bayrischer Justizpolitik wird ebenso deutlich: Abschaffung der sozialen Indikation, Adoption statt Abtreibung. An dieser Vorgabe orientierten sich offenbar auch die Memminger Amtsrichter, die in allen Verurteilungsfällen die Möglichkeit zur Adoption unterstellt haben. Frauen sind, wie die alternative "Tageszeitung" kommentierte, "in Bayern zum Gebären verpflichtet". "Das Allgäu", kommentierte die damalige Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth den Theissen-Prozess, "ist eine sehr katholische Gegend. Es herrscht allgemein die Meinung, dass es keine sozialen Indikationen geben darf."

      Politisch verantwortlich für den Memminger Massenprozess eine Frau: die damalige bayrische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner, damals 57. Die oft als "Schwarze Hilde" apostrophierte Katholikin hat eine steile politische Karriere hinter sich. Schon 1968 wurde die resolute Juristin stellvertretende CSU-Vorsitzende unter Franz Josef Strauß. Zwei Jahre später zog sie in den bayrischen Landtag ein, schon nach einer Legislaturperiode wurde sie als erste Frau in der Landesgeschichte ins Kabinett berufen - als Staatssekretärin im Kultusministerium.

      Stets tritt die massige und überaus bayrisch wirkende Frau, die privat Orchideen züchtet und bemalte Eier sammelt, für das "Bollwerk Bayern" ein. So kämpft sie dagegen, "dass Bayern eines Tages ein Türkenstaat wird", oder sie fordert, die Namen von Kirchenabtrünnigen im Kirchenblatt zu veröffentlichen: "Man will doch wissen, wer dazugehört."

      Die Bescheinigung, "ihren Mann zu stehen", empfindet das Mannweib in Straußens Männerkabinett als "das höchste Kompliment". Neue Gelegenheit, sich zu bewähren, bekam sie, als sie im Oktober 1986 zur Justizministerin berufen wurde. Sie wies ihre Beamten an, gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhütung einer "Abtreibungspille" zu prüfen, die noch gar nicht im Handel ist.

      Die Abtreibungsdebatte hatte die kinderlose Witwe bei Amtsantritt zunächst für eine "ausgestandene Sache" gehalten. Da musste sie inzwischen umdenken. Es gab sie in Landshut vor dem Arbeitskreis "Juristen in der CSU" die Anweisung aus, doch "zu schauen", wie man die Abtreibungsregelung "so gestalten kann, dass sie nicht in diesem Maße unterlaufen und missbraucht werden kann".

      Unter den Zuhörern war Landshuts Landgerichtspräsident Fritz Anders, ein Mann, der wie kaum ein anderer das repressive Klima in Straußens Südstaat repräsentiert. Bereits 1986 äußerte sich Anders auf eine Weise zur Abtreibungsproblematik, die einen Schwabenstreich wie in Memmingen auch anderswo in Bayern möglich erscheinen lässt: Öffentlich erörterte Anders, obschon sonst "kein Befürworter der Todesstrafe", deren Einführung im Zusammenhang mit der Abtreibung.

      Der niederbayrische Chef-Richter, nebenher auch Vizepräsident der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, forderte, der Freistaat dürfe sich mit der derzeitigen Abtreibungspraxis "nicht abfinden". Alle gesellschaftlichen Gruppen, so Anders, seien "aufgerufen, täglich neu Sturm zu laufen gegen das Unrecht, das um uns herum geschieht". Artikel 47 der bayrischen Verfassung gehe nach wie vor von einem "Weiterbestehen der Todesstrafe" aus. Nun, dass wurde mittlerweile geändert.

      Todesstrafe auf Abtreibung hatte es zuletzt unter dem Massenmörder Adolf Hitler gegeben, der den Paragraphen 218 im Jahre 1943 für Fälle verschärfte, in denen der Abtreibende "die Lebenskraft des deutschen Volkes fortgesetzt beeinträchtigt". Einer der leidenschaftlichsten Abtreibungsgegner im Freistaat ist der

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