Wahre Kriminalfälle und Skandale. Walter Brendel
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Tja, liebe Leser, und da sollte der arme Gerd Heidemann - der das natürlich auch alles erfuhr - nicht zu dem Schluss gelangen: "Selbst wenn die Tagebücher echt gewesen wären, hätten sie nicht echt sein dürfen, das stand von Anfang an fest!"?
Aber das hätte er besser nicht laut gesagt - schon gar nicht vor Gericht (aber das hatten wir ja schon): Er wurde zu einer zwei Monate längeren Freiheitsstrafe (4 Jahre 8 Monate) verknackt als der geständige Fälscher Kujau, unter eklatanter Verletzung des "in dubio pro reo [im Zweifel für den Angeklagten]". Warum? Wir wissen es nicht; auch der Autor rätselt noch immer, warum die Tagebücher denn nicht echt sein durften. Aber er kennt den Inhalt der restlichen Kladden nicht - vielleicht steht da ja tatsächlich so viel Brisantes drin, dass es "volkspädagogisch" besser ist, wenn es (egal, wer der Urheber ist) tot geschwiegen wird. Ebenfalls tot geschwiegen wurde Heidemanns Sicht der Dinge, die Peter-Ferdinand Koch (ein durch und durch seriöser Mann, der so gar nichts mit dem etwas minder bemittelten Chef-Redakteur "Kurt Glück" im Film gemeinsam hat) 1990 unter dem Titel "Der Fund. Gerd Heidemann und die Hitler-Tagebücher" veröffentlichte. Dabei ist sie von allen Darstellungen wahrscheinlich die ehrlichste bzw. die am wenigsten verlogene (was nicht heißen muss, dass es auch die zutreffendste ist - Heidemann hatte sich ja selber herein legen lassen, von wem auch immer). Der Autor nimmt jedenfalls Heidemann drei Dinge ab: 1. Kujau hatte ihm die Tagebücher nicht als Fälschung, sondern als "echt" verkauft, und er glaubte an ihre Echtheit. 2. Heidemann hat den größten Teil der Stern-Gelder (abzüglich des ihm zustehenden Honorars) an Kujau weiter gegeben, also keine Unterschlagung begangen. 3. Die Tagebücher können nicht von Kujau alleine gefertigt worden sein. Die beiden ersten Punkte sind mehr eine Glaubenssache, der dritte nicht, sondern eine Frage des Wissens.
Jeder Schriftsachverständige sieht sofort, dass die "Varianz" innerhalb der Tagebücher (das ist die Unterschiedlichkeit des Schriftbildes, die sich im Laufe des Lebens beim selben Schreiber ergibt, im Gegensatz zur Unterschiedlichkeit, die durch verschiedene Urheber hervorgerufen wird), d.h. zwischen den einzelnen Bänden, so groß, die altersbedingte "Entwicklung" der Schrift so ausgeprägt ist, dass sie ein einzelner Fälscher in einem so kurzen Zeitraum wie Kujau ihn "gestanden" hat, unmöglich geschaffen haben kann. Das ist einfach so, und schon das allein wischt alle schönen Thesen à la Kujau als Einzeltäter zwingend vom Tisch. [Kujau hat auch in anderen Punkten nachweislich gelogen: Er hat behauptet, das fehlende Fraktur-"A" durch ein "F" ersetzt zu haben - das, wie wir gesehen haben, durchaus ein "A" war -; er hat ferner behauptet, er habe alte DDR-Schulkladden benutzt – in Wirklichkeit handelte es sich unstreitig um Papier, das vor Gründung der DDR hergestellt wurde; und last not least hat er behauptet, er habe die Tagebücher nicht bei Domarus abgeschrieben, sondern aus dem Wehrmachtsbericht - das ist völliger Blödsinn. All das beweist, dass sein Geständnis falsch war - aber welcher Staatsanwalt und welcher Richter würde sich schon die Arbeit machen, ein falsches Geständnis in Frage zu stellen, zumal wenn ein solches Hinterfragen politisch unerwünscht ist und er noch befördert werden will?]
Wenn die Tagebücher eine Fälschung sind - und davon geht die herrschende Meinung ja bis heute aus -, dann muss es sich um eine über Jahre hinweg angelegte geniale Arbeit handeln, die ein einzelner niemals hätte leisten könnten. Wieder stellt sich die Frage: Warum wird das der Öffentlichkeit verschwiegen? Warum werden die Tagebücher bis heute unter Verschluss gehalten (wenn sie nicht schon heimlich vernichtet worden sind)? Will man etwa verhindern, dass der wahre Urheber ermittelt wird? Warum gilt allein das Ansinnen, einen Blick auf ihr Inneres zu werfen, bis heute als "Gedanken-Verbrechen"? Sollten (und sollen) die wahren Hintermänner gedeckt werden? Wo sitzen bzw. saßen sie? Bei der Stasi, die ja auch die Akte Lübke gefälscht hatte? (Aber spricht nicht gerade der Umstand, dass diese Fälschung nach dem Ende der DDR heraus kam, dagegen? Hätte dann nicht auch die Kujau-Fälschung heraus kommen müssen?) Oder beim KGB? Wer als die Sowjets hätte ein größeres Interesse daran haben können, zu beweisen, dass z.B. der England-Flug des (1983 noch in Spandau einsitzenden) Rudolf Heß 1941 mit Hitlers Billigung erfolgte, dass dieser mit Hilfe britischer Oppositioneller England zum Bündnis gegen Stalin bewegen wollte? War das nicht die Grundlage für Heß' Verurteilung wegen "Vorbereitung eines Angriffskriegs" in Nürnberg gewesen, und schien das diese Verurteilung (und seine als "Selbstmord" getarnte Ermordung ein paar Jahre später) nicht im Nachhinein zu rechtfertigen? Und war das der Grund, weshalb für den Westen - der ja geschlossen die gegenteilige Ansicht vertritt - der Inhalt der "Hitler-Tagebücher" falsch sein musste und Kujau ihr (alleiniger) Verfasser?
Kujau - der sicher nicht der historischen Wahrheit, sondern allein seinem Nutzen verpflichtet war - hat sein Geheimnis anno 2000 mit ins Grab genommen, und so werden wir es vielleicht nie erfahren. Das ist der eigentliche Skandal und die eigentlich Blamage um die "Hitler-Tagebücher"; und wenn man um diese Hintergründe weiß, dann bleibt einem das Lachen über die gut gemachte Film-Komödie ("Schtonk" wurde ein Riesen-Erfolg, lief erst Monate lang im Kino, dann auch mehrmals auf allen Fernseh-Kanälen) im Halse stecken, und man begreift die (sicher ungewollte) tiefere Bedeutung des Titels - die auch für die meisten anderen der in "Die [un]schöne Welt der Illusionen" vorgestellten Filme uneingeschränkt gilt: Kotze Schtonk!
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Nachtrag von 2002. Die Merkwürdigkeiten in diesem Fall wollen nicht abreißen. Rund zwei Jahrzehnte später, pünktlich zu Führers 113. Geburtstag, meldete sich aus London Gitta Sereny zu Wort, eine verbitterte alte Ungarin mosaïschen Glaubens, Todfeindin des in "Schtonk" so peinlichst verschwiegenen David Irving, und tischte ihre Version der Geschichte auf, an der sie angeblich Jahre lang recherchiert hatte:
Nicht "der kriminelle Clown Konrad Kujau" habe den Betrug eingefädelt - der sei lediglich ausführendes Organ gewesen -, sondern ein geheimnisvoller "Mr. X" (der auch die alten Kladden besorgt haben soll - inzwischen stand ja fest, dass das Papier entgegen zunächst verbreiteter Gerüchte nicht erst nach, sondern schon vor 1945 produziert wurde); und "der naive Gerd Heidemann" sei kein Täter, sondern selber Opfer gewesen. So weit so gut. Aber wenn man weiter liest, wird das ganze doch ziemlich abenteuerlich: Hitler soll doch Tagebuch geschrieben haben, jede Nacht, stundenlang, bis vier oder fünf Uhr morgens. Dieses Tagebuch habe "Mr. X" in sechs Teile geteilt und von Kujau noch etwas "aufpeppen", neu einbinden und versiegeln lassen, um den Fund etwas zu strecken.
Kujau sei dann auf den Geschmack gekommen und habe noch 62 weitere Bände auf eigene Faust (und Rechnung) hinzu geschrieben. Der weder bei Kujau noch bei Heidemann aufgefundene Teil des STERN-Honorars sei wohl bei "Mr. X" gelandet, der wiederum Kontakt zu Martin Bormann gehabt habe; der und seine Hintermänner lachten sich jetzt ins Fäustchen. Schuld daran sei nicht zuletzt der Film "Schtonk", der die Leute auf eine falsche Fährte gelenkt habe. So so. Ganze zwei Wochen blieb dieser Aufsatz im Internet, dann verschwand er wieder.
Aber