Schatten der Anderwelt. Thomas Hoffmann

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Schatten der Anderwelt - Thomas Hoffmann

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seine Augenbrauen und sein weißes Haar waren versengt.

      „Wie hast du das gemacht, das dämonische Feuer zu bannen? Ich hätte es nicht gekonnt, mit all meinen Jahren. Keiner von uns hier hätte das gekonnt. Nicht einmal Helena.“

      Er warf einer blassen Frau in schwarzer Ledermontur einen Blick zu. Sie nickte langsam. Schweigend schaute sie Norbert an. Ihre hellgrünen Augen schienen mehr zu sehen als den umgebenden Schankraum und die hier Anwesenden. Norbert setzte sich auf. Er wusste keine Antwort auf die Frage des Alten.

       Die Banshee im Zentrum des blauen Feuersturms. Klauennägel lang wie Dolche krallten nach Norbert. Überall um ihn her Todesschreie. Der Himmel wurde schwarz. Vor einem blau glühenden Horizont umgaben ihn die Trümmer der vor sechshundert Jahren geschleiften Stadt. Geisterschreie Gefolterter und vergewaltigter Mädchen und Frauen. In den Ruinen röchelten Sterbende. Norberts Bannzauber versagten...

      „Es war eine Todesfee,“ murmelte Norbert. „Eine von der ganz bösen Sorte.“

      Nach und nach begann ihm klar zu werden, was geschehen sein musste. Tränen schossen ihm in die Augen.

      „Ich bin zu spät gekommen!“

      Er konnte es nur flüstern. Die Stimme versagte ihm.

      Der Alte schüttelte unwirsch den Kopf: „Für ein paar tausend Altenweiler bist du gerade rechtzeitig gekommen, Junge. Du hast die Stadt gerettet.“

      Norbert wusste, dass es nicht so war. Er brauchte eine Weile, bis er wieder sprechen konnte.

      „Es... es hätte überhaupt nicht passieren müssen. Dreyfuß hatte gesagt, die Zeit um die Frühlingsfeier wäre günstig für Anderweltfahrten. Er befahl mir, rechtzeitig zurück zu sein. Wenn ich da gewesen wäre...“

      Mit entschiedener Stimme erwiderte Gordon: „Nein, Norbert! Glaube nicht, du könntest Schicksal spielen. Wir sind bloß Wanderer in dieser Welt. Ihren Fortgang zu bestimmen, ist niemandem von uns gegeben!“

      Im Schweigen im Raum auf Norberts Worte klang die Stimme des Wirts seltsam laut. Jemand hielt Norbert einen Bierhumpen entgegen. Norbert trank gierig und musste laut aufstoßen. Gedankenverloren wischte er sich Bierschaum vom Kinn. Das Bier stieg ihm schnell in den Kopf. Vielleicht hatte Gordon recht. Aber sie konnten nicht wissen, was er wusste...

      „Wenn jemand schuld ist an der Katastrophe,“ knurrte der Alte, „dann Anton Dreyfuß. Er hätte um die Folgen seiner wahnsinnigen Experimente wissen müssen. Aber wenn man seinem Verwalter glauben will, hatte er schon lange den Verstand verloren. In den letzten Tagen soll er völlig wahnsinnig geworden sein.“

      Norbert blickte überrascht auf.

      „Du hast mit Telluk gesprochen?“

      „Er war hier,“ hauchte die Hellgrünäugige. „Er hatte sich hier für eine Nacht ein Zimmer gemietet, bevor er vorgestern abgereist ist. Er sagte, er wolle nach Karrakadar, zu seinem Volk. Die Kiepe voller Bücher, die er aus dem Turm mitgenommen hat – ich glaube nicht, dass Anton Dreyfuß ihm diese Bücher geschenkt oder verkauft hat. Telluk sagte voraus, dass es ein Unglück geben würde.“

      Sie sah Norbert mit ihrem seltsamen Blick in die Augen.

      „Du hättest niemanden gerettet, wenn du hier gewesen wärst. Du wärst gestorben – wärst hinabgerissen worden, wie dein Lehrmeister!“

      Auch so schon wäre es um ein Haar über seine Kräfte gegangen.

       Die Bannsprüche, die Dreyfuß ihm beigebracht hatte zur Vertreibung von Schwarzalben und Nachtmahren aus den Häusern von Altenweiler Bürgern und Handwerkern, konnten der Banshee nichts anhaben. Mit Mühe und Not konnte Norbert sich mit dem Schwert der Angriffe ihrer Klauen und ihres Rachens erwehren. Als das dunkle Blau der Anderwelt rings umher aufstieg, wusste er, dass sie ihn hinüber gezogen hatte...

      Er konnte sich nicht erinnern, wie er darauf gekommen war, die Lebensmagie des Hexenmeisters anzuwenden.

       ...War da der Ruf eines Mädchens in seinem Rücken?

      „Der Ritualgesang des Lebens! Schnell, Bert! Ehe sie dich tötet!“

       Nach den Wochen unerbittlicher Schulung in Darulans Haus, diesem Vorort der Hölle für jene, die dort gefangen waren, sprangen Norbert die Zauberformeln wie von selbst ins Bewusstsein.

      „Gemyne dhu mucwyrt, hwaet thu ameldodest...“

       Das grausame Kreischen der Banshee, als sie vor seinen Augen zum morschen Skelett zusammenschrumpfte, zu Staub zerfiel. Als er die von Rauchschwaden erfüllte Luft des diesseitigen Abends schmeckte, konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Kniend stützte er sich auf sein Schwert, um nicht zusammenzubrechen und das Bewusstsein zu verlieren.

      Die Stimme der Frau, die bei Norberts eintreten Harfe gespielt hatte, riss Norbert aus seinen Erinnerungen.

      „Nimm etwas zu essen zu dir. Später kannst du uns immer noch berichten.“

      Das schmale Gesicht der Bardin mit den weit auseinanderliegenden Augen irritierte Norbert. Einem Moment lang glaubte er, er müsse sie irgendwo schon einmal gesehen haben. Er stand auf und ging zum Tisch. Er spürte keine körperliche Schwäche mehr, aber er hatte furchtbaren Hunger. Er machte sich über Fleischsuppe, Brot, Käse und Bier her, die ihm zugeschoben wurden. Während er aß, beobachtete er die Bardin im Augenwinkel. Sie war groß und sehr schlank, beinahe schmal in der dünnen, rußverdreckten Lederjacke, die sie eng auf dem Leib trug. Das glatte blonde Haar hing ihr in schmutzigen Strähnen ums Gesicht. Schweigend und mit unbewegter Miene nahm sie Anteil an dem leisen Gespräch, das am Tisch geführt wurde. Und mit einem Mal wusste Norbert, an wen sie ihn erinnerte: Sie hatte dasselbe Gesicht wie die Geister in den Ruinen des Elbendorfs in der Flussaue nahe Wildenbruch, seiner Heimat im Gornwald - seiner ehemaligen Heimat, korrigierte er sich bitter. Inzwischen bestand auch Wildenbruch nur noch aus verfallenen Hütten. Ob jetzt auch dort die Geister der verhungerten Familien umherwandelten, auf der verzweifelten Suche nach einem verlorenen Leben? Grausen erfasste ihn und er zwang sich, an anderes zu denken.

      Sarah kam herein, nahm sich einen Stuhl vom Nebentisch und setzte sich zwischen Norbert und einen rothaarigen Mann in den Vierzigern mit müden Gesichtszügen. Norbert hielt ihn für einen Wilderer, wegen des Waidmessers in seinem Gürtel. Norbert rückte ein wenig zur Seite, um Sarah Platz zu machen. Sie betrachtete ihn ernst und aufmerksam.

      „Du bist lange fort gewesen.“

      Norbert nickte. Er schluckte den Bissen herunter, den er im Mund hatte.

      „Ja. Ich hab gedacht, ich könnte innerhalb einer Woche zurück sein. Die alte Elena, bei der Melanie und ich Sterntags das Zimmer gemietet haben, hatte mir von jemandem erzählt, der die Zauberformeln weiß, nach denen Dreyfuß suchte.“

      Am Tisch wurde es still. Alle Augen richteten sich auf Norbert. Im schütteren Licht des Kienspans auf dem Tisch zeichneten sich die Gesichter der Zuhörer kaum vor der Dunkelheit im Raum ab. Von der anderen Seite des Tischs blickte Gordon Norbert mit dem klaren, festen Blick seines gesunden Auges an.

      „Ich wusste ja nicht, was mich erwartet,“ flüsterte Norbert. „Ich war am Rand des Gebirges im Norden des Gornwalds. Ich glaube, es ist das Laendorgebirge.“

      Jemand

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