Blaues Feuer. Thomas Hoffmann

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Blaues Feuer - Thomas Hoffmann

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Hans Lederers Sohn bist. Du brauchst hier keinen Hunger zu haben.“

      „Rebekka?“

      Sie sah ihn fragend an.

      „Bringt dir Vater auch ein Geschenk? Der Verena im Dorf bringt er immer eine Speckseite oder ein Stück Rauchfleisch oder so etwas, wenn er zu ihr geht.“

      Sie fuhr ihm durchs Haar. „Du redest wie ein dummer kleiner Junge. Erwachsene sprechen nicht über solche Dinge.“

       Sie reden nicht drüber, aber sie tun es trotzdem.

      „Und nun schlaf. Träum schön.“

      „Rebekka, ich hab Angst, dass ich von den Kriegskrüppeln träume.“

      In Rebekkas Augen lag eine traurige Zärtlichkeit, als sie ihn sanft in die Decken drückte. „Daran musst du nicht denken. Wenn wir alle Nase lang an den Tod dächten und das Elend, das einen erwischen kann, wie sollten wir das aushalten? Du bist ein gewitzter, gesunder Junge und hast einen fleißigen, hart arbeitenden Vater. Du wirst deinen Weg gehen. Du brauchst keine Angst zu haben vor dem Elend.“

      Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn und während Norbert sich noch darüber wunderte, ging sie hinaus und schloss die Tür leise hinter sich.

      Norbert lag im Lichtschimmer des Kienspans und starrte zu den schrägen Dachbalken hinauf. Die Ecken der Kammer lagen im Dunkeln. Sein Kopf drehte sich. Er fühlte sich unendlich fremd in dieser Stadt. Jetzt im trüben Schimmer des Kienspans jagte ihm alles, was er gestern und heute erlebt hatte, Angst ein. Er tastete in der Hosentasche nach dem Holzpüppchen.

       Petra, wenn ich groß bin, werde ich Krieger und räche alles, alles! Was sie den Elben angetan haben und der Smeta, dem Mädchen am Brunnen und den Kriegskrüppeln. Wenn ich erst ein Held geworden bin, dann werde ich...“

      Aber er wusste gar nicht mehr, was er denn unternehmen würde, um das alles gut zu machen, was ihn bedrängte. Er presste das Püppchen an seine Brust und weinte vor Wut und Verzweiflung.

      Ich bin bei dir, sagte Petra. Hab keine Angst.

      ***

      Norbert wachte früh auf und ging in die Küche hinunter, wo er Brot mit Schmalz bekam und auf den Vater wartete. Der Vater sah müde aus, als er hinunterkam. Sie frühstückten Gerstengrütze mit Bier und machten sich zum Tempel auf.

      Im Klosterhof waren nur wenige Menschen. Ein paar Frauen mit abgedeckten Körben gingen zwischen den niedrigen Gebäuden an der oberen Mauer umher. Vor dem Tempelportal standen Reisende in Filzumhängen mit langen Stecken in den Händen. Pilger, vermutete Norbert. Echte Pilger. Die Morgensonne brach durch die Wolken und beschien mehrere Reihen steinerner Gräber zwischen dem Tempelgebäude und der Klostermauer. In die Grabstelen waren kleine Bilder in verwaschenen Blau- und Rottönen eingearbeitet.

      Das massige Tempelgebäude stand wie ein unverrückbarer Fels dem Eingang zum Klosterhof gegenüber. Norbert glaubte, die wuchtigen Mauern müssten von Riesen erbaut worden sein. Hinter dem Tempelportal öffnete sich eine von Pfeilern getragene Halle. Das Deckengewölbe lastete in einer derartigen Höhe auf den Stützpfeilern, dass es Norbert den Atem raubte. Die höchsten Waldbäume, die er kannte, waren kaum so hoch. Diesiges Licht rieselte aus kleinen Fenstern zwischen den Seitenpfeilern in die Halle herab. In fensterlosen, vergitterten Seitengewölben brannten unzählige Kerzen vor dunklen Bildaltären, deren Konturen in den Schatten verschwanden.

      Norberts Herz klopfte heftig. Der Vater sprach mit einem Mönch und zählte ihm mehrere Münzen auf die Hand. Der beleibte Mann in der schwarzen Kutte schaute Norbert nicht an. Er ging Norbert und dem Vater voraus zu einem Seitengewölbe, schloss das Gitter auf und wies Norbert hinein vor den dunklen Altar. Kerzen standen vor einer Kniebank auf dem Boden. Überall an den Wänden zu den Seiten des Altars waren kleine Tafeln angebracht.

      „Dies alles sind die Votivtafeln derer, die von der heiligen Mutter von Altenweil geheilt oder von großem Unglück erlöst worden sind,“ erklärte der Mönch dem Vater. „Bei deinem nächsten Besuch in Altenweil wirst du ebenfalls eine Tafel zum Dank für die wunderbare Heilung deines Sohnes hier anbringen lassen können.“

      „Mögen eure Götter es geben,“ knurrte der Vater.

      Der Mönch legte Norbert seine fleischige Hand auf die Schulter. „Zweifle nicht, mein Sohn, du wirst von deiner Plage erlöst werden.“

      Ich hab keine Angst, dachte Norbert, am ganzen Körper zitternd. Ich lasse mich nicht verzaubern. Auch nicht von eurer heiligen Mutter.

      Der Mönch befahl ihm, sich auf die Bank vor dem Altar zu knien. Dann öffnete er die Altarklappen. Das Bild dahinter war im Schimmer der Kerzen kaum zu erkennen. Aber es stellte keine Mutter dar, dachte Norbert. Es war das Bild eines jungen Mädchens mit verdrehten Augen, die ein Rehkitz im Schoß hielt. Sicher würde der Mönch böse werden, wenn Norbert fragte, was das Bild bedeutete. Er hielt lieber den Mund.

       Vielleicht mag sie das Rehkitz nicht und guckt darum so komisch.

      Der Mönch murmelte ein Gebet. Norbert biss die Zähne zusammen. Es passierte nichts. Kein Wunder geschah. Verstohlen beobachtete Norbert eine Maus, die hinter dem Altar am Boden entlang schnupperte.

      ***

      Vor dem Eingang zum Klosterhof erklärte der Vater: „Ich will ein paar Sachen einkaufen für zu Hause. Geh zum Gasthof und warte auf mich in der Küche bei den Mägden. Mach flott und trödle nicht!“

      Norbert ließ es sich nicht zweimal sagen und lief auf den Marktplatz hinaus.

      Zwischen den Ständen drängte sich eine bunte Menge. Frauen in graubraunen Kleidern und Holzschuhen trugen Körbe in den Händen. Sie diskutierten mit den Marktfrauen. Händler in Schürzen und Handwerker in kurzen Arbeitskutten schrien sich über die Standtische hinweg an. Männer in Stiefeln mit Dolchen oder Schwertern an der Seite, die Norbert für Reisende hielt, betrachteten die Auslagen auf den Tischen. Es gab Stände mit Säcken und Körben voller getrockneter Früchte, an denen Norbert das Wasser im Mund zusammen lief, Tücher und Stoffballen in unglaublicher Menge, glänzende Kupferkessel in jeder Größe und Becher und Teller aus Zinn, die wohl für hohe Adlige ausgestellt wurden, dachte Norbert staunend. An einem Gemüsestand plauderte ein Händler mit zwei Kriegsknechten. Sie hatten ihre Piken gegen die Schultern gelehnt und kauten Rettich. Der Händler warf Norbert einen feindseligen Blick zu.

      „Die Betteljungen solltet ihr aus der Stadt jagen. Wozu bezahlt euch der Markgraf eigentlich?“

      Einer der beiden Knechte zuckte mit den Schultern. „Gib ihnen halt ab und zu was von deinem vergammelten Grünkram ab, dann klauen sie es nicht.“

      Norbert beeilte sich, vom Stand wegzukommen.

      Neugierig lief er zwischen den Ständen umher. Er mied den unteren Teil des Marktes, wo die Krüppel und Bettler an den Hausmauern saßen und um Mitleid warben. In der Hosentasche spielte Norbert mit den zwei Viertelkreuzern, die Leika ihm mitgegeben hatte. Ein Bäcker verkaufte Rosinenbrötchen, zwei Stück für einen Viertelkreuzer. Norbert konnte kaum widerstehen, aber er wollte sicher gehen, dass es nichts gab, was noch leckerer war. Und er wollte noch weiter über den Markt schlendern und die Rosinenbrötchen erst ganz zuletzt kaufen.

      Auf der dem Kloster gegenüberliegenden Marktseite nahm das Gedränge ab. Einige Stände waren leer. An

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