Blaues Feuer. Thomas Hoffmann
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Die Gaststube nahm das gesamte Untergeschoss des Wirtshauses ein. Viele der langen Tische waren voll besetzt. Männer mit abgearbeiteten, blassen Gesichtern hielten ihre Bierhumpen in die Höhe und prosteten den Schankmädchen zu, die mit Armen voller Humpen von den Bierfässern her kamen. Die Mädchen hatten saubere Kleider an, stellte Norbert staunend fest, manche sogar blau gefärbte Schürzen, die sie sich eng um die Taille geschnürt hatten. Eine junge Frau erzählte den Männern an den umgebenden Tischen mit in die Hüften gestemmten Armen eine Geschichte, die offenbar sehr lustig war, denn die Männer johlten und prosteten ihr zu. Über der Herdstelle wurde ein Spanferkel am Spieß gedreht. Es roch nach Bier, verschwitzten Körpern und Braten. Norbert lief das Wasser im Mund zusammen.
Sie suchten sich einen freien Platz an einem Tisch am unteren Ende der Gaststube.
Der Vater fragte das Mädchen, das an den Tisch kam: „Ist Rebekka nicht da?“
Das Mädchen überlegte kurz. Dann sah sie Hans Lederer nachdenklich an. Der Vater holte den Geldbeutel aus der Jacke, legte ihn klimpernd auf den Tisch ohne ihn loszulassen und steckte ihn wieder ein. Norbert beobachtete die Szene gespannt, ohne etwas begreifen zu können.
„Ich glaube, Rebekka ist in der Waschküche,“ sagte das Mädchen mit einem seltsamen Blick auf Norbert. „Ich sag ihr Bescheid. Soll ich dir Bier bringen?“
Der Vater nickte. „Und dem Jungen auch. Essen wollen wir auch was.“
„Ich bringe euch Eintopf und Bier. Wollt ihr auch Spanferkel?“
Oh ja, bitte, bitte! dachte Norbert.
Doch er wusste, dass der Vater kaum viel Geld ausgeben würde. In Wildenbruch achtete er stets genauestens darauf, dass niemand mit dem Essen verschwenderisch umging.
„Ja,“ sagte Hans Lederer. „Und gib uns Brot dazu.“
Norbert starrte den Vater mit großen Augen an.
Der duftende Krustenbraten, der Kartoffeleintopf und das frische Brot ließen Norbert die Schrecken der Unterstadt und des Marktplatzes vergessen. Er war so mit Kauen und Schlucken beschäftigt, dass er den Wirtshauslärm kaum noch wahrnahm. Das Bier stieg ihm in den Kopf und machte ihn dösig. Die junge Frau bemerkte er erst, als sie sich zu ihnen an den Tisch setzte. Ihre Schürze war ausgebleicht und sie hatte Schwielen an den Händen, aber die Haut ihrer Unterarme, des Gesichts und des Halses, der bis zum Schlüsselbein zu sehen war, war sauber. Ihr brünettes Haar war gewaschen und ordentlich aufgesteckt. So viel Mühe um ihr Äußeres gaben sich die Wildenbrucher Frauen nur an Festtagen. Die junge Frau hatte ein hübsches Gesicht, fand Norbert. Er wunderte sich, warum sie ihr Kleid nicht bis oben zugeschnürt hatte.
„Sonst kommst du immer im Herbst,“ sagte die Frau zu Hans Lederer.
Sie war wohl die Rebekka, nach der der Vater gefragt hatte.
Hans Lederer deutete auf Norbert. „Mein Sohn. Er ist geistersichtig. Es gibt Gerede darüber im Dorf. Ich bringe ihn zu den Armen Brüdern, damit sie über ihm beten.“
Den Blick, mit dem die Frau, die wohl Rebekka war, ihn betrachtete, fand Norbert freundlich.
„Glaubst du, die Gebete der Armen Brüder werden ihm helfen?“
„Wehe, wenn nicht!“ grollte Hans Lederer. „Er soll sich bloß zusammenreißen!“
Er sah Norbert drohend an. Norbert guckte auf seinen Teller und stopfte sich Spanferkel in den Mund, weil er nicht wusste, was er darauf für ein Gesicht machen sollte. Als er aufgekaut hatte, wischte er mit dem Finger den letzten Rest Suppe aus der Holzschale. Der Vater und Rebekka unterhielten sich leise. Rebekka nahm Norbert den Suppenteller aus der Hand.
„Ich hole dir noch Eintopf. Du brauchst bei uns nicht zu hungern.“
Norbert musste an die Kriegskrüppel draußen beim Markt denken. Plötzlich fühlte er sich schlecht.
Als Rebekka mit dem vollen Teller Suppe zurück an den Tisch kam, fragte Norbert, obwohl sein Herz dabei zu pochen anfing: „Warum gibt niemand den Kriegskrüppeln was zu essen? Und den Bettelkindern?“
Aus irgend einem Grund glaubte er, solange Rebekka am Tisch saß, würde er vom Vater keine Ohrfeigen kassieren. Der Vater schlug tatsächlich nicht zu.
Statt dessen grollte er: „Weil die nichts haben, womit sie bezahlen können! Wer sollte ihnen da was geben wollen? Wenn du allen Krüppeln der Welt dein Geld geben willst, bist du bald selber Bettler! Glaub bloß nicht die Ammenmärchen, die die Weiber im Dorf erzählen: Wenn eine ihr letztes Hemd weggibt, regnen die Sterne Gold auf sie herab. Im Dreck landet sie, nirgends sonst!“
Norbert musste wohl ein sehr bestürztes Gesicht gemacht haben, denn Rebekka legte ihm die Hand auf den Arm und sagte versöhnlich: „Die Armen Brüder betreiben ein Siechenhaus im Kloster. Da waschen sie den Kriegsversehrten die Wunden und verbinden sie. Sie geben ihnen auch etwas zu essen, aber dann schicken sie sie fort. Es heißt, es gibt einen Streit zwischen dem Abt und dem Markgrafen. Der Abt sagt, die Kriegsleute hätten dem Markgrafen gedient, zu dem sollen sie gehen, damit er sie versorgt.“
Das verstand Norbert nicht, aber er hörte auch kaum zu, weil er es mochte, wie Rebekkas Hand auf seinem Arm lag. Er hätte ihre Berührung gerne noch länger gespürt, aber sie zog die Hand weg.
Sie lächelte Hans Lederer an. „Du hast einen aufgeweckten Jungen, Hans.“
Der Vater betrachtete seinen Sohn zweifelnd.
„Noch ist er nicht klug, aber klug werden muss er, das rate ich ihm!“
***
Norbert döste am Tisch, während der Vater und die junge Frau leise miteinander sprachen. Das Bier und das Essen machten ihn müde. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so satt gewesen war. Lärm, Bierdunst und das Durcheinander der Menschenmenge in der Gaststube schwammen ihm im Kopf und er wusste nicht, ob er noch wach war, oder ob er bereits im Halbschlaf träumte.
Irgendwann hörte er Rebekka sagen: „Dein Sohn schläft gleich ein, Hans, ihm fallen ja schon die Augen zu.“
Norbert dachte, sie wollte ihm eine Ohrfeige geben, aber sie fuhr ihm bloß zärtlich durchs Haar. Er konnte sich nur noch schwer konzentrieren.
„Ich bringe ihn nach oben in die kleine Kammer, da kann er schlafen, ohne dass die Betrunkenen ihn stören.“
Der Vater nickte. Norbert hatte gedacht, Vater und er würden zusammen übernachten. Aber der Vater machte diese Miene, die er immer machte, wenn er der Verena eine Speckseite oder ein Ferkelchen brachte. Norbert sah sich in der Gaststube um. Mit einem Mal hatte er den Eindruck, dass es gar nicht wegen dem Bier oder dem Essen war, weswegen viele der Männer im Raum in den „frommen Pilger“ gekommen waren.
Er folgte Rebekka zur Treppe neben der Küche. Rebekka brachte einen glimmenden Kienspan. Aus einer Truhe nahm sie Decken und ging ihm voraus nach oben. Neben dem Wäscheboden öffnete sie die Tür zu einer kleinen Kammer. Es gab einen schmalen mit Stroh gefüllten Bettkasten und eine Truhe. Die Dachluke war mit einem Laden verschlossen. Rebekka setzte den Kienspan in einen Ständer auf der Truhe.
„So, hier kannst du dich ausruhen.“ Sie legte