Blaues Feuer. Thomas Hoffmann
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„Wenn die Stadtwache ihn als Betteljungen eingefangen hätte, hätte ich teuer bezahlen müssen, um ihn auszulösen.“
„Die Kriegsleute fangen gar keine Bettelkinder ein,“ platzte Norbert heraus. „Die sind viel klüger als die fiesen Markthändler.“
Jetzt kassierte er die Backpfeife doch noch.
Hans Lederer hatte bereits gefrühstückt. Er saß schlecht gelaunt dabei, während Norbert hastig seine Hafergrütze hinunterschlang. Rebekka erschien nicht. Der Vater zahlte dem Gastwirt die Zeche. Der Wirt war ein fettleibiger kleiner Mann mit misstrauisch blinzelnden Augen. Er drehte die Silbermünzen in den Händen und hielt sie ins Licht, um zu prüfen, ob sie echt waren. Norbert fragte sich, wie viel man wohl in einem „teuren“ Gasthaus bezahlen musste. Und wie es dort wohl zugehen würde.
Als sie die Stadt verließen, war es früher Vormittag. Wind strich über die Äcker und flüsterte in den Hecken. Wo Sonnenstrahlen durch wandernde Wolkenlücken schienen, leuchtete helles Grün auf den Feldern. Norbert atmete auf. Nach dem Gedränge und den üblen Gerüchen in den Gassen der Stadt war er glücklich, wieder Erdboden unter den Füssen und weite Felder um sich zu haben. Der Vater marschierte schnell. Norbert hatte Mühe, ihm und dem beladenen Esel hinterherzukommen. In seinem Kopf überschlugen sich die Eindrücke der letzten Tage. Er hätte gerne inne gehalten, um nachdenken zu können über alles, was er erlebt hatte, aber Vater trieb den Esel an und Norbert blieb nichts übrig, als sich darauf zu konzentrieren, mit dem Vater Schritt zu halten, um nicht zurückzufallen.
In Köhlershofen machten sie Rast. Norbert taten die Füße weh, aber der Vater wollte vor Einbruch der Nacht noch den Gornwald erreichen und hörte nicht auf Norberts Betteln, doch in der Herberge zu übernachten. Am Tisch vor der Herberge waren sie die einzigen Nachmittagsgäste. Beim Brunnen spielte eine Schar Kinder. Ihr Kreischen und Lachen drang durch den Wind herüber. Vater bestellte Bier und Essen für sich und Norbert. Es gab Kohlrübeneintopf. Das Bier machte Norbert müde und er fragte sich, wie er die Wanderung bis zum Wald durchhalten sollte. Wenn es nicht mehr ging, würde er sich eben einfach an den Wegrand setzen. Wenn der Vater ihn dann prügelte, würde er ja doch nur noch schlechter weitergehen können. Das musste der Vater ja wohl begreifen.
Die Kinder tanzten im Reigen um den Brunnen. Sie sangen ein Lied dazu. Die Melodie klang wehmütig, fand Norbert. Wie die Erinnerung an einen lange vergessenen Traum.
„Ein Mädchen steht am Brunnen,
sie stehet da so still,
wartet auf ihren Liebsten,
der nicht kommen will.
Geh nicht zum Brunnen am Abend,
warte den Morgen ab.
Das stumme Mädchen am Brunnen,
sie zieht dich sonst hinab.
Der Köhler fand sie im Wald bei den Wölfen,
er nahm sie mit ins Haus.
Sie brachten ihr bei, im Hause zu helfen,
doch immer wieder riss sie aus.
Sie war nicht geschickt am Weberahmen,
zerbrach Topf und Krüge, die man ihr gab.
Sie biss die Jungen, wenn sie kamen,
sie zu besuchen am Feiertag.
Der reisende Junker, den sie liebte,
zu Sonnenwend ließ er sie allein.
Sie fand keine Tränen für ihre Liebe,
stürzte sich in den Brunnen hinein.
Geh nicht zum Brunnen am Abend,
warte den Morgen ab.
Das Wolfsmädchen am Brunnen,
sie zieht dich sonst hinab.“
Norbert stand auf und ging zum Brunnen. Er blickte in den dunklen Brunnenschacht. Aus weiter Ferne drangen Klänge an sein Ohr. Sie hallten im Brunnenloch. Zuerst glaubte Norbert, das Kreischen einer Flöte zu hören, aber es war das langgezogene, einsame Heulen einer Wölfin.
Die Kinder tanzten kreischend um Norbert herum.
„Das Wolfsmädchen am Brunnen,
sie zieht dich hinab!“
3.
Auf dem Rückweg redete der Vater kaum ein Wort mit Norbert. Sie marschierten, bis es dunkel wurde. Norbert war zu müde, um über irgendetwas nachzudenken, obwohl der Kopf ihm schwamm von den vielen Eindrücken und er seine jagenden Gedanken dringend hätte ordnen wollen. Erst, als Norbert kaum mehr die Hand vor den Augen erkennen konnte, hielt der Vater an. Längs des Hangs, auf dem sie rasteten, floss das schwarze Wasser der Gorn. Das gegenüberliegende Ufer war nicht mehr auszumachen. In der Dunkelheit konnte Norbert das Gesicht des Vaters nicht sehen, der ihm schweigend Brot und Käse reichte. Er hätte dem Vater gern vieles gefragt, doch Vaters Schweigen und seine schroffen Gesten erinnerten Norbert an Zuhause. Die Veränderung, die mit dem Vater auf dem Hinweg vorgegangen war, schien vorbei.
Norbert streckte sich aus und starrte in die Baumkronen bis es stockdunkel geworden war. Mitten in der Nacht wurde er wach. Ganz deutlich hörte er es. Keinen Steinwurf entfernt.
„Vater, da sind Wölfe!“
Er hörte den Vater sich aufsetzten. Norbert hielt den Atem an. Er lag wie erstarrt.
„Da, jetzt heult er ganz nah beim Lager!“
„Unsinn, es ist völlig still. Das hast du geträumt. Halt deinen Mund und schlaf!“
Aber Norbert hatte es nicht geträumt. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass es nicht irgendein Wolf war. Es war das Wolfsmädchen vom Brunnen. Sie rief nach ihm.
***
Die Nacht war angebrochen, als sie am folgenden Tag in Wildenbruch ankamen. Die Wildenbrucher hatten sich bereits in die Häuser zurückgezogen. Der Vater befahl Norbert, vor der Haustür zu warten, während er den Esel in den Stall brachte. Benommen von Hunger und Erschöpfung setzte Norbert sich auf die Schwelle. Seine Füße waren wund vom ununterbrochenen Marschieren. Als der Vater mit den prall gefüllten Gepäcktaschen vom Stall kam und die Haustür aufriss, stolperte Norbert hinter ihm in die Wohnküche. Es duftete nach warmer Grütze.
Die Hofgemeinschaft umringte sie. Alle starrten auf Norbert, der sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten konnte. Mutter, Lene, Margit, Beorn und Oliver schauten, als versuchten sie, einen