Blaues Feuer. Thomas Hoffmann
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Ich lasse mich nicht einschüchtern - von der schwarzen Dame nicht und nicht von euch!
Gegen Mittag legte der Vater auf einem vom Sonnenlicht beschienenen Hügel oberhalb des Flussufers eine Rast ein. Norbert taten die Füße weh. Er streckte sich im warmen Gras aus. Vater öffnete das Gepäck. Er schnitt einen Streifen Wurst ab, riss ein Stück vom Brotlaib ab und gab Norbert beides zusammen mit dem Wasserschlauch. Überrascht nahm Norbert das Essen entgegen. Der Vater kam ihm unerwartet großzügig vor. In Wildenbruch hatte Norbert außer Schlägen selten etwas vom Vater bekommen. Von der warmen Filzdecke letzten Herbst abgesehen, korrigierte er sich.
Sie aßen schweigend. Vater blickte auf den Fluss hinab.
Kauend meinte er: „Für deine Heilung werde ich im Kloster eine Menge Geld bezahlen müssen. Ich will, dass du dich dort zusammenreißt. Komm ja nicht auf die Idee, den Mönchen Widerworte zu geben.“
Hans Lederer betrachtete seinen Sohn mit einem Blick, der Norbert nachdenklich vorkam. Er wusste nicht, ob er zurückblicken oder lieber zu Boden schauen sollte. Der Vater kam ihm verändert vor. Norbert konnte sich nicht erinnern, je so von ihm angeschaut worden zu sein. Dazumal hatte der Vater noch nie so viele Worte an seinen Sohn gerichtet.
„Ja.“ Norbert hoffte, dass es die richtige Antwort war.
Noch immer schaute der Vater ihn an.
„In Wildenbruch,“ erklärte er, als müsse er sich die Worte mühsam zusammensuchen, „leben wir an der Grenze – im Urwald, wo vorher noch nie Menschen gelebt haben. Vieles ist dort gefährlicher, wilder als an den Orten, wo Menschen schon lange wohnen. Wir müssen uns in Acht nehmen. Wir müssen die Grenze respektieren, sonst ist es um uns geschehen, verstehst du?“
Hans Lederer suchte sichtlich nach Formulierungen. Norbert starrte seinen Vater mit offenem Mund an. Also wusste er...?
„Die Smeta Weidner...“ Es kam Hans Lederer nur zögernd über die Lippen, „die Weidnerin hat die Grenze nicht respektiert. Sie ist hinübergegangen...“
Norbert musste sich zusammenreißen, um nicht aufzuschreien. Das Zittern überkam ihn wieder.
Vaters Blick war unerbittlich. „Verstehst du, Norbert?“
Norbert blickte zu Boden.
„Dein Gerede über Geister muss aufhören, hörst du?“ forderte Hans Lederer.
„Ja,“ hauchte Norbert.
Und ich hör doch nicht damit auf!
***
Bis zum Abend marschierten die Reisenden flussaufwärts. Immer höher erhoben sich die bewaldeten Hügel zu den Seiten des Flusses. Norbert hatte Seitenstiche vom schnellen Gehen. Wieder und wieder rutschten seine nackten Füße auf Lehm und feuchtem Gras aus. Die Freude über die Marktreise war verflogen. Seit der Mittagsrast war eine dumpfe Empörung über ihn gekommen, seit ihm klar geworden war, dass Vater wusste, was mit Smeta geschehen war. Vielleicht, bestimmt sogar hatte Vater es vorausgesehen – und er hatte nichts gesagt! Möglicherweise wusste er auch von Großmutter – und hatte ihn trotzdem geschlagen... oder gerade deswegen! Leika hatte behauptet, die anderen verstünden nichts. Doch eine viel grausamere Wahrheit dämmerte Norbert herauf.
Bei Sonnenuntergang erstiegen sie einen Hang und suchten sich zwischen den Wurzeln alter Buchen einen Schlafplatz. Nach dem Abendimbiss, den sie schweigend zu sich nahmen, gab Vater Norbert eine Wolldecke heraus. Norbert schmerzten sämtliche Körperpartien nach dem Tagesmarsch. Er streckte sich aus, wo er war und wollte sich in die Decke rollen.
„Nicht dort neben dem Gepäck – komm hier herüber auf meine andere Seite!“ grollte der Vater.
Es war der Tonfall, den Norbert gewöhnt war, nicht der jenes ernsten, nach Worten suchenden Mannes, der ihm während der Mittagsrast so fremd vorgekommen war.
„Nicht, dass du dich nachts ans Gepäck schleichst und heimlich am Proviant zu schaffen machst!“
Auf so blödsinnige Ideen konnten nur Erwachsene kommen.
***
So müde er war, fand Norbert doch keinen Schlaf. Er rutschte in der Wolldecke auf dem unebenen Boden umher und versuchte, eine halbwegs bequeme Schlafposition zu finden. Aber immer wieder drückte ihn eine Wurzel, ein Stein. Was Vater über Smeta gesagt hatte, ging ihm im Kopf herum: sie wäre über die Grenze gegangen. Die Schreie aus der Grotte. Ihre blutig aufgerissenen Arme und Hände. Leise stöhnend wälzte Norbert sich umher. Vater schnarchte laut. Norbert tastete in der Hosentasche nach Lenes Holzpüppchen und umschloss das glatte Holz mit den Fingern. Er brachte das Figürchen dicht vor sein Gesicht.
Du musst mir helfen, Petra. Ich darf keine Angst bekommen, weil ich doch ein Held werden will – wie Beowulf. Aber ich hab immerzu so schreckliche Angst!
Das Püppchen lachte nicht. Es blickte auch nicht höhnisch oder verächtlich. Norbert wusste, dass Petra ihn verstand.
Ein paar Schritt abseits döste der Esel mit hängendem Kopf im Stehen. Jetzt hob er den Kopf und gab ein kurzes Knurren von sich. Norbert blickte durch die Baumkronen hinauf in den Nachthimmel. Die Mondsichel war von einem trüben Hof umgeben. Wald und Hügel langen in fahlem Dämmerlicht. An Vaters Schulter glänzte die Silberfibel, die den Umhang zusammenschloss, hell im Mondlicht. Aber drüben, beim Gepäck!
Mit einem Ruck fuhr Norbert hoch. Ein fahlblauer Schimmer umgab die Gepäcktaschen. Norbert kroch ein Schauder über den Rücken, wie von tastenden Fingern. Die Nackenhaare sträubten sich ihm. Das blaue Glühen schien aus den Gepäcktaschen hervorzukriechen. Der Esel zerrte knurrend an seiner Leine. Vaters Fibel strahlte hell, obwohl kaum Mondlicht schien.
Vorsichtig wickelte Norbert sich aus der Decke. Er schob das Püppchen zurück in die Hosentasche. Vater schnarchte. Fröstelnd stand Norbert auf.
Ich hab keine Angst, erklärte er Petra.
Er biss die Zähne fest zusammen, damit sie nicht aufeinander schlugen. Norbert zitterte am ganzen Leib. Aber er schlich sich um Vater herum zu den Gepäcktaschen. Es war, als würde die Nachtluft kälter. Aus einer der Taschen glühte es fahlblau heraus.
Wenn Vater wüsste, was er in seinem Gepäck hat!
Norberts Wissbegier siegte über seine Angst, über die unterschwellige Ahnung drohender Gefahr. Petra passte auf ihn auf. Zumindest redete er es sich ein. Mit klammen Fingern öffnete er die Tasche.
Kaltes blaues Licht blendete ihn. Er hatte das Gefühl, fortgerissen zu werden, weit weg von aller Wärme, allem Leben. Reglos starrte er in dieses unirdische Licht, er kannte es, er hatte es schon einmal gesehen, aber wo? Es war wie ein Sog, der ihn mit sich fortriss, in eine fremde, andere Welt, deren Schemen nebelhaft in der Ferne auftauchten. Noch konnte Norbert nichts erkennen. Und dann wusste er, woher er dieses Licht kannte: Die Elbensiedlung! Die Frau mit dem blutigen Säugling! Der Bogenschütze! Der Pfeil zielte ihm mitten ins Gesicht. Irgendwo kreischte eine Flöte.
„Norbert!“
Vaters Hand packte ihn an der Schulter, riss ihn zurück. Norbert blinzelte, noch halb geblendet. Plötzlich