Blaues Feuer. Thomas Hoffmann

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Blaues Feuer - Thomas Hoffmann

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Speckstreifen. Die nebelverhangenen Elbenruinen gingen ihm nicht aus dem Kopf.

      Ein paar Tage später begegnete Norbert Smeta am Dorfrand. Er kam mit einer Kiepe voll nassem Klaubholz ins Dorf herabgestiegen. Smeta hatte sich ein Tuch umgeschlungen gegen den Nieselregen. Wald und Felsen lagen in grauem Dunst. Das Wasser rann Norbert aus den Haaren und übers Gesicht. Er wischte es nicht weg. Er schaute auf den Korb voller Dörräpfel, den Smeta unter ihrem Tuch vor dem Regen zu schützen versuchte. Ein kleines Brot lugte zwischen den schrumpligen Äpfeln hervor. Norbert lief das Wasser im Mund zusammen.

      „Gehst du zur schwarzen Dame?“ fragte er zitternd vor Kälte und Nässe.

      Smeta nickte zögernd. Sie betrachtete Norbert, als wollte sie herausfinden, was der Junge von ihrer Not wusste.

      „Du solltest nicht zu ihr gehen,“ flüsterte Norbert. „Sie hilft dir nicht. Und außerdem,“ ihm war selber nicht klar, woher er das wusste, „will sie nur Fleisch!“

      Smeta gab ihm eine Ohrfeige.

      „So was darfst du nicht sagen!“ zischte sie wütend. „Ich erzähle deinem Vater, was du lästerst. Der schlägt dich grün und blau!“

      ***

      „Morgen Nachmittag gehen wir das Elbendorf erforschen,“ sagte Roderig beim Auseinandergehen. Er trat unter dem überhängenden Felsen hervor, unter den die Kinder sich nach der Arbeit verkrochen hatten, und ging hinaus in den Regen.

      „Wir wollen lieber noch warten, bis es wärmer ist und der Regen aufgehört hat,“ fand Lene.

      Einige der Kinder blickten zu Roderig, aber als er auf Lenes Einwand nicht einging, taten auch sie, als hätten sie Lene nicht gehört. Maja stieß Norbert den Ellenbogen in die Seite und grinste. Sie deutete mit dem Kopf nach Lene. Norbert zuckte bloß mit den Achseln.

      Am Tag darauf ging Lene als letzte der Gefährten, während die kleine Gruppe sich einen Weg durch den Auenwald zu den Ruinen bahnte. Die Kinder zwängten sich durch nasses Geäst. Norberts Kleider waren klamm vom Regen. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, wenn Maja und Roderig vor ihm das Erlengebüsch beiseiteschoben. Der Nachmittag verdämmerte in trübem Grau. Rings umher verschwand der Wald in Regenschleiern. Der feuchte Boden schmatzte bei jedem Schritt. Das Wasser war längst durch Norberts Fußlappen gedrungen.

      Dem Ruinendorf zu stieg das Land an. Der Boden wurde fester. Das Erlengehölz schloss sich zum Dickicht. Norbert zwängte sich nach vorn zu Roderig und Maja, die zwischen den Zweigen hindurch nach den verfallenen Resten der Elbenhäuser auf der Anhöhe blickten. Die Ruinen lagen in der Dämmerung. Die trübe Helle des späten Nachmittags schien sich dort früher zurückzuziehen als über der Flussaue. Graue Nebelschwaden verdichteten sich zwischen den Resten der Holzhäuser.

      „Kannst du Geister erkennen?“

      Roderigs Frage klang ernst. Norbert spähte in den wogenden Nebel. Bewegte sich da etwas im Dunst? Er sagte nichts. Vor ein paar Wochen hatte Roderig ihn aufgezogen, weil er Nebel zwischen den Ruinen gesehen hatte. Stumm schüttelte er den Kopf.

      „Also dann – gehen wir hin!“

      Die Kinder zwängten sich Roderig hinterher zwischen den Zweigen hindurch. Lene murmelte etwas, jedoch so leise, dass es niemand verstehen konnte. Oben auf der Anhöhe wurde das Gehölz lichter.

      „Wieso ist es da vorne bei den Ruinen so dunkel?“ überlegte Horst.

      Als Roderig ihn wütend ansah, presste er die Lippen aufeinander und senkte den Kopf.

      Die Reste der großen Holzhäuser ragten schwarz aus dem Boden. Nur wenige Dachsparren ließen steile, hohe Dächer erahnen. Erlen reckten ihre kahlen Äste aus den Ruinen hervor. An vielen Stellen wucherte Gebüsch. Zwischen den Häuserresten zerfaserte der Nebel. Norbert kniff die Augen zusammen. Grauer Nebel kroch in Schwaden aus den Ruinen heraus. Norbert sah es ganz deutlich.

      „Ist doch alles ganz normal hier,“ rief Maja.

      Sie blickte neugierig in eine der Ruinen hinein. Nebelzungen leckten um ihre Füße.

      Roderig stapfte durch niedriges Gebüsch. „Wenn wir Glück haben, finden wir noch irgendwas, was den Elben gehört hat.“

      „Wartet!“

      Es war Liese, die den gellenden Ruf ausgestoßen hatte. Alle fuhren herum und starrten sie an. Kalte Finger fuhren Norbert durchs Haar, tasteten seinen Rücken herab. Im Halbdunkel zwischen den Ruinen konnte er die Gefährten kaum noch ausmachen.

      „Ich hab was gespürt.“ Lieses Stimme zitterte. „Mich hat was angehaucht.“

      Von den schlanken, hohen Gestalten, die hinter ihr standen, konnte Norbert nur Umrisse erkennen.

      „Liese,“ er versuchte, ruhig zu bleiben, „komm weg da. Komm hier herüber.“

      „Es wird immer dunkler,“ keuchte Roderig.

      Liese stolperte im Rennen und fiel der Länge nach hin. Roderig fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

      „Da war ein Lufthauch vor meinem Kopf, ganz deutlich!“

      Norbert sah den langen Pfeil, der neben Roderig in einem Hausbalken zitterte.

      Horst bahnte sich zwischen widerspenstigen Zweigen einen Weg zum Hang zurück. „Hauen wir ab!“

      Lene half Liese auf. Die beiden stolperten Horst nach.

      „Komm, Bert!“

      Hinter den schwarzen Gestalten lag blaue Dämmerung. Sie waren überall zwischen den Häusern. Norbert wandte sich um, schaute nach den Gefährten. Er hörte ihre Rufe in der Ferne. Tiefes, leuchtendes Blau hinter hohen Holzhäusern. Der Himmel war schwarz. Wo waren Roderig, Lene und die anderen? Eben noch waren sie in seiner Nähe gewesen. Vor ihm stand eine hochgewachsene Frau, in braun gemusterte Decken gehüllt. Er sah die klaffende Hiebwunde, die ihr das Ohr abgetrennt und die Schulter bis zum Schlüsselbein zertrümmert hatte. Die Decken, die sie als Kleidung trug, waren blutverklebt. In den Händen hielt sie ein wimmerndes, blutiges Bündel. Norbert wurde übel.

      „Bert, wo bist du?“

      Es klang von weither. Keine zwei Schritt vor ihm stand ein Elb. Blut rann ihm aus dem blonden, langen Haar übers Gesicht. Der Pfeil auf seinem gespannten Bogen zielte Norbert mitten ins Gesicht. Verzweifelt fuhr Norbert herum. Er schloss die Augen, lauschte auf die leisen Rufe der Gefährten, tastete sich ihnen entgegen, stolperte im dichten Buschwerk. Eine Flöte klagte in schrillen Tönen in seinem Rücken. Erst, als er den Regen in seinem Haar spürte, öffnete er die Augen wieder. Diesiges Nachmittagslicht drang ihm in die Augen.

      „Den Sternen sei Dank, Bert, da bist du!“

      Lene schloss ihn in die Arme, aber sofort kreischte sie auf. „Da ist Blut in deinen Haaren!“

      Erst jetzt spürte Norbert das Pochen der Wunde.

      „Sie haben auf mich geschossen. Die Soldaten haben Frauen und Kinder geschlachtet, sogar Säuglinge. Sie haben sie einfach abgeschlachtet.“

      Die Gefährten sammelten sich um ihn. Allen stand die Angst in den Gesichtern. Regen rauschte in den Zweigen. Oben auf der Anhöhe wogte Nebel

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