Blaues Feuer. Thomas Hoffmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Blaues Feuer - Thomas Hoffmann страница 5
„Warum hast du uns nicht früher was gesagt?“ schleuderte er Norbert entgegen.
Roderigs Atem ging immer noch schnell. Norbert blickte ihn verkniffen an, ohne zu antworten.
Die Kinder kamen überein, zu behaupten, Norbert und Roderig hätten sich geprügelt, um die Verletzungen der beiden zu erklären.
Norbert sah Roderig trotzig in die Augen. „Ich erzähl' allen, dass wir im Geisterdorf waren, wenn du sagst, du hättest mich verhauen.“
„Also gut – unentschieden,“ fauchte Roderig.
***
In der Wohnküche wusch Leika Norberts Kopfwunde mit einem Kräutersud aus, bevor sie ihm ein Leinentuch fest um den Haarschopf wickelte. Norbert presste die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz zu wimmern. Am Esstisch saßen Smeta und Mutter dicht beieinander. Smeta schluchzte laut. Mutter versuchte, sie zu trösten. Der Vater blickte Norbert nachdenklich an.
„Roderig ist fünf Jahre älter als du. Das war tapfer von dir.“
Es kam selten vor, dass Vater ein Lob aussprach.
„Womit habt ihr euch da geprügelt?“ fragte Leika. Da war ein misstrauischer Unterton in ihrer Stimme. „Das ist keine normale Platzwunde.“
„Wir haben Tonscherben genommen,“ murmelte Norbert.
Lene sah ängstlich von ihm zu Leika. Leikas Mutter hatte viel über Wunden gewusst.
Leika beugte sich zu Norbert herab und sah ihm fest in die Augen.
„Das ist eine Pfeilwunde,“ flüsterte sie so leise, dass nur Norbert und Lene es hören konnten. „Wo wart ihr?“
Norbert schwieg verbissen.
„Ich glaub', Lars verstößt mich,“ weinte Smeta am Tisch. „Er hat so was angedeutet. Was soll ich denn tun? Was kann ich denn nur tun?“
Mutter hielt sie im Arm. Sie musste tief Luft holen, um sich Mut zu machen, bevor sie zu Hans Lederer sagte: „Gib ihr ein Ferkelchen für die schwarze Dame, Hans. Eins können wir entbehren.“
Und als ihr Ehemann stirnrunzelnd zurückblickte, murmelte sie bitter, obwohl ihr die Stimme dabei zitterte: „Sie müssen nicht alle bei der Verena landen.“
Einen Moment lang sah Hans Lederer stumm zu Boden.
Dann knurrte er: „Morgen soll sie sich das Ferkel holen.“
Mit schweren Schritten ging er hinaus zu den Ställen. Norbert machte sich von Leika los und ging zu Mutter und Smeta an den Tisch. Das Herz pochte ihm bis zum Hals. Mit offenem Mund starrte er Smeta an. Wieder und wieder schüttelte er den Kopf.
„Nein, tu das nicht, Smeta!“ Die Stimme versagte ihm, er konnte es nur flüstern.
Die heftige Maulschelle, die Mutter ihm gab, spürte er kaum. Er hörte nicht, was die anderen schimpften.
Erst in der Nacht auf seinem Lager begannen ihm die aufgeplatzten Lippen zu brennen. Er wälzte sich in seiner Filzdecke hin und her. Der schwarze Grottenschlund stand ihm vor Augen. Der Schauder, der ihm jedes Mal den Rücken heraufkroch im Angesicht der Grotte. Später in der Nacht hatte ihn die Erinnerung an den blutenden Elbenkrieger in ihrer Gewalt, an die Pfeilspitze, die ihm ins Gesicht zielte. Das blaue Leuchten über dem dunklen Horizont zwischen den Silhouetten der Elbenhäuser – wie das Licht einer anderen Welt.
***
Am frühen Vormittag kam Smeta das Ferkel abholen. Sie hatte ihr schönes, volles Haar zu Zöpfen gebunden, die sie sich um den Kopf gewunden hatte wie für ein Fest. Unter dem wollenen Regenüberwurf trug sie ein sauberes Kleid. Es war dasjenige, welches sie zu ihrer Hochzeit getragen hatte, erinnerte sich Norbert. Mutter und Leika gaben ihr Segenswünsche mit auf den Weg. Smetas Miene wechselte zwischen Verzweiflung und Hoffnung.
Norbert schlich ihr nach, als sie den Weg in die Felsen zur Grotte einschlug. Auf halber Höhe holte er sie ein. Neben dem Pfad toste der von der Schneeschmelze geschwollene Bach. Norbert griff nach Smetas Überwurf und zerrte. Er musste schreien, um das Tosen des Bachs zu übertönen.
„Smeta, geh da nicht hin, sie bringt dich um!“
Die junge Frau fuhr herum und schlug Norbert auf den Mund, so dass die Wunde an der Oberlippe wieder aufplatzte. Norbert schmeckte Blut im Mund.
„Du bösartiger Bengel, dass die Dämonen dich holen sollen! Wirst du wohl verschwinden!“
Norbert wischte sich das Blut von der Lippe.
„Bitte, Smeta! Sie... die schwarze Dame ist ein Dämon.“
Smeta wurde bleich. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut und Verzweiflung.
„Na, wenn schon,“ schrie sie in das Tosen des Bachs. „Was hab ich denn schon noch vom Leben. Wenn sie mir nicht hilft, will ich ja doch sterben!“
Sie schürzte mit der Linken ihr Kleid, umklammerte mit der Rechten den Korb mit dem Schweinchen und rannte stolpernd den Felsenpfad hinauf.
„Smeta!“
Norbert rannte ihr nach, aber er rutschte auf dem nassen Fels aus und schlug der Länge nach hin. Als er sich wieder aufgerafft hatte, war Smeta zwischen den Felsen verschwunden. Außer Atem stieg Norbert ihr hinterher.
Sie stand vor der Grotte, den Korb mit dem Ferkel an sich geklammert. Norbert kam es vor, als schwankte sie. Die Schwärze im Schlund der Grotte war keine gewöhnliche Dunkelheit. Sie schien aus der Grotte herauszuquellen, Smeta entgegen. Norbert wollte schreien, aber er hatte keine Stimme mehr. Wie gelähmt stand er am Eingang des Felseinschnitts. Über verfaultes Obst, modernde Kränze, Opfergaben des vergangenen Herbsts hinweg ging Smeta in die Grotte hinein. Sie ging sehr langsam und zögernd. Norbert konnte sie in der dichten Finsternis nicht mehr sehen.
„Smeta!“ Es war kaum mehr als ein Schluchzer.
Da war ein Geräusch wie aus der Kehle eines Raubtiers. Ein kurzes Gurgeln, bei dem sich Norberts Nackenhaare aufrichteten. Er hörte Smeta schreien. Der Schrei schwoll an zu einem panischen Kreischen, brach abrupt ab, setzte röchelnd wieder ein. Norbert presste die bebenden Lippen zusammen. Tränen rannen ihm übers Gesicht. Er schlotterte am ganzen Körper. Zwei blutende Hände klammerten sich aus der Schwärze heraus an den Fels am Grotteneingang. Die Ärmel waren zerfetzt. Etwas ruckte an den Armen, die Hände glitten ab, verschwanden in der Dunkelheit. Die Schreie kamen jetzt stoßweise. Sie verröchelten weit hinten in der Grotte.
***
Außer Atem, schlammverschmiert und durchnässt stolperte Norbert in die Wohnküche. Die Hofgemeinschaft war noch nicht zur Arbeit auseinander gegangen. Insgeheim hatten sie alle für Smeta zur Schutzgottheit Wildenbruchs gebetet.
Lene kreischte auf. „Bert, wo bist du gewesen?“
Schluchzend ging er in die Knie. Das Entsetzen ließ ihn nicht sprechen. Erst mehrere Atemzüge später fand er seine Stimme wieder.
Er heulte es aus vollem Hals heraus: „Die schwarze Dame hat Smeta gefressen!“