Blaues Feuer. Thomas Hoffmann
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Er steckte sich die Pflaume in den Mund und lutschte um den Kern herum. Er schaute Maja an. Im Licht des Kienspans waren ihre Augen dunkel und schön.
„Wolltest du keine Katzenbabys totmachen gehen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Wenn du nicht hingehst...“
Eine Weile saßen sie nebeneinander und schmeckten das mürbe Fruchtfleisch.
Maja blickte auf den glimmenden Kienspan. „Stimmt das mit der Hirschkuh? Ich meine...“
Norbert spuckte den Kern aus. „Ach! Die Gerlinde Hüttner spinnt. Die Ruthild Morgner ist an mir vorbeigegangen, als sie vier Tage tot war. Mit so einer großen Kiepe Holz auf dem Buckel. Ich dachte, Vater prügelt mich dafür tot, dass ich wieder einen Totengeist gesehen hab. Aber er hat nur wissen wollen, was ich gesehen hab. Und ich darf nicht drüber reden.“
Maja schaute ihn an. „Mir hast du‘s jetzt erzählt.“
„Dir würd‘ ich alles erzählen. Und du verpetzt mich ja auch nicht.“
„Nein.“
Sie nahm seine Hand. Ihr Gesicht wurde eine Spur dunkler.
„Ich... ich hab drüber nachgedacht. Es macht wirklich nichts aus, dass ich keine Schmalzkuchen backen kann.“
Norbert wurde es ganz warm. Er rückte nah an sie heran. Er wollte sie küssen, wie er sich mit dem Mädchen auf dem Markt von Altenweil geküsst hatte, aber kaum hatte er ihre Lippen mit dem Mund berührt, zog sie den Kopf weg. Lange saßen sie und hielten sich an der Hand.
„Maja, ich glaub, ich hab dich sehr lieb,“ flüsterte Norbert.
***
Die Vertrautheit zwischen den beiden fiel bald auf.
„Maja und Bert! Maja und Bert!“ riefen die Kinder neckend, wenn die zwei sich beim Treffen der Gefährten zur Begrüßung an den Händen nahmen.
Maja streckte den Spöttern die Zunge heraus. In solchen Momenten spürte Norbert dieselbe Wärme, die er mit Maja oben auf dem Heuboden gespürt hatte. Es war etwas völlig Neues. Er genoss diese Momente.
„Hast du dich verliebt?“ fragte Lene eines Abends höhnisch beim Rückweg durch den tiefen Schnee zum väterlichen Hof.
„Na und?“ antwortete Norbert zähneklappernd.
„Du weißt ja gar nicht, ob du sie später überhaupt heiraten kannst, oder ob ihr Vater sie einem anderen gibt,“ belehrte Lene ihren kleinen Bruder.
„Das werden wir ja sehen,“ konterte Norbert. „Und außerdem wird die Maja schon selber wissen, wen sie heiraten will und wen nicht.“
„Du verstehst ja von solchen Sachen noch gar nichts!“
Norbert blickte seine Schwester herausfordernd an.
„Hast du dich denn schon mal mit einem Jungen geküsst?“
„Gib nicht so freche Antworten!“ schrie sie. „Ich geb dir gleich eine Ohrfeige!“
Norbert schwieg. Innerlich triumphierte er.
***
Mitte Januar setzten heftige Stürme ein. Durch die Wohnküche zog eisige Kälte, trotz des stetig brennenden Herdfeuers. Der Sturm rüttelte an Türen und Fensterläden, pfiff unter dem Strohdach hindurch. In den seltenen windstillen Stunden war das Krachen vor Kälte berstender Baumäste in der Dunkelheit zu hören. Nur wenn der Sturm sich für kurze Zeit legte, schaufelten Vater und Onkel Beorn die Schneewehen vor der Haustür beiseite und gingen, um Heu für die Tiere und Feuerholz vom Stapel hinter dem Haus zu holen. Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine waren in der hinteren Hälfte der Wohnküche vergattert. In den unverputzten Bretterställen wären sie erfroren. So brachten die Tierleiber zusätzliche Wärme in den Raum.
Das im Sommer gefällte und getrocknete Holz war längst verbraucht. Die neu geschlagenen Scheite entflammten nur schwer und die Hofgemeinschaft hatte alle Mühe mit dem Anblasen und Unterhalten des Herdfeuers. In Decken gewickelt und mit vor Kälte klammen Fingern hockten die Familienmitglieder um die schwelende Glut. Beißender Qualm und Harzdampf füllten den Raum.
Norbert fror erbärmlich. Er mochte sich überhaupt nicht von der Herdeinfassung wegbewegen. Die Füße schmerzten ihm vor Kälte und seine Finger waren blau gefroren. Kaum konnte er die Breischale in den Händen halten. Immerzu hatte er Hunger. Er zählte die Stunden bis zur nächsten, jedes Mal zu knappen Mahlzeit. Er mochte nicht reden, selbst dann nicht, wenn Lene zähneklappernd schimpfte, weil er sich nicht an irgendwelchen Arbeiten beteiligte. Auch Lenes Gesicht war blass und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Norbert erzählte niemandem, dass die Großmutter wieder erschienen war. Stumm und voller Sorge blickte sie aus der dunklen Ecke neben der Kammertür nach ihrer Familie.
Erst Wochen später flauten die Stürme ab. Die Kälte wurde eine Spur milder. Wildenbruch war im Schnee versunken. Die Männer schaufelten Wege zwischen den Höfen durch den Schnee, aus dem lediglich die Hüttendächer noch herausragten. Wenn über Mittag die Sonne durchbrach, krochen die Wildenbrucher aus ihren Hütten in die Wintersonne. Es war eine Erlösung nach der dunklen, bitteren und verrauchten Kälte in den Hütten.
Sobald die ersten Pfade geschaufelt waren, machte sich Norbert auf zum Hof Björn Feldnersohns. Maja kam ihm auf halbem Weg entgegen. Sie sah blass und verhärmt aus und auch ihre Finger waren blau, die aus der um ihren Leib geschlungenen Filzdecke hervorlugten. Stumm umarmten sich die Kinder. Norbert gab Maja einen Kuss auf den Mund und sie ließ es zu.
„Ich wusste, dass du nicht erfrieren würdest,“ hauchte sie. „Deshalb bin ich auch nicht erfroren.“
Norbert nickte. Er konnte nicht sprechen, so warm wurde es ihm in der Brust.
„Tante Silke ist gestorben,“ flüsterte Maja. „Sie war doch schwanger mit dem ersten Kind von Gerd Mühlhäuser. Sie hat die ganze Zeit geweint vor Kälte und wollte von niemandem mehr etwas wissen, nicht mal von Gerd, obwohl der ganz lieb zu ihr war und ihr fast sein gesamtes Essen gegeben hat. Die Wehen kamen ganz plötzlich. Sie hat eine Fehlgeburt gehabt. Ich wusste nicht, dass da so viel Blut kommt. Dann ist sie gestorben. Der Gerd Mühlhäuser hat kein Wort mehr gesagt seitdem.“
Maja sah Norbert mit Tränen in den Augen an. „Und sie konnten sie doch nicht begraben in dem Sturm. Sie haben sie in eine Decke gewickelt und hinter die Hütte gelegt.“
Norbert schlang die Arme fest um das Mädchen.
„Es gibt so schlimme Sachen, Maja.“
Sie zog durch die Nase hoch und nickte.
„Wenn wir groß sind, werde ich ein Held, so einer wie Beowulf. Dann räche ich all das Böse.“
Maja drückte sich eng an Norbert.
„Bert, wenn Kinder bekommen so schlimm ist, will ich nie schwanger werden, nie!“
Lange hielten die Kinder sich in den Armen.
Drei Tage brauchten die Männer der Siedlung, um unten in der Flussniederung eine Stelle