Vorm Mast. Wolfgang Bendick
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Wir versuchen, die Manila aufzuschießen (in großen Ringen auf einen Haufen zu schichten), indem wir sie in „Englischen Buchten“ unterschlagen, anstatt übereinander. Doch sie weigert sich. „Wenn uns jemand so sieht, wird er denken, wir sind die Laokoon-Familie (griechisches Standbild, auf dem Vater und Sohn mit einer maniladicken Schlange kämpfen)“, entfährt es mir. Wir versuchen, die Leine der Länge nach auf Deck zu ziehen. Unsere Schlange weigert sich und verwindet sich nur noch zu neuen Törns. Wir kommen ins Schwitzen, auch sie taut langsam auf. „Man müsste den ganzen Scheiß ausstecken (außenbords ablassen), da würden die Kinken am ehesten verschwinden“, meint mein Lehrmeister. „Mir reicht's jetzt! Komm, wir machen's auf Bremer Art!“ Wir schießen also den Festmacher so gut es geht auf und werfen die Korkenzieher, die Kinken, in die Mitte des Manilahaufens. Darauf ein paar Lagen ordentlich aufgeschossener Manila und alles sieht perfekt aus. „So, jetzt können wir nur noch hoffen, dass die Kinken, wenn die Leine trocknet, beim nächsten Ausstecken von selber verschwinden!“
Inzwischen geht das Löschen (Ausladen) zügig weiter. Liegegebühren für Schiffe im Hafen sind teuer. Das Löschen der Ladung wird von Spezialbetrieben ausgeführt, durch Schauerleute, meist im Schichtbetrieb. Auch die Reinigung der verdreckten Luken. Das macht die Schietgäng. Da wir voraussichtlich im Ballast (Schiff leer, nur Wasser in den Ballasttanks im Doppelboden) ausreisen werden, hat die Reederei beschlossen, die Reinigung von der Mannschaft machen zu lassen. Das ist billiger! „Das Säubern der Luken machen wir auf See. Aber mit dem Aufklaren des Decks können wir gleich schon anfangen. Außerdem hat das der Scheich angeordert, bevor er weg ist. Auf einem Dampfer gibt es nie Langeweile!“, philosophiert Schmidchen.
Langsam kleckert die Mannschaft ein. Zumindest ein Teil davon. Manche sehen ziemlich mitgenommen aus. Sind das noch die Spuren der letzten Reise? Ich habe Zweifel. Von mir nimmt man wenig Notiz. Schmidchen weist mich nebenbei in meine Hauptaufgabe ein, die Backschaft. „Wichtig ist, dass alles sauber ist. Hundertprozentig! Vor allem die Fullbrass (Mülleimer) immer ausgeleert und gewaschen. Sonst schmeißen sie dich nachts aus der Koje. Bootsmann und Zimmermann zuerst bedienen, dann die Matrosen. Wir zum Schluss! Scheißhäuser und Waschraum sauber halten, Gänge und Kammern putzen, Betten machen.“ „Das ist ja 'ne ganze Menge, da braucht man ja einen ganzen Tag zu!“, bemerke ich. „Mit 'nem Büschen Übung geht das schnell. Das muss alles am Vormittag erledigt werden. Außerdem ist um 10 Uhr Fofftein, Kaffeepause. Da muss alles bereit sein, sonst hast du einen schlechten Start. Und vergiss nicht, der Abwasch ist auch zu machen. Sei froh, dass wir zu sechst sind, sonst müsstest du die ganze Reise lang alles alleine machen und noch an Deck zutörnen!“ „ Du machst mir Angst!“ erwidere ich. Er lacht: „Schau mich an! Ich hab's auch überlebt! Und hab meinen Speck behalten. Alles nur Sache der Einteilung!“ Hoffentlich hat er Recht...
RATTEN
Mittags sind drei Matrosen zu bedienen. Sie sind zu erschöpft, um groß an meinem Service rumzumeckern. Ich gebe mir ja Mühe. Aber im Kopf zu behalten, wer was zum Essen will, ist schwierig. Meist habe ich die Hälfte davon schon wieder vergessen, bis ich an der Kombüse bin. Was muss ein Kellner für ein Gedächtnis haben, denke ich. Nachmittags könnte ich eine Pause machen, aber ich arbeite durch. Zu vieles ist zu erledigen...Zum Glück sind da zwei weitere Decksjungen, die mit anfassen und mit denen man sich unterhalten kann.
Langsam lerne ich auch die Hierarchie an Bord kennen: Da ist erst mal die zwischen Oben und Unten, der Schiffsleitung und den Arbeitern. Dann ist da eine Kluft zwischen Maschinenpersonal und Decksbesatzung. Diese können sich nicht riechen. Immer fallen abfällige Bemerkungen über die anderen. Und dann die Hierarchie achtern, zwischen Voll- und Junggraden, mit der ich täglich konfrontiert bin. Am besten fährt man, wenn man den andern glauben lässt, er ist der Chef. Manchmal bin ich nicht weit vom Radfahren. Selbst unter uns Jungraden besteht eine Rangordnung: Wer hat eine Reise mehr als der andere, wer ist älter, wer stärker, die größte Klappe. Zum Glück tritt man uns Jungen allen gleichermaßen in den Arsch. Und das vereint! „Noch eine Ratte!“, sagte der Erste Offizier, als ich mich ihm vorstellte. Wie war das zu verstehen? Ich nahm mir vor, es mal als neutral zu bewerten und erst einmal abzuwarten.
Am nächsten Tag sollen wir in den Baakenhafen verholen, nach Schuppen 28, dem Stammplatz der Afrikalinien. Wir haben stark verminderte Besatzung. So 10 Leute insgesamt, Deck und Maschine, plus Schiffsleitung. „Klar vorn und achtern!“, hallt es über Deck und durch die Gänge. Da muss ich auch mit 'ran. Alle betrachten mich etwas von der Seite, wie wenn sie sich fragten, ob mit dem Neuen überhaupt was anzufangen sei... Die einzigen, die mit mir sprechen, sind die anderen Junggrade. Die Älteren bellen nur Befehle oder ignorieren mich vollständig. „Hat aber auch von nichts 'ne Ahnung! Weiß nicht mal, wie man einen Festmacher aufspillt“, usw. Dabei gebe ich mir größte Mühe. Aber in meinen brandneuen Arbeitsklamotten, die noch nach Verpackung riechen und nicht nach Schweiß, muss ich ein sonderbares Bild abgeben unter diesen Matrosen in schmuddeliger Kleidung. Außer mir glänzen nur die Offiziere. „Steh nicht so faul 'rum!“, schreit der Scheich, „hilf den anderen, die Manila einzuholen!“ Also springe ich zu der einzigen freien Stelle vor der Klüse, greife nach der Leine, um den anderen zu zeigen, was ich kann. „Bist wohl ein Bremer? Man greift nicht in die Hände eines Matrosen! Stell dich hinten an!“ Also noch eine Hierarchie! Für einen Hamburger Seemann ist einer aus Bremen unfähig...Trotz meiner Anwesenheit bekommen wir achtern den Schlepper fest, die vorne wohl auch, und alle Leinen inbords, und nicht in die Schraube. Langsam wacht das Schiff auf. Vom Schornstein her ertönt eine leichte Explosion. Schwarze Rauchkegel puffen heraus, das Schiff schüttelt sich leicht, und langsam beginnt die Schraube das ölige Wasser zu schneiden. Wir fahren!
Eines der zwei hölzernen Rettungsboote
Eine der ranghöheren Ratten kriegt den Auftrag, die Deutschlandflagge an der Gaffel zu hissen. Achtern wird die vom Flaggenstock eingeholt und im Flaggenkasten verstaut. An der Rah des Großmastes weht an Backbord die Afrikalinienflagge, an Steuerbord das Hamburger Wappen. Dann kommt die Order: „Standby!“ Bereitschaft heißt das. Also Pause. Die Schlepper bleiben angehängt, weil es nur ein paar Seemeilen sind bis zum Verholplatz. Lose durchhängend schneiden die Trossen das Wasser. Es herrscht reger Verkehr hier auf der Elbe. Manchmal dröhnt unser Nebelhorn zornig auf, wenn sich eine Barkasse oder eines der Hafenrundfahrtschiffe zu sehr nähert oder die Route versperrt. Wir bewegen uns im Fahrwasser, markiert durch rote und grüne Tonnen (verankerte schwimmende Markierungen) oder durch Baken (feste Markierungszeichen). Hier ist der Fluss ausgebaggert auf 12 Meter Tiefe, erklärt mir der Offizier, der achtern die Manöver leitet. Für Eingeweihte ist das alles logisch, für mich aber noch völlig fremd.
Mickymaus, er schaut eher aus wie ein Drahthaardackel, auch eine Ratte, steigt mit mir aufs Brückendeck. Wir bleiben etwas im Hintergrund. „Wir müssen nur rechtzeitig zum Manöver wieder achtern sein. Aber das hören wir sofort, weil sie es von hier oben aus durchsagen“, klärt er mich