Vorm Mast. Wolfgang Bendick
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Willkommen-Höft in Schulau
Knirschend spult dieser zurück vom Spillkopf an seinen Platz auf der Hangertrommel, währen der dicke, gut gefettete Hanger langsam abrollt und der Baum niedergeht. Seitlich wird der Baum mittels zweier Geien (Taljen aus Tauwerk) geführt, bis er in der Halterung zum Liegen kommt. Verfehlt der Baum die Halterung, benennt man uns mit allen möglichen Namen von Tieren oder Körperteilen... Meist lassen wir die Faulenzer auf dem Spill, weil sie im nächsten Hafen als Erstes gebraucht werden. Es sei denn, man hat einen Seetörn (Seereise) vor sich. Dann werden die Ladebäume mittels der Windenläufer an Deck befestigt. Oft stellt man die Bäume auch nur fest, d. h. man lässt sie getoppt (oben) und sichert sie durch Festhieven, indem man die über Kreuz an Deck befestigten Ladeläufer mit der Winde spannt. Aber hier auf der Elbe ist es besser aus Gründen der Sicht oder Radarbeeinflussung zumindest das Vorschiff klar zu haben. Erklärt mir Mickymaus. Wie viele Ladebäume hat ein Schiff? Normalerweise vier pro Luke. Bei fünf Luken macht das also 20 Bäume, ein kleiner Wald. Da bräuchte man fast einen Förster...
Wedel kommt näher. Trillerpfiff von der Brücke: „Bereit zum Flaggedippen am Willkommen-Höft in Schulau!“ Auf der Café-Terrasse stehen ein paar fröstelnde Schaulustige. „Motorschiff Natal der Deutschen Afrikalinien, 6270 BRT auf der Ausreise nach Westafrika!“ Sie wünschen uns eine gute Reise und spielen das Deutschlandlied. Sachsenberg dippt die Flagge. Da drüben geht wohl alles auf Knopfdruck, denn man sieht niemanden am Mast. Die Nationalhymne dringt bruchstückweise und etwas blechern zu uns herüber. Wir sind etwas gerührt. „Kokolores! Nichtstuer! Maulaffen!“, ruft der Scheich. Wir wissen nicht, meint er uns oder die an Land. Wohl alle. Also arbeiten wir weiter und schauen heimlich nach Schulau hinüber. Es wird mir plötzlich bewusst: Ich bin auf einem Schiff und fahre nach Afrika! Das achteraus verhallende Deutschlandlied verwandelt sich in meiner Phantasie in das Tamtam von Trommeln...
HEJ LÜCHT
Vier Doppelschläge von der Schiffsglocke auf der Brücke zeigen acht Glasen an. Also 12 Uhr Mittag. Wachwechsel. Die neue Wache hat schon um halb zwölf gegessen, und löst gerade die alte ab. Wir lassen die Arbeit fallen und schauen uns das an beiden Seiten vorbeiziehende Land an. Niemand kann uns im Moment anmachen, es ist ja Mittagspause. Dann gehen wir nach achtern in die Messe essen. Inge, der wie die anderen seine zweite Reise macht, hat es vorgezogen, Backschaft zu machen. Er hat voll zu tun, das Essen von der Kombüse mittschiffs zur Messe achtern zu schaffen. Wie wird das erst auf See werden, wenn es noch schaukelt?
Die Back
Nach dem Essen klaren wir weiter das Deck auf. Geien und Preventer (in der Länge regelbare Stahlseile, die mit den Geien die seitliche Verankerung der Ladebäume darstellen) aufschießen. So vergeht der Nachmittag, während wir von der Strömung und der Maschine stetig elbabwärts bewegt werden. Cuxhaven und Brunsbüttel ziehen vorbei, weite, flache Wiesen unter einer glitzernden Reifschicht, hier und da eine Industrieanlage. Feuerschiff Elbe 1 kommt in Sicht. Rot liegt es im leicht bewegten Wasser. Der Himmel hat sich inzwischen aufgeklart.
Erneuter Lotsenwechsel. Ein kleines, mit einem klappbaren Spritzverdeck, ähnlich dem eines Kinderwagens versehenes gelbes Boot löst sich vom Lotsenschiff und hüpft zu uns heran. Als es nahe genug ist, wendet es, um parallel zu uns mit gleicher Geschwindigkeit zu fahren. Der Abstand verringert sich. Als es neben der ausgebrachten Leiter angekommen ist, tritt der Lotse hinter dem Klappverdeck heraus. Ein schneller, prüfender Blick, und schon steht er auf den Sprossen und hangelt sich hoch. Sogleich dreht das Boot ab, um in geringer Entfernung neben uns herzufahren. Ein Offizier und Schmidchen, der gerade Wache hat, stehen neben der Treppe an Deck, dort, wo die Leiter befestigt ist. Schmidchen hält das Geländer der Treppe fest, um sie zu sichern (und nach unserer Devise, immer etwas in der Hand zu haben, damit man uns nicht des Nichtstuns bezichtigen kann). Der Offizier reicht dem Lotsen, als dieser auf Schanddeckelhöhe angekommen ist, die Hand, und hilft ihm an Deck zu steigen. Haben die Offiziere die gleiche Devise wie wir? Beide eilen nach Mittschiffs zur Brücke hoch. Kurz darauf kommt der Flusslotse herunter, das Lotsenboot kommt wieder längsseits, er springt hinein, unterstützt von einem der zwei Besatzungsmitglieder des Bootes. Ein letzter Blick zum Schiff, die Hand grüßend an den Mützenrand gelegt. Der Mann am Ruder legt die Pinne um, und schnell entfernt sich das Boot. Der Maschinenrhythmus beschleunigt sich. Ich schaue auf meine Uhr und zähle mit. 95 Touren. Wir sind auf Höchstdrehzahl, also voller Fahrt!
Um mich nichts als Wasser. Das Land hat sich kleingemacht. Ich bin auf dem Meer! Ein paar Seehunde, exotische Lebewesen für einen Bayern, tummeln sich nicht weit entfernt auf einer kleinen Sandbank. Als sie mich bemerken, wedeln sie mit dem Schwanz. Einer kratzt sich mit der Flosse hinterm Ohr. Nein, er winkt mir, fast scheint es, er schwenkt den Zeigefinger. „Hei lücht“, sagt er, „das hier ist nur das Wattenmeer!“ Dann der Leuchtturm Roter Sand. Dort schwenken wir nach Süden, weseraufwärts in Richtung Bremen. Viele der Ortsnamen, an denen wir vorbeifahren, sind mir bekannt. Seit Jahren, seit ich mein erstes Radio hatte, einen uralten Röhrenempfänger, der nach Bakelit und heißem Staub roch, je länger er an war. Mein Vater wusste nichts davon, kannte ich doch seine Sprüche: „Hab ich früher nicht gehabt, also brauchst Du's auch nicht.“ Auf diesem Radio holte ich die große weite Welt in mein kleines Zimmer. Während mein Bruder „Junge, komm bald wieder“ und „Mit siebzehn hat man noch Träume“ oder „Heimweh“ anhörte, lauschte ich Radio Moskau, Peking und Sydney. Am interessantesten war die Kurzwelle, weil die am weitesten reichte. Zwischen dem Zwitschern von Störsendern suchte ich nach noch nicht gehörten Frequenzen, ob ich diese nun verstand oder nicht. Dabei stieß ich auf Pegelstandsmeldungen an der Nordseeküste. Namen wie Neuharlinger Siel, Mellum, Roter Sand erklangen da mit Ziffern hinten an, Tendenz fallend oder steigend. Das war für meine Kinderohren ebenso exotisch wie die endlosen Ave Maria, Gratia Plena, von Radio Vatikan oder die heulenden Gitarrenaloahes von Radio Honolulu. Natürlich versuchte ich auch, wie meine Freunde, den Polizeifunk zu empfangen. Aber was da gesprochen wurde, war mir zu nah. Da hörte ich lieber die Morsesignale russischer Spione oder sinkender Schiffe und schlief dabei ein.
Ja, unser Bootsmann hat uns wieder entdeckt. Es fängt an, dunkel zu werden, und bevor wir auf der Weser sind, müssen wir schnell noch den ganzen Schiet (Abfall) über Bord schmeißen. Jetzt bemerke ich, dass sowohl auf dem Vorschiff als auch achtern ein Ladebaum aufgetoppt geblieben ist. Mit ihnen hieven wir, natürlich mit einem Matrosen an der Winde, die Brooks (Netze) mit all dem Dreck aus den Luken und den Baumrinden außenbords. Eine Brook hat ein Auge (Schlaufe) an jedem Eck. Zwei davon binden wir mit einem Kardeel (Bestandteil eines Seils) zusammen und hängen das und die anderen Augen an den Haken des Windenläufers. Unser Matrose wartet nur darauf, um mit einer theatralischen Geste und wichtiger Mine die Winde in Gang zu setzen und das Dreckpaket hochzuhieven. Erreicht dieses Schanddeckelhöhe, schieben wir es außenbords. Der Matrose fiert (senkt) das Ganze etwas ab und wir dürfen mit unserem Takelmesser das Kardeel kappen. In einer riesigen Staubwolke