Der dritte Versuch Magische Wesen. Norbert Wibben
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der dritte Versuch Magische Wesen - Norbert Wibben страница 6
Finn will sich verständlich machen, doch sein Gefiepe wird nicht verstanden. Also versucht er, einen gedanklichen Kontakt herzustellen. Er muss mehrere Anläufe unternehmen, während das Mädchen ihn immer noch vorsichtig auf einer Hand hält und mit einem Finger der anderen streichelt. Da er etwas ungeübt in der Anwendung von Magie ist und das Streicheln ihn immer wieder ablenkt, braucht er mehrere Versuche. Er weiß nicht, ob eine Verbindung zu dem Mädchen funktionieren könnte, das vielleicht nicht einmal über magische Fähigkeiten verfügt, darum denkt er angestrengt:
»Juna, bitte erschrick nicht. Ich bin keine Haselmaus, sondern ein Elf!« Es erfolgt keine Reaktion.
»Juna. Ich bin keine Maus.« Wieder nichts.
»JUNA!«
»Was ist? Wer ruft mich?« Da die Elfe das laut fragt, schaut Cloe sie erstaunt an.
»Ich habe NICHT gerufen. Stimmt etwas nicht?«
Ein Alptraum
Etwas früher am gleichen Morgen. Cian wälzt sich unruhig im Bett. Seine Lippen bewegen sich, murmeln unhörbare Beschwörungen. Schwere Schweißtropfen perlen auf seiner Stirn. Lange, silbergraue Haare kleben ihm am Kopf. Mit einem nach Luft ringendem Atemzug richtet er sich ruckartig auf. Die Bettdecke verrutscht und lässt einen Blick auf die magere Gestalt in einem weißen, knielangen Nachthemd zu. Der alte Elf hockt zitternd auf dem Bett. Die Beine werden angewinkelt und die Bettdecke wieder hochgezogen, bis sie auch die Schultern bedeckt. Die hellblauen Augen irren noch einige Zeit im Raum umher. Der Traum war zu realistisch. Der Mann mit dem zerfurchten Gesicht fixiert den Eingang zum Zimmer. War dort soeben eine Bewegung? Kommt jetzt gleich sein Feind herein, um ihn nun, nach so langer Zeit, zu töten? Er ist für eine letzte Auseinandersetzung bereit. Wenn Cian das genau bedenkt, scheint ihm das eher unwahrscheinlich. Sein rasender Puls beruhigt sich. Er versucht, bewusst langsam zu atmen. Er ballt die Hände zu Fäusten, um die Panik, die ihn im Traum übermannte, zurück in die Erinnerung zu pressen. Jetzt sieht er sich erneut um, diesmal aber ruhig und forschend. Nein. Er ist allein. Der alte Elf bekommt in seinem Heim, im Osten des Landes, fast nie Besuch. Woher sollen Feinde daher wissen, wo sie ihn finden können? Sogar sein erbittertster Gegner Connor, der Oberste der Dubharan, ist nicht in der Lage, den Tarnzauber zu durchbrechen, wenn er denn hier nach ihm suchen würde.
Cian sitzt grübelnd auf dem Bett. Etwas an der Sequenz beunruhigt ihn. Es will ihm aber nicht einfallen was. Der Traum, der ihn in den vergangenen zwanzig Jahren immer mal wieder heimsuchte, seit … Nein, daran will er jetzt nicht denken. Diese Bilder tauchten in den letzten Wochen öfter auf. Er hat getestet, ob es mit dem Essen zusammenhängt. Er hat abends nichts mehr gegessen, so dass er Magendrücken ausschließt. Erfreut meinte er schon, die Ursache gefunden zu haben, bis er drei Nächte später die von ihm so gefürchtete Sequenz … Erneut driften seine Gedanken ab. Aber der Traum soeben war anders. Aber was war es nur?
Cian zuckt mit den Schultern. Es wird sicher nicht so wichtig sein oder ihm unvermittelt wieder einfallen. Er hat in der letzten Zeit immer öfter Alpträume, auf einen mehr wird es nicht ankommen. Er streckt seine Beine, dreht sich zur Seite und lässt sie über den Rand des Bettes hängen.
»Brr, ist das heute ungemütlich«, brummt er fröstelnd. »Incendere!« Die Holzscheite im Kamin, die er gestern vorsorglich aufgeschichtet hat, flammen auf. »Ich werde scheinbar langsam senil«, stellt er mit einem Grinsen fest. »Ich hätte abends besser ein dickeres Scheit auf die letzte Glut gelegt, dann wäre es jetzt nicht so ausgekühlt. Das ist eben der Nachteil, wenn man in einem alten Turm wohnt, selbst wenn es der berühmte »Giants Crown« ist, der einmal die letzte Zuflucht in der Königsburg des Ostens darstellte.«
Cian schüttelt den Kopf, als er kurz daran denkt, was hier vor zwei Jahrzehnten geschehen ist. Bei dem letzten Versuch der Dubharan, die Macht im Land an sich zu reißen, hatten sie es zuerst auf diesen Ort abgesehen. Sobald diese Festung in ihrer Hand sein würde, so hatten sie angenommen, würden nicht nur die verschiedenen Stämme der Menschen, sondern auch alle Elfenvölker sie als Herrscher anerkennen. Entsprechend heftig tobte der Kampf. Viele tapfere Menschen und Elfen aus allen Landesteilen ließen damals ihr Leben, genauso wie unzählige der verblendeten Anhänger der Dubharan.
Jetzt ist der Turm halb zerfallen und ragt als stilles Mahnmal aus den vielen Trümmerhaufen der einst stattlichen Burg. So sieht es zumindest aus, denn Giants Crown ist mehr als nur ein Mahnmal. Der Turm ist seit vielen Jahren der geheime Rückzugsort von Cian, der ihn in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzte. Danach sprach er einen mächtigen Tarnzauber, der den Turm für alle als Ruine erscheinen lässt, die derart zerfallen erscheint, dass sie keinesfalls bewohnbar sein kann.
Das war eine Kleinigkeit für ihn, der einer der drei Oberen aller Zauberer, der Elfen und Menschen, war. Doch er hat diesen Rang und die damit verbundene Verantwortung vor zwanzig Jahren abgegeben. Das war kurz nach dem zweiten Versuch der Dubharan, die Macht an sich zu reißen. Erneut gab es viele Verluste auf beiden Seiten in der letzten, blutigen Schlacht. Der alte Elf betrachtet die Innenseite seiner linken Hand, wo noch der Umriss einer Sonne zu erkennen ist, der aber kleiner als das ursprüngliche Symbol ist. Kaum jemand der jüngeren Elfen weiß, dass er einst einer der mächtigsten Magier gewesen ist, der an der Spitze der Elfenheere gegen die dunklen Zauberer in den Kampf zog.
Damals, vor vielen Jahren, war er als Ausbilder der magischen Fähigkeiten junger Elfen aktiv. Er wurde von diesen Jugendlichen geliebt und verehrt, da er ihnen gegenüber immer gerecht war und sie als gleichberechtigt ansah. Manch anderer Elf, Mann oder Frau, ließ sie ihre Jugend spüren. Die Erwachsenen verzogen keine Miene, wenn die jungen Elfen darüber sprachen, dass den Dubharan endlich klargemacht werden müsse, dass es für alle Seiten besser wäre, friedlich miteinander umzugehen. Dazu könne und müsse man manchmal einen Krieg beginnen, wenn dieses Ziel anders nicht zu erreichen ist. So sprachen die Jugendlichen. Die Erwachsenen wussten, dass dieser Ansatz nicht richtig ist, diskutierten aber nicht mit ihnen darüber. Cian verhielt sich anders. Sobald er von diesen Gedanken erfuhr, setzte er sich mit den Wortführern und allen, die dazu bereit waren, zusammen. Er führte ihnen vor Augen, welches Leid bereits in der Vergangenheit durch Auseinandersetzungen mit Waffengewalt entstanden war. Leider führten diese Gespräche auch dazu, dass ihm seine Schüler stets vertrauten. Er war ihr unumstrittenes Idol.
Bei dem zweiten Versuch der Dubharan, die Macht zu übernehmen, folgten diese Schüler Cian in die blutige Auseinandersetzung. Zu ihrem jugendlichen Ungestüm kam ihr blindes Vertrauen in ihren Herrn und Meister. In den vielen Unterrichtsstunden hatten sie sich immer auf sein Eingreifen verlassen können, sobald bei einem Zauberspruch etwas falsch lief. Das ist in einem Kampf natürlich von keinem Anführer, und sei er noch so ein mächtiger Zauberer, zu gewährleisten.
Cian sieht in manchen seiner Alpträume, wie viele seiner Schüler, für die er gerne sein Leben gegeben hätte, starben. Obwohl er damals bereits länger gelebt hatte, als viele andere Elfen, war es ihm nicht möglich, sein Leben gegen eines von ihnen zu tauschen. Seit diesen Ereignissen nahm er keinen Schüler mehr an. Er wollte sich nicht erneut emotional an ein junges Talent binden und es andererseits auch nicht in Situationen wissen, in der es möglicherweise auf sein Eingreifen vertrauend untergehen könnte.
Vor zwei Jahren kam es dann anders, als er es sich hatte vorstellen können. Er akzeptierte nach fast zwanzig Jahren einen jungen Elf als Schüler, seinen letzten, wie er sich fest vorgenommen hat: Finn!
Dieser Junge hatte ihn, wie er heute weiß, bei dem jährlichen Treffen aller Zauberer gezielt angesprochen. Bereits nach kurzer Zeit diskutierte er mit ihm über den Sinn