Der dritte Versuch Magische Wesen. Norbert Wibben
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der dritte Versuch Magische Wesen - Norbert Wibben страница 9
Und plötzlich blitzt ein Name in seinem Kopf auf: »Kayleigh!« Sofort sieht er die stolze, hoch aufgerichtete Gestalt der obersten Elfe aus dem geheimen Wald im Norden vor sich. Will sie einen gedanklichen Kontakt mit ihm herstellen? Cian schließt die Augen und öffnet seinen Geist. Obwohl sie unterschiedlichen Elfenvölkern angehören, mussten beide nie einen Elfenstein zur Aufnahme einer Verbindung nutzen.
»Cian, mein Freund«, vernimmt er tatsächlich die Stimme der Elfe in seinem Kopf. »Ich muss dringend mit dir sprechen. Genauer gesagt, ich benötige deinen Rat. Kannst du kommen, oder darf ich dich in der alten Königsburg, also in ihren Resten, besuchen?«
»Kayleigh! Ich freue mich, von dir zu hören. Ich komme gerne, denn mein Zuhause ist für einen Besuch nicht so geeignet. Ich muss nur einige Vorkehrungen für meine Abwesenheit treffen, dann bin ich gleich bei dir.« Sie trennen die Verbindung und Cian überlegt. Was wollte er gerade suchen? Ach ja, den Wälzer über magische Artefakte. Aber in Serengard, der Burg der Nordelfen im geheimen Wald, wird das Buch sicher auch zu finden sein. Außerdem kann ihm Kayleigh vermutlich sogar ohne darin nachzuschauen sagen, was es mit dem Ring auf sich hat.
Der Elf tritt von dem Regal zurück und lässt seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Das Feuer löscht er mit einer Handbewegung, genauso wie die wenigen Kerzen, die er entzündet hatte. Er schließt das geöffnete Fenster und murmelt zur Erneuerung den Tarnzauber, der den Turm als einsturzgefährdete Ruine erscheinen lässt. Der wirkt für einen längeren Zeitraum, also ist der Turm sogar in seiner Abwesenheit geschützt. Er atmet einmal tief durch, überlegt kurz, ob er auch nichts vergessen hat. Ach ja, sein Umhang hängt dort am Haken, der muss natürlich mit. Schnell schnappt er sich diesen und wickelt sich hinein. Er will bereits den magischen Sprung nutzen, als er sich mit der flachen Hand vor die Stirn schlägt.
»Du wirst doch wohl senil. Du willst etwas über den Ring erfahren und vergisst, ihn mitzunehmen?« Er tritt in seine Leseecke und tatsächlich, dort hat er das Artefakt liegen lassen, als er aufstand, um nach dem Buch zu suchen. Schnell greift er danach und überlegt kurz, den Ring in eine seiner Taschen zu stecken. Dann schüttelt er grinsend den Kopf. »Kommt nicht in Frage, dort könnte ich ihn noch verlieren. Ich stecke ihn lieber an, wenn er denn auf einen meiner Finger passt!« Mit der rechten Hand hält er ihn prüfend vor die verschiedenen Finger der linken Hand. Der mittlere ist zu dick. Der Ringfinger könnte passen, doch auch der ist nicht geeignet. Nach kurzem Zögern steckt er ihn auf den kleinen Finger. Ja, dort passt er gut. Ein warmes Gefühl der Zufriedenheit durchfährt ihn. Kurz blitzt das Bild eines kleinen, blauen Drachen in seinem Kopf auf. »Was ist das jetzt? Hat das etwas zu bedeuten, oder beginne ich Erscheinungen zu haben? – Ich muss Kayleigh fragen. Sie kann mir vielleicht raten, was ich mit dem Ring anfangen soll.« Cian blickt noch einmal prüfend um sich. Nein, jetzt hat er nichts vergessen. Ganz sicher! »Portaro!« Die Luft flirrt, dann ist der Raum verlassen.
Cian blickt in einen hellen Wald, den er schon geraume Zeit nicht mehr betreten hat. Die Bäume sind belaubt. Ihre hellgrünen Blätter sehen denen im Frühjahr ähnlich. Der Waldboden ist übersät mit Buschwindröschen und Leberblümchen. Er weiß, dass es in diesem Wald immer so aussieht, trotzdem fühlt er sich bei diesem Anblick wie verjüngt. Er will bereits mit federnden Schritten dem vor ihm liegenden Pfad folgen, als er rechtzeitig an die hier versteckten Wächter denkt. Sie würden jeden unbefugt eindringenden Fremden töten, doch er ist eigentlich kein Unbekannter, also bestünde für ihn die Gefahr vermutlich nicht. Das bestätigt sich auch sofort. Ein grün gekleideter, junger Elf tritt aus seinem Versteck hervor. Sein langes, hellblondes Haar wird mit einem grünen Stirnband um den Kopf fixiert. Den Bogen trägt er locker in der Hand, ein Pfeil ist nicht aufgelegt. Das ist ein Zeichen dafür, dass ihn die Wächter, es sind stets fünf von ihnen hier versteckt, als Freund erkannt haben.
»Ich grüße dich, Cian!« Die Stimme klingt freundlich, auch wenn das Gesicht streng wirkt. »Du darfst passieren!«
»Ähem. Ich grüße dich auch und Danke.« Der alte Elf wundert sich nicht, wie schnell der Wächter wieder verschwunden ist, ohne dabei ein Geräusch zu machen. Schließlich sind die Wachen der erste Schutz des geheimen Waldes der Nordelfen, die jeden Ankömmling empfangen und wenn nötig zurückweisen oder auch töten.
Cian überlegt, ob er durch diesen Frühlingswald wandern oder mittels magischem Sprung direkt in die Bibliothek in Serengard wechseln soll. Es riecht hier verlockend nach Frühling, doch dann entscheidet er sich für die schnellere Variante. Er wurde ja gebeten, herzukommen, da Kayleigh offenbar dringend seinen Rat benötigt. Den Spaziergang kann er auch noch im Anschluss machen. Die Luft flirrt und im gleichen Moment steht er in der Bibliothek der Elfenfestung. Er weiß, dass die Oberste der Nordelfen ihn in diesem Raum, wo ihr Lieblingsaufenthalt ist, erwartet.
»Sei gegrüßt, Kayleigh. Du hast mich gerufen, hier bin ich!« Der Elf macht dabei eine leichte Verbeugung und wird durch ein glockenhelles Lachen empfangen.
»Mein lieber Freund. Ich danke dir für dein schnelles Erscheinen!« Auch sie macht eine leichte Verbeugung und deutet anschließend auf die bequemen Sessel, die vor einem Kamin stehen, in dem ein lustiges Feuer prasselt.
»Darf ich dir etwas zu trinken anbieten? Einen Tee vielleicht?«
»Ja, danke, den nehme ich gern.« Er hat das kaum gesagt, da stehen auch schon zwei Tontassen auf dem kleinen Tischchen zwischen ihnen. Aus ihnen steigen Dampf und prickelndes Pfefferminzaroma auf. Cian weiß, sie werden zuerst einige Schlucke des noch heißen Tees trinken, bevor Kayleigh auf den eigentlichen Grund zu sprechen kommt, weshalb sie ihn gerufen hat. Beide mustern sich aufmerksam. Bei der Begrüßung hielt die Elfe ihre schlanke Gestalt kerzengerade, genauso wie jetzt im Sitzen ihren Oberkörper. Das ist ein Ausdruck jahrzehntelanger Disziplin, mit der sie ihre Aufgabe als oberste Elfe wahrgenommen hat. Ihr Gesicht, auf deren Stirn ein Sonnensymbol erkennbar ist, ist trotz ihres Alters unverändert schön. Das Symbol kennzeichnet sie als eine der oberen Drei aller Zauberer, zu denen Cian einst auch gehörte. Ihre Haare sind wie seine mittlerweile silbrig glänzend, obwohl ihre noch einen leicht goldenen Schimmer zeigen. Beide seufzen kurz, während ihre Gedanken nach kurzem Verweilen in der langen, gemeinsamen Vergangenheit ins Jetzt zurückkehren. Sie greifen zu den Trinkgefäßen, pusten darüber und nehmen die ersten, vorsichtigen Schlucke.
»Wir steuern auf eine neue Auseinandersetzung mit den Dubharan zu«, beginnt Kayleigh. »An vielen Orten im Land sind die Menschen unzufrieden. Das provozieren die dunklen Magier geschickt. In den letzten beiden Jahren gab es Ernteausfälle, die durch Notrationen aus den Vorratslagern nicht ausgeglichen werden konnten. Die Missernten sind nur zum Teil durch äußere Umstände erklärbar. Es gab im vorigen Frühjahr unüblich lange Frostperioden, die die Obsterträge beeinträchtigten und im letzten Sommer zu viel Regen, wodurch Getreide an den Halmen verfaulte. Viele der restlichen Felder gerieten in Brand, dessen Ursache nie gefunden wurde. Das Vieh litt im gleichen Maße unter der Nahrungsverknappung, selbst die reinen Viehweiden lieferten kaum Futter für sie. Die Tiere wurden an manchen Orten notgeschlachtet, wobei sie meist nicht einmal die Hälfte des sonst üblichen Gewichts erreichten.«
»Das habe ich in meinem Turm im Osten nicht mitbekommen. Ist es wirklich so schlimm?«
»Es ist so schlimm. Ich vermute, die Wetterkapriolen wurden und werden durch die Dubharan verursacht, genauso wie die unerklärlichen Brände. Gleichzeitig sammeln sie überall im Land Verbündete, vornehmlich aber im Süden und Westen. Der Norden, die Mitte und der Osten sind bisher unauffällig.«
»Was meinst du mit unauffällig?«
»Deshalb habe ich dich hergebeten. Im Westen und im Süden gibt es immer wieder Überfälle auf Städte, Dörfer und einsame Ansiedlungen. Die zuständigen Regionalherren, Bürgermeister und Fürsten, haben die Übeltäter bisher nicht ermitteln können. Die Angreifer entkamen jedes Mal, ohne dass die Verfolger aufklären