Der dritte Versuch Magische Wesen. Norbert Wibben
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Читать онлайн книгу Der dritte Versuch Magische Wesen - Norbert Wibben страница 7
»Ich weiß, dass sie auf ein langes Leben zurückblicken können«, führte er das Gespräch fort. »Gibt es einen bisher von mir nicht entdeckten Sinn darin, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben, egal aus welchem Grund?« Überrascht schaute der alte den jungen Elf an, sah, dass seine Augen genau wie seine eigenen in Tränen schwammen. Cian erstarrte und grübelte. Alle Antworten, die ihm dazu einfielen, erschienen ihm platt und nichtssagend. Er straffte seine Schultern und schüttelte den Kopf.
»Ich kenne keinen!« Erneut schwiegen beide. Endlich setzte der junge Elf zu einer Antwort an und schluckte noch einmal. Seine Worte kamen leise, ohne vorwurfsvoll zu klingen.
»Ich habe vor Jahren meinen Onkel verloren. Er starb bei den letzten großen Kämpfen gegen die Dubharan. Ist ein möglicher Sinn darin zu sehen, weil er das Gute gegen das Böse verteidigte? – Meine Großeltern sind daran beinahe zerbrochen. Sie wollten es zuerst nicht akzeptieren, suchten nach Schuldigen, die sie dafür verantwortlich machen konnten. Sie waren einmal sogar so weit, allein gegen die letzten bösen Zauberer zu kämpfen, einfach nur, um etwas zu tun, was ihrer Wut über den frühen Tod ihres Sohnes ein Ventil bot. Ich sah sie oft weinen, doch langsam stellten sie sich dem geänderten Leben. Sie konzentrierten ihre Liebe, so schien mir jedenfalls, jetzt stärker auf mich. Ich habe lange Gespräche mit ihnen geführt und kenne mich mit fast allen Details aus dem kurzen Leben meines Onkels aus. – Ich weiß, dass er zuletzt bei ihnen, Cian, ausgebildet worden ist. Halt, bitte stehen sie nicht auf! Ich, ich brauche ihren Rat.« Der greise Elf hatte sich etwas erhoben, ließ sich dann aber doch wieder auf dem Sitz nieder. »Danke! – Mein Onkel hielt große Stücke auf sie, bewunderte ihre faire Art und Weise, mit möglichen Problemen umzugehen. Sie prüften stets alle Seiten, hörten jedes Argument und Gegenargument, bis sie einen möglichen Lösungsansatz boten, ohne jedoch auf dessen Richtigkeit zu bestehen. – Jetzt benötige ich diese klare Urteilsfähigkeit. Ich möchte einen besonderen Ausbilder bitten, meine magischen Fähigkeiten zu vervollkommnen.«
»Ich bilde niemanden mehr aus!«, flüsterte der Alte kaum hörbar.
»Ich weiß das. Möchte sie aber auffordern, meine Bitte mit ihrem Verstand zu untersuchen, nicht mit ihrem Gefühl. Entschuldigung«, unterbrach sich Finn, »ich weiß natürlich, dass es schwer für sie ist, gegen ihr Gefühl zu handeln, aber bitte, nutzen sie ihren messerscharfen Verstand, den mein Onkel so sehr bewunderte!«
»Dieser Verstand schaffte es aber nicht, deinen Onkel und so viele andere, talentierte und geliebte Elfen vor dem Tod zu bewahren. Vor einem Tod, den weder sie, noch ihre Eltern verdient hatten. – Nein. Mein Gefühl spricht dagegen!«
Obwohl jetzt Stille herrschte, stand Cian nicht auf, um zu gehen. Auf was wartete er? Vielleicht auf ein Argument Finns, genau diesen Verstand zu bemühen? Aber der junge Elf schwieg, schaute ihn nicht einmal an. Wenn Cian jetzt aufgestanden wäre, hätte ihn Finn sicher nicht zurückgehalten. Völlig unerwartet sagte der Jüngere dann doch etwas, leise und kaum vernehmbar.
»Der Sinn meiner Ausbildung bei ihnen wäre klar. Es geht darum, dass das Erlebte vieler Jahre, an einen wissbegierigen aber noch dummen Elf weitergegeben wird. Genauso wie die Kenntnisse über Zauber und das Wissen ihrer Anwendung. Vielleicht kann dadurch zukünftig der Tod Unschuldiger verhindert werden.«
Überrascht hob Cian seinen Kopf und dachte sofort:
»Von wegen dummer Elf. Das hast du dir doch lange und gut überlegt. Meinst du, möglicherweise mit Schmeicheleien zu erreichen, was schon viele vor dir vergeblich versuchten?« Ein jungenhaftes Lächeln huschte dabei über das Gesicht des Alten, der nun erwiderte:
»Ich werde es mir überlegen, verspreche aber nichts. Vermutlich werde ich dir sogar absagen. – Meine Fähigkeiten als Ausbilder wurden schon lange nicht mehr gefordert. Sollte ich dich doch nehmen, und ich sage ausdrücklich SOLLTE, dann musst du mir versprechen, mir nie blind zu vertrauen. Wäge stets ab, ob das, was du beabsichtigst, Sinn macht. – Und lass das blöde »Sie«, nenne einfach meinen Namen.«
»Ich kann ihnen … hm, dir, Cian, ja etwas dabei helfen, wenn deine Ausbildertalente etwas eingerostet sind. Gemeinsam schaffen wir es sicher! – Danke!« Jetzt spiegelte sich das Lächeln Cians in dem des Jungen, der wusste, dass er gewonnen hatte.
Der Elf schüttelt sich, um sich in die Gegenwart zurückzurufen. Er will jetzt zuerst frühstücken.
Kings Crown
Cian weiß nicht so recht was er machen soll. Jedes Mal, wenn er meint, dass sein Versuch erfolgreich ist, die Traumsequenz aufzurufen, verschwinden die Bilder wieder. Den gesamten Vormittag wandert er mit großen Schritten durch den Raum, mal die Hände auf dem Rücken verschränkt, dann sie ballend oder mit einer Faust in die geöffnete andere Hand schlagend. Der alte Magier ist überzeugt, der Traum hat ihn nicht grundlos heimgesucht. Das muss etwas bedeuten. Und es hat mit … Nein, hier verwirren sich die Gedanken erneut. Er bekommt keinen Faden zu fassen, dem er folgen kann. Gegen Mittag meldet sich ein Hungergefühl. Soll er jetzt etwas zu sich nehmen? Unschlüssig wandert er weiter. Seine hellblauen Augen, die erstaunlich jung wirken, schweifen umher, fixieren kurz ein Buch in den übervollen Bücherregalen, um dann sofort ein anderes anzusehen. Er weiß, ein willkürlich gewähltes Buch wird ihn nicht unterstützen können, den flüchtigen Traum zu fassen. Das wäre mehr als nur Zufall, das käme einer Fügung gleich, die nicht … Cian stutzt. Ist es den Versuch wert, mit geschlossenen Augen auf die Regale zuzugehen, um einen der alten Wälzer auszuwählen?
»Du wirst wirklich senil, mein Lieber«, spricht er zu sich. »Und außerdem vernachlässigst du das Feuer!« Sein Blick ruht auf letzten, kaum noch glimmenden Resten. Soll er mit einem Spruch Holzscheite aus seinem Vorrat herzaubern? Nein. Er entscheidet anders. Die Bewegung, verbunden mit einer kleinen körperlichen Anstrengung, wird ihm vermutlich guttun. »Anschließend mache ich mir eine schöne, heiße Tasse Tee und esse etwas Käse. Ja, das mache ich!« Er nimmt den abgetragenen Umhang, in den er sich aus alter Gewohnheit wickelt und verlässt den Raum. Mit Absicht nutzt er dazu nicht den magischen Sprung. Es ist an der Zeit, sich mal wieder einen Überblick über den Zustand der alten Königsburg, besser gesagt den der Ruine, zu verschaffen. Die Eichentür führt auf ein Podest, von dem sich eine steile Steintreppe nach unten windet. Die Sonne steht hoch am Himmel, an dem vereinzelt weiße Wolken zu sehen sind. Mehrere schwarze Vögel spielen übermütig in der Luft, scheinen sich gegenseitig zu jagen und krächzen laut. »Dohlen«, murmelt Cian und folgt den ausgetretenen Stufen vorsichtig abwärts. Fünf Minuten später befindet er sich innerhalb eines Trümmerfeldes riesigen Ausmaßes. Er dreht sich um und überprüft die Maskierung des Turmes, den er jetzt hinter sich gelassen hat. Er staunt jedes Mal, wie perfekt sein Tarnzauber funktioniert. Die Ruine sieht derart baufällig aus, dass der nächste heftige Windstoß sie zusammenbrechen lassen wird. Niemand, der nichts von der Existenz seines Heims weiß, würde Giants Crown, den letzten erkennbaren Rest der Königsburg, zu betreten wagen. Er würde sich vielmehr möglichst weit entfernt davon aufhalten, da sogar ständig Schuttbrocken von den höheren Stellen nach unten rieseln. Aber lassen sich damit andere Zauberer täuschen? Was ist, wenn sie eine Tarnung vermuten und sie mit einem Entdeckungs- oder Offenbarungsspruch aufzuheben versuchen? Der alte Elf probiert alle Sprüche, die ihm dazu einfallen, doch der Anblick der Ruine ändert sich nicht.
In diesem Augenblick schreckt Cian kurz zusammen. Aus dem Augenwinkel meint er, einen Blitz gesehen zu haben! Schnell ruft er mit