Anna Q und die Suche nach Saphira. Norbert Wibben
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»Mein Vater. Du musst dich nicht entschuldigen. Ich bin es gewohnt, unterschätzt zu werden. Das ist oft ein großer Vorteil für mich. Ich freute mich schon, dich besiegt zu haben, als du dann doch wieder ins Spiel zurückkamst. – Ich trete gern erneut gegen dich an. Können wir das hier machen? Ich möchte dabei nicht von vielen Mitschülern begafft werden. Das irritiert mich etwas.« Robin schaut sie ungläubig an.
»Trotzdem wolltest du im Speisesaal gegen Alexander antreten? Da hätten seine Bewunderer doch sicher nicht das Feld geräumt!«
»Ich hatte gehofft, dass sie wie Alexander davon ausgehen, dass ich schnell unterliegen würde, weshalb sie schon vorausgehen könnten. Notfalls hätte ich ein paar Figuren geopfert, um das zu untermauern. Spätestens dann wären sie abgezogen!«
»Du bist unglaublich!«, stellt der Junge bewundernd fest. So viel Hinterlist hätte er ihr nicht zugetraut. Sie wirkt so unschuldig und zurückhaltend, dass er Derartiges nicht von ihr denken würde, wenn sie es nicht gerade gesagt hätte.
»Trotzdem rechnetest du dir noch eine Chance gegen ihn aus?«
»Darauf habe ich zumindest gehofft. Damit er gewinnen könnte, müsste er sich schon gewaltig anstrengen. Und dann wäre er mir eine Revanche schuldig, die wir zu meinen Bedingungen austragen würden, also ohne Zuschauer. Ich kann mir gut vorstellen, dass er das auch fordert, um nicht vor großem Publikum Gefahr zu laufen, von »einem Baby« besiegt zu werden.« Die Röte ihrer Wangen ist mittlerweile verblasst, trotzdem, oder gerade deswegen, wirkt sie vollkommen harmlos. Robin zieht in Gedanken seinen Hut vor ihr.
»Was Alexander betrifft, bin ich nicht sicher, ob du ihn richtig einschätzt. Wir sind hier in einem Internat für hochbegabte Schüler. Dein Schachspiel beweist, dass du hierhin gehörst! Du besitzt eine große Begabung für Strategie, aber Alexander ebenfalls. Ich bin mir absolut nicht sicher, ob er so ist, wie er sich in der Öffentlichkeit gibt. – Aber genug davon. Ich möchte gern regelmäßig gegen dich spielen, das würde unserer Spielpraxis guttun. Ich werde Professor Mulham fragen, ob wir uns dazu täglich hier treffen dürfen.«
»Du sagst Professor zu ihr, dann ist sie auch eine unserer Lehrerinnen? Ich dachte, sie wäre die Bibliotheksleiterin. Wie passt das zusammen?«
Robin schaut sich kurz um und zieht Anna wieder auf einen Stuhl herab, als er die Frau nirgends bemerkt. Wohin ist sie denn jetzt verschwunden? Die Eingangstür haben sie nicht gehört, aber umso besser. Dann muss er nicht flüstern.
»Sie heißt Professor Morwenna Mulham und ist schon über dreißig Jahren am CC. Sie übt beide Funktionen aus«, erklärt er. »Wie sie das schafft, ist mir ein Rätsel. Vermutlich liegt das daran, dass ihr Lehrgebiet Strategie und Logik ist, und erst ab dem vierten Jahrgang unterrichtet wird. Ich habe gehört, dass sich kaum Schüler dafür melden. Außerdem kommt ihr entgegen, dass die Bibliothek erst nach dem Regelunterricht, also Fächern wie Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften, am Nachmittag geöffnet wird. Sport, Kunst und andere Neigungsfächer finden dann zwar parallel statt, doch das stört nicht. Geschlossen wird die Bibliothek mit dem ersten Gong fürs Abendessen.«
»Dann war das eine Ausnahme und ein Entgegenkommen von ihr, dass wir hier zu Ende spielen durften? Sie hat dadurch ebenfalls das Abendessen verpasst.« Anna schaut suchend umher. »Warum sie das wohl gemacht hat?«
»Das ist mir auch ein Rätsel. Sie gilt als besonders streng und nimmt es einem sehr krumm, wenn man ihre Anweisungen missachtet. Du hast ja gesehen, wie gebieterisch uns »M hoch Zwei« angesehen hat.«
»Wen meinst du … ach so. Ist das ihr Spitzname?« Bevor Robin sich dazu äußern kann, vernehmen beide ein empörtes Schnauben.
»Du nennst mich »gebieterisch« und sprichst im gleichen Atemzug meinen Geheimnamen aus? Was fällt dir ein und woher kennst du ihn? Weißt du nicht, wie gefährlich …?« Morwenna unterbricht sich plötzlich. Graue Augen schleudern Blitze und die hagere Gestalt wirkt kurzzeitig bedrohlich, bevor sie wieder ihr vorheriges Aussehen annimmt. »Jetzt verschwindet besser schleunigst, bevor ich es mir überlege und ihr eine angemessene Strafe bekommt!« Woher die Professorin so plötzlich gekommen sein mag, ist den Schülern ein Rätsel.
Sie brummen verdattert: »Danke«, erheben sich und stürmen zum Ausgang. Die Tür lässt sich sofort öffnen, obwohl sie nicht gehört haben, wie der Schlüssel erneut gedreht worden ist. Sobald sie ins Schloss fällt, atmen beide erleichtert auf.
»Wow, das war knapp!« Anna ist immer noch über das plötzliche Erscheinen der Professorin erschrocken. Robin fasst sie am Arm.
»Ich habe mein Schachspiel liegenlassen. Was machen wir jetzt?«
»Ich geh da nicht wieder rein!« Der Gesichtsausdruck des Mädchens ist eindeutig. Es weiß zwar nicht, welche mögliche Strafen angedroht wurden, doch sie will es auch lieber nicht wissen. Der Junge grübelt. Soll er es riskieren? Professor Mulham schien reichlich aufgebracht. Warum nannte sie »M hoch Zwei« ihren Geheimnamen? Robin hatte diesen Ausdruck wie Anna für einen Spitznamen gehalten, abgeleitet von den zwei Anfangsbuchstaben ihres Namens.
MM könnte mathematisch ausgedrückt zu M mal M, also M zum Quadrat, oder M hoch Zwei werden! Wofür benötigt man überhaupt einen speziellen Namen und weshalb ist es gefährlich, ihn auszusprechen?
»Ich trau mich auch nicht«, gesteht Robin. »Da Professor Mulham gesehen hat, dass das mein Schachspiel ist, werde ich es morgen Mittag abholen. Ich hoffe nur, dass sie uns trotz dieses Zwischenfalls erneut im Lesesaal spielen lässt!« Beide gehen den langen Flur entlang, in dem ihnen lachende oder diskutierende Mitschüler entgegenkommen. Sie verabreden sich schließlich für den morgigen Nachmittag um Drei, nicken kurz und trennen sich.
Draußen herrscht schon Dämmerung. Anna möchte noch etwas die Nachtluft genießen und wandert durch den Park. Sie muss ihre Gedanken ordnen, bevor sie sich zu dem Nebengebäude begibt, in dem sich die Schlafräume der Schülerinnen befinden.
In der Nacht
In dem Nebengebäude geht sie durch mehrere Gänge und über steile Treppen bis ganz nach oben. Die Schülerinnen des ersten Jahrgangs schlafen in Zimmern mit vier Betten unter dem Dach. Auf dem Weg dorthin denkt Anna kurz an ihre Ankunft im Internat.
Alle Schüler mussten am Vorabend des ersten Tages zum Abendessen im Speisesaal eintreffen, wo der Schulleiter Iain Raven die neuen Kinder mit einer kurzen Ansprache empfing. Er wies auf die Schulregeln hin, die unbedingt zu beachten seien und deshalb in jedem Schlafraum ausliegen würden.
»Verstöße führen im Wiederholungsfall zum sofortigen Schulverweis!« Diesen Satz unterstrich er mit einem ausgestreckten Arm in Richtung Tür. Anna weiß noch, dass sie meinte, die Augen unter den buschigen, weißen Augenbrauen würden speziell sie betrachten. Unwillkürlich versuchte sie, sich kleiner zu machen, als sie ohnehin schon ist, um sich hinter ihrem Nachbarn zu verstecken.
Nach dem Essen, von dem sie wegen des Knotens im Bauch fast nichts zu sich nahm, wurden die Kinder einzeln aufgerufen und der Obhut älterer Schüler übergeben. Diese Vertrauensschüler führten die Neuankömmlinge zu ihren Schlafräumen in den rechts und links vom Haupthaus liegenden Nebengebäude. Die Mädchen hatten mehr Glück als die Jungen, da die eigentlich für vier Kinder gedachten Zimmer mehr Schlafplätze boten, als benötigt wurden. Nur wenige