Anna Q und die Suche nach Saphira. Norbert Wibben
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Anna Q und die Suche nach Saphira - Norbert Wibben страница 7
Schließlich wandern ihre Gedanken zu ihrem Vater Aedan und ihrem bisherigen Leben. An ihre Mutter erinnert sie sich nicht, da diese kurz nach Annas Geburt gestorben ist. Sie kennt sie natürlich von Bildern und aus Erzählungen, aber das ist nicht das Gleiche. Aus Gesprächen mit ihrer Großmutter weiß sie, wie sehr ihr Vater nach Mutters Tod gelitten hat. Er vernachlässigte die Arbeit, um rund um die Uhr für seine Tochter da zu sein. Die beiden zogen Anna trotz dieser widrigen Umstände gemeinsam und sehr liebevoll auf. Als Aedan schließlich wieder regelmäßig seiner Arbeit als Wissenschaftler an einer angesehenen Universität nachging, versuchte er trotzdem, so viel Freizeit wie möglich mit ihr zu verbringen. Als sie vier Jahre alt war, begann er mit ihr Schach zu spielen, da sie kein Interesse für Puppen zeigte. Als sich die Grundschulzeit dem Ende neigte, starb die Großmutter. Zu der Zeit wurde Annas Vater die Leitung einer Forschungsreise an den Südpol angeboten, weshalb sie gemeinsam nach einem geeigneten Internat suchten. Obwohl sich das Mädchen in den ersten Wochen nicht sicher war, eine gute Wahl getroffen zu haben, ist sie an diesem Abend bereit, das anders zu sehen. Während des Schachspiels zögerte sie vor manchen Zügen nicht deshalb, weil sie unsicher war, sondern, weil sie sich vorstellte, ihrem Vater gegenüberzusitzen. Sie freut sich auf die morgige Revanche gegen Robin und gleitet langsam in den Schlaf.
Zuckende Blitze werfen ihren hellen Lichtschein auf das Bild ihres Vaters und das ihrer Mutter. Auf ihnen ist ein feines, blaues Leuchten zu sehen, das schnell größer wird und in den Raum strahlt. Anna stöhnt im Schlaf und wirft sich unruhig herum.
Ein blau schimmernder, großer, schwarzer Vogel kommt mit ausgebreiteten Schwingen aus einem dunklen, drohenden Himmel herab auf das Mädchen zu. Er gleicht dem Kolkraben, den es befreit hat. Sein Krächzen klingt warnend, doch Anna versteht nicht, was das bedeuten soll. Feine Härchen richten sich in ihrem Nacken auf. Der große Vogel landet in Augenhöhe auf dem weit ausladenden Ast einer Linde. Der bläuliche Schein auf seinem Federkleid wird stärker. Jetzt durchschneidet ein greller Blitz die dunkle Nacht. Er strahlt bis in den Traum. Anna stöhnt erneut, als ihr scheinbar ein glühend heißes Messer zu einem Auge hinein und quer durch Schädel sticht. Für einen kurzen Moment verändert sich der Vogel und nimmt die Gestalt einer jungen Frau mit schwarzem Haar an, die dicht vor ihr steht. Dann hockt wieder der Kolkrabe auf dem Ast. Plötzlich versteht Anna, was der Rabe ihr entgegen krächzt:
»Wir brauchen Hilfe! Hüte dich vor …«
Ein lauter Donnerschlag lässt das Mädchen aufschrecken. Verstört reibt es sich die Augen. Was war das denn für ein Traum? Sofort sucht ihr Blick die Bilder über dem Schreibtisch. Sie benötigt einen Punkt, der Geborgenheit vermittelt. Dort ist ein leuchtender, blauer Schimmer zu erkennen. Anna schüttelt den Kopf und überlegt. Falls sie eine Migräne bekommt, hat sie vorher schon mal Lichterscheinungen gehabt, die aber nicht nur auf einen Ort fixiert waren. Die wanderten mit den Augenbewegungen mit. Dann kommt das schwächer werdende Leuchten wohl nicht von einem Migräneanfall! Der stechende Schmerz ist schon wieder verschwunden und dumpfe Kopfschmerzen bleiben offenbar auch aus. Soll sie trotzdem aufstehen und eine Schmerztablette nehmen? Sie könnte andererseits bei den Bildern nachschauen, woher das Schimmern stammt. Ist es eine Art Lichtreflex, der von draußen hereinscheint? Jetzt ist es ganz verschwunden. Seltsam! Bevor sie zu einem Entschluss kommt, schläft sie wieder ein.
Obwohl Anna die vergangene Nacht kürzer als sonst vorkommt, fühlt sie sich am Morgen ausgeruht. Sie denkt nur kurz an den seltsamen Traum und den bläulichen Schimmer, dann macht sie sich frisch, zieht ihre Schuluniform an und verlässt das Zimmer. Zusammen mit den anderen Schülerinnen des ersten Jahrgangs geht sie zum Haupthaus. Auf dem Weg dorthin kommen sie an der Stelle vorbei, wo sie den großen Vogel aus seinem Gefängnis befreit hatte. Der alte Gärtner steht davor und schüttelt den Kopf. Sie hört ihn verständnislos murmeln, warum die Falle ausgelöst ist, aber kein Tier gefangen wurde.
»Die Biester werden auch immer schlauer! Oder sollte jemand geholfen haben? Die Fußspuren sind gestern nicht hier gewesen, sie gehören zu Kinderfüßen.« Er dreht sich zu den Schülerinnen um und betrachtet sie mit finsterem Blick. Er vermutet offenbar, dass ihm eine von ihnen einen Streich gespielt hat. Er schüttelt stumm eine Faust in ihre Richtung und bückt sich dann zurück zur Falle. Anna nimmt sich vor, sie in der Abenddämmerung zu entschärfen. Sie will verhindern, dass der Vogel erneut darin eingesperrt wird.
Am Eingang zum Speisesaal hängt neben der Doppeltür ein Pinnbrett, auf dem aktuelle Informationen bekanntgemacht werden. Die Ansammlung sich aufgeregt unterhaltender Schüler allen Alters deutet auf eine wichtige Neuigkeit hin. Der Gong erklingt als Erinnerung, dass die Zeit für das Frühstück in fünfzehn Minuten endet. Anna kann endlich einen kurzen Blick auf ein Blatt Papier werfen, das mittig auf dem Pinnbrett befestigt ist. Ein Aufruf in fetten Buchstaben fordert dazu auf, sich bei Interesse auf große Herausforderungen am Nachmittag bis Punkt drei Uhr im Speisesaal einzufinden. Weitere Informationen und von wem dieser Ausdruck stammt, gibt es nicht. Das Mädchen schüttelt wie viele vor ihm den Kopf. Was soll das denn bedeuten? Wird hier auf die Begabung der Schüler gesetzt, sich selbst einen Reim darauf zu machen? Aber Anna hat keine Idee, was damit gemeint sein könnte. Die Anhaltspunkte sind einfach zu gering. Achselzuckend wendet sie sich ab und betritt den Speisesaal. Sie hat sich zu der Zeit mit Robin zum Schachspiel verabredet, so dass die seltsame Zusammenkunft für sie entfällt. Vielleicht hat der Junge eine Idee, worum es geht, doch sie kann ihn nirgends entdecken. Viele der Plätze sind bereits leer, da nicht alle Schüler so spät wie die Neulinge zum Essen kommen. Schnell setzt sie sich zu den Mädchen ihres Jahrgangs und greift sich einen Toast. Sie hat nicht viel Zeit für das Frühstück, bestreicht die Scheibe mit Orangenmarmelade und nimmt einen Schluck Kakao. Vor lauter Eile verbrennt sie sich fast den Mund.
Heute stehen zuerst Geschichte und danach Mathematik auf dem Plan, gefolgt von Physik und Muttersprache. Die ersten beiden Fächer gehören neben Kunst zu Annas liebsten, weshalb sie sich mit dem Essen beeilt. Sie möchte nicht zu spät im Klassenzimmer erscheinen. Als sie mit den anderen Mädchen aufspringt, müssen sie rennen. Der Weg bis in den ersten Stock ist noch weit, aber sie schafft es, pünktlich auf ihrem Platz zu sitzen.
Herausforderung
Der Vormittag geht schneller vorbei, als Anna zuerst vermutet. In Geschichte handelt der Unterricht von den Wikingern und ihren Überfällen. Bei den Berichten über die Eroberung von fast allen bisherigen Königreichen in England und der Bildung eigener, fiebert sie mit, wobei sie nicht sagen kann, auf welcher Seite sie dabei steht. Der kühle Mathematikunterricht zieht sich dagegen schon mehr, trotzdem verfliegt auch diese Doppelstunde, da die Hälfte des Unterrichts mit freiwilligen Knobelaufgaben gefüllt wird, die das neu