Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten. Hein Bruns
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Sie fuhren, aber sie fuhren ohne Koch nach England. Das ging wohl mal. Und das merkt ja niemand, nur eben der Seemann, das Besatzungsmitglied. Aber was soll das besagen? Ohne Koch geht es für ein paar Tage. Und es gibt keine Instanz, keine deutsche jedenfalls, die ein Schiff aufhalten könnte, das keinen Koch an Bord hat. Wo kämen die Reeder wohl hin… ein Schiff liegen lassen, nur weil kein Koch an Bord ist und nur eben nach England? Lächerlich! Die Besatzung muss sich mal behelfen, für ein paar Tage behelfen. Gott, so ein bisschen Essen zusammenkloppen und zusammenbrauen kann doch der Bäcker, könnte doch jeder Seemann, da liegt doch nichts drin. Der neue Koch wird nach England geschickt. Bums und fertig. Wer will da noch etwas sagen? Sagen? Es kann niemand mehr etwas sagen, sobald das Schiff Deutschland verlassen hat, zumindest kann niemand mehr abmustern. Och, sagen kann man schon etwas, aber nützt es? Damit und davon kann man auch keinen Koch herbeizaubern... und die Maschine dreht sich, dreht sich, und auch die Welle dreht sich, und auch die Schraube dreht sich. Sie dreht sich bis zur Lotsenstation auf der Themse, macht eine kleine Pause und dreht sich dann weiter bis vor die Docks und dreht sich dann weiter bis zum Liegeplatz des Schiffes. Und es kann passieren, dass der neue Koch schon an der Pier steht, und was hätte das Reden und Meckern für einen Zweck gehabt? Köche sind überhaupt bei der christlichen Seefahrt ein Kapitel für sich, ein großes, ganz großes Kapitel für sich. Sie brauchen gar nicht mal so gut kochen zu können, die Hauptsache, sie können verwalten, rationieren, sparen, dann sind sie für den Reeder bares Geld. Köche und Kapitäne sind die Hauptstützen des Reeders. Köche, die verwalten und wirtschaften können, sind bordseitig auch schlecht aus dem Sattel zu heben. Sie können frech sein, faul sein, laut sein, arrogant sein, sie werden gedeckt von den Kapitänen.
Sie fuhren! Kurs Themse. Bis London sind es wohl etwa vierzig Stunden zu dampfen. Die Nordsee war wohl ein bisschen kabbelig, aber sonst ganz manierlich. Sicht auch gut, mein Liebling, was willst du noch mehr? Der Seemann ist leicht zufrieden, er ist schon froh, wenn das Wetter man einigermaßen ist. Seine Arbeit und seine Wache müssen getan und gegangen werden, ob Sonne scheint oder Orkan orgelt. Hundekalt war es aber, und es fror. Melchior Meiler ging die Hundewache, das ist überall so, die Hundewache ist die Wache des Dritten. Nachts von 24 bis 4 Uhr. Dann wieder acht Stunden Ruhe, und wieder am Tage 12 bis 16 Uhr. Also acht Stunden, aber das auch sonnabends und sonntags und Ostern und Pfingsten, auch Weihnachten sowie an den anderen gesetzlichen Feiertagen. Ist ein Schiff an Sonn- oder Festtagen auf See, bringt das dem Reeder Geld. Ist ein Schiff an Sonn- oder Festtagen im Hafen, kostet das den Reeder Geld. Und es ist selbstverständlich, dass der Reeder mit allen Mitteln versucht, seine Schiffe sonnabends wieder auf Reisen zu schicken. Das erklärt auch, dass die Häfen sonntags fast leer sind. Natürlich ist das nicht immer so einzurichten.
Meiler stand um 8 Uhr auf und ging in die Messe zum Frühstück. Auf so einem Handelsschiff dieser Größe hat man vier Messen, Räume, in denen die Mahlzeiten eingenommen werden. Die Messen besagen schon, wie weit man bei der Seefahrt von einer klassenlosen Gesellschaft entfernt ist. Die erste Messe ist die größte, und dort essen die wenigsten: Der Kapitän, der Erste Offizier und der Erste Ingenieur. In der zweiten Messe ist es schon weit belebter, dort essen der Zweite und Dritte Offizier und eventuell ein oder zwei Offiziersanwärter (das sind Matrosen, die kurz oder lang die Steuermannsschule besuchen wollen). Weiter nehmen hier die Ingenieure oder Maschinisten, deren sind es noch drei, sowie die Ingenieursassistenten, deren sind es auch drei, der Elektriker und der Funker die Plätze ein. Die nächste Messe ist die Unteroffiziersmesse. Dort sitzen der Bootsmann und der Zimmermann, der Storekeeper und ein oder zwei Schmierer. In der letzten Messe essen die Matrosen, Leichtmatrosen, Jungmänner und Decksjungen und die Reiniger. In der ersten Messe bedient der Salonsteward mit einem Messejungen als Hilfe. In der zweiten Messe tut es der Messesteward allein, und in den anderen Messen macht es ein Decks- oder Maschinen junge. Spiegeleier gab es heute Morgen. Konnte der Bäcker braten. Eier sind das billigste Frühstück!
Meiler sah sich an Bord ein bisschen um. Man muss wissen, wohl auch erst oberflächlich, auf was für einem fahrbaren Untersatz man zur See fährt. Das musste er ja sagen, die Maschinenanlage war ganz in Ordnung, jedenfalls was Farbe anbelangt. Haupt- und Hilfsmaschinen elfenbeinfarbig gestrichen. Kupferrohre, Manometer und sonstige Armaturen bestens geputzt. Geländer auf Hochglanz geschmirgelt. Flurplatten sauber und blank. Aber, aber, der Schein trügt, der Schein kann tausendmal trügen. Es hat schon manch einer ein Auto gekauft, hat sich von der Farbe blenden lassen, und der Motor fiel auf der ersten Fahrt auseinander. So etwas gibt es im Schiffsbetrieb auch, und gar nicht mal so selten. Und Meilers Gedanken gingen um einige Jahre zurück zu jenem Küstenfahrzeug, das einem Eigner aus Ostfriesland gehörte, der es aber selbst nicht fuhr, von wegen absaufen. Der alte Küster, Motorschiff OKOLINE. Mit einer SAS-Maschine startete Meiler von Hamburg-Fuhlsbüttel nach Reykjavik auf Island. Der zweite Maschinist hatte irgendwelchen Schnaps gesoffen, der ihm gar nicht bekommen war, nein gar nicht. Blut war das wenigste, was er spuckte, und das tat er an Bord. Im Krankenhaus spuckte er kein Blut mehr, aber da konnte er nicht mehr sehen… und das ist schlecht. Schlecht für ihn und auch schlecht für den Schiffseigner: Der eine konnte nicht mehr sehen und der andere konnte sein Schiff mit einer Ladung Stockfisch nicht nach Portugal bringen lassen. So kam Melchior Meiler zu einem Flug in den hohen Norden, über die Nordsee und über die Shetlands nach Island. Er fiel vom Himmel, buchstäblich. Eine Stunde später war er an Bord. Hinter ihm zog man die Gangway ein. Der Alte schrie: „Leinen los!“ Und sie segelten aus dem Hafen, und die Krawatte hatte er noch nicht abgebunden... auf nach Portugal mit einer Ladung Stockfisch. Vull Schipp. Junge, da hatte er schön was gemacht! Den Dampfer hielt nur noch der Rost zusammen (mittlerweile ist er auch auseinandergerostet), miefte wie eine Abdeckerei. Stöhnte und ächzte in allen Fugen, dass es einen Hund jammerte. Der Alte war ein Sonderling. Musik, Frohsinn und Lachen konnte er nicht vertragen. Radio schon gar nicht. Dreitausend Mark war der Eigner, der sich ja auch Reeder nennt, beim Kapitän mit Heuer rückständig... das Ankerspill gehörte ihm schon. Der Steuermann ein Betbruder! Der Koch eine ausgesprochene Mistbiene! Der Chief alt und zittrig, dem der Kalk schon aus der Hose rieselte. Außerdem hatte Meiler ihn in Verdacht, dass er Brennstoff soff, weil seine Lippen so zerfressen waren. Die Matrosen, wenn man sie so bezeichnen durfte, waren Ausländer. Ein anständiger deutscher Matrose würde nie auf so einem Eimer anmustern. Das konnte ja reizend werden... und das wurde es denn ja auch. Die Maschinenanlage war gut in Farbe, jawohl, alles was recht ist. Aber die Maschinenanlage war total runtergefahren, es drehte sich wohl noch was, so war das nicht, aber nur unter Gejammer und Gezische und Gepfeife. Außerdem qualmte der „Vogel“, nur nicht aus dem Schornstein. Hielt sich Meiler im Maschinenraum auf, liefen die Augen wie die Trollhättafälle. Isolierband, Leukoplast und Blumendraht waren die Binde-, Dichte- und Zusammenhaltemittel. Ach und der Dreck, der den Maschinenraum rund machte, in den Ecken und Winkeln saß, als schäme er sich selbst. Die Maschinenanlage, was Hauptmotor und Hilfsmaschinen anbelangt, war gut in Farbe. Ach und der Rost, mein Gott der Rost, der sich an der Außenhaut, die ja auch noch eine Innenseite hat, dick macht. Rost, den man nicht wagt anzuschielen, sonst könnte er abplatzen und die See hereinlassen, dieser Rost! Nee, es war ‘ne Lust. Beleuchtung tranig und traurig wie in einem Existentialistenkeller. O Welt, wie warst du gestern noch so schön von oben! Vorbei! Vorbei die Augenweide an hübschen Stewardessen. Vorbei mit gepflegten Händen und Whisky pur. Nix mehr dezenter Hauch von „Chanel“ und „Soir de Paris“! Ganz elendig nach Fisch stank es, dass es einem die Socken zusammenzog. So war er doch tatsächlich vom Himmel, dem blauen, in die Hölle, der schwarzen, geraten. Schaukelte von Island nach Portugal, auf einem kleinen Schiff auf großem Wasser. Jeden Morgen um neun Uhr wurde die Maschine gestoppt, trotz Meilers Freiwache und seiner Stinkwut. Dann trieben sie auf der Weite des Atlantiks und reinigten Gasölfilter. Täglich lenzten sie die Raumbilgen. Täglich waren sie voll bis zum Kragen... und daran hatte der gesalzene Stockfisch schuld. Das Lenzen war ein Gottesgericht! Kreisel der Pumpe angefressen und zum Teil vergammelt. Rohrleitungen durchgerostet, x-mal geflickt und wieder geflickt. Voller Salz! Der verfluchte und dreimal verdammte Stockfisch! So hielt sich Meilers gequältes Selbst morgens und manchmal auch nachts unter den Flurplatten, in der Bilge auf. Der Chief und Meiler waren voller Dankbarkeit gegenüber dem Geschick, welches sie auf diesem Zarochel zusammengeführt hatte. Denn der Chief war immer dabei! „Ja“,