John Henry Mackay: Die Anarchie - Band 157 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. John Henry Mackay

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John Henry Mackay: Die Anarchie - Band 157 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - John Henry Mackay gelbe Buchreihe

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arbeitet und arbeiten lässt – an den langen, langen Tagen der Woche.

      – Ich hasse diese Stadt, sagte der andere.

      – Ich liebe sie! sagte Auban leidenschaftlich.

      – Wie anders war Paris!

      Und die gemeinsamen Erinnerungen tauchten auf.

      Aber Auban drängte vorwärts.

      – Wir kommen nie zum Klub.

      Sie schritten geradeswegs Oxford Street und gingen die nächste Querstraße nach Norden hinauf. Auban stützte sich wieder stark auf den Arm seines Freundes.

      – Aber sage jetzt, wie geht es euch?

       – Es geht ganz gut, trotzdem wir immer noch keinen „Vorstand“ haben. Erinnerst du dich noch, welcher Lärm sich erhob, als wir seinerzeit den Klub ganz nach kommunistischem Prinzip einrichteten: ohne Vorstand, ohne Beamten, ohne Statuten, ohne Programm und ohne festgesetzte Zwangsbeiträge? Völliger Untergang in Unordnung wurde uns prophezeit und sonst noch alles Mögliche. Aber wir kommen immer noch ganz gut zurecht und in unseren Verhandlungen geht es ganz so zu wie in anderen, wo die Glocke des Präsidenten regiert – es redet immer einer nach dem anderen, wenn er etwas zu sagen hat.

      Auban lächelte.

      – Ja, sagte er, – das können die Ordnungsschreier nicht verstehen, wie vernünftige Menschen zusammenkommen und zusammenbleiben können, um sich ihre gemeinsamen Interessen zu besprechen, ohne dass der Einzelne seine Zugehörigkeit in Rechten und Pflichten auf einem Wisch garantiert erhält. – Aber daraus, dass dieser Versuch nicht misslungen ist, seht ihr doch noch keinen Beweis für die Möglichkeit der Konstituierung der ganzen menschlichen Gesellschaft auf gleichen Grundlagen? Das wäre doch heller Wahnsinn.

      – So, das wäre heller Wahnsinn? Wir finden das nicht. Wir hegen diese Hoffnung, beteuerte Trupp hartnäckig.

      Auban fiel ein: „Was macht euer Blatt?“

      – Es geht langsam. Liest du es?

      – Ja. Aber doch nur selten. Ich habe das wenige Deutsch verlernt, das ich auf der Straße hörte.

      – Wir redigieren es auch zusammen. Ohne Kommission, ohne Redakteur. An einem Abend der Woche kommen zusammen, die Lust und Zeit haben, und das Eingelaufene wird verlesen, besprochen und zusammengestellt.

      – Deshalb ist der Inhalt aber auch so merkwürdig verschieden und uneinheitlich. Nein, hinter einem Blatte muss eine Persönlichkeit stehen, eine volle, interessante Persönlichkeit –

      Trupp unterbrach ihn ungestüm.

       – Ja, und dann hätten wir wieder das ‚Führertum’. Aus einem Verwalter wird immer ein Regierer – er sah nicht das beistimmende Nicken Aubans – hier im Kleinen, dort im Großen! Unsere ganze Bewegung hat darunter furchtbar gelitten, unter diesem Zentralismus. Wo im Anfang reine Begeisterung war, ist sie in Selbstgefälligkeit aufgegangen; wirkliches Mitgefühl und Liebe in dem Streben, selbst die Retter zu spielen. So haben wir denn all schon oben und unten, die Herde und den Leithammel, auf der einen Seite den Dünkel, auf der anderen Seite gedankenlose und fanatische Nachbeterei der Parteilehren –.

      – Aber du hast mich in der Tat völlig missverstanden. Als ob ich je etwas anderes geglaubt hätte! Ich misstraue überhaupt einem jeden, der sich anmaßt, andere vertreten, für andere sorgen und die Verantwortung für anderer Angelegenheiten auf seine eigenen Schultern nehmen zu wollen. Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten und lass mich für die meinen sorgen – das ist ein gutes Wort. Und wirklich Anarchismus.

      – Ich bin auch Anarchist.

      – Nein, mein Freund, das bist du nicht. Du vertrittst in jeder Beziehung das Gegenteil der wirklich anarchistischen Ideen. Du bist durch und durch Kommunist, nicht nur deinen Ansichten, sondern deinem ganzen Empfinden und Wünschen nach.

      – Wer will mir das Recht bestreiten, meine Ansichten anarchistisch zu nennen?

      – Niemand. Aber ihr bedenkt nicht, welche unheilvolle Verwirrung entsteht durch das Zusammenwerfen so völlig verschiedener Begriffe. Indessen, warum jetzt über die alte Frage streiten! Komm' am Sonntag. Wir können wieder einmal diskutieren. Weshalb nicht?

      – Meinetwegen. Du bist und bleibst ja doch der Individualist, zu dem du geworden bist, seitdem du die soziale Frage ‚wissenschaftlich’ studiert hast! Ich wollte, du wärest noch derselbe, der du warst, als ich dich sah in Paris, mein Lieber!

      – Nein, ich nicht, Otto! sagte Auban und lachte laut auf.

      Trupp war gereizt.

      – Du weißt nicht, was du verteidigst! Ist der Individualismus etwa nicht die Entfesselung aller schmutzigen Leidenschaften des Menschen, des Egoismus vor allem, und hat er nicht all' dies Elend geschaffen, – die Freiheit auf der einen – …

       Auban blieb stehen und sah den Sprechenden an. – Heute Freiheit des Einzelnen? Heute, wo wir im kompliziertesten und brutalsten Kommunismus stecken, wie nie vorher? Heute, wo der Einzelne von seiner Geburt an bis zu seinem Tode vom Staat, von der Gemeinschaft mit Beschlag belegt wird? – Geh' die Welt zu Ende und sage mir, wo ich diesen Verpflichtungen entgehen und ich sein kann. Ich will hingehen in diese Freiheit, die ich vergebens gesucht habe, so lange ich lebe.

      – Aber deine Ansichten geben der Bourgeoisie nur neue Waffen in die Hand. –

      – Wenn Ihr die Waffen nicht selbst gebraucht, die einzigen überhaupt, an die ich noch glaube. Nur dann. – Und sicher: Sie, – diese langsam reifenden Ideen des Egoismus (mit Absicht brauche ich dies Wort) – sie sind in gleicher Weise gefährlich den heutigen Zuständen, wie sie es sein werden, wenn wir in den Hafen des alles beglückenden Volksstaates, in den verdichteten Kommunismus, eingelaufen sind – gefährlicher als all' eure Bomben und alle Bajonette und Mitrailleusen der heutigen Machthaber.

      – Du hast dich sehr verändert, sagte Trupp ernst.

      – Nein, Otto. Ich habe mich nur selbst gefunden.

      – Wir müssen darauf zurückkommen. Es muss sich entscheiden. –

      – Ob ich noch zu euch gehöre oder nicht? Das ist doch wohl nur eine Redensart. Denn der Freie – und du willst doch die ganze, unbeschränkte Autonomie des Individuums – kann nur sich selbst gehören.

      Sie waren jetzt in Charlotte Street eingetreten, die in ihrer Länge und trüben Dunkelheit vor ihnen lag.

      Sie bogen in eine der Nebenstraßen ein, in einen der fast menschenleeren und halb hellen Durchgänge, welche sich östlich nach dem Lärm von Tottenham Court Road hinziehen.

      – Wir müssen jetzt deutsch sprechen, sagte Auban in dieser Sprache, die aus seinem Mund ungeübt und fremd klang.

      Sie standen still vor einem schmalen, hellangestrichenen Hause. Über der Tür, auf der durch das dahinter flackernde Licht erhellten Scheibe, stand der Name des Klubs.

      Trupp stieß schnell die Tür auf und sie traten ein.

      * * *

      Zweites Kapitel – Die elfte Stunde

      

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