Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens

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Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens

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der Runde erregt.

      Zu unsern Lieblingszeitvertreiben gehörte bisher, die allmäligen Fortschritte einzelner solcher Kramläden – sei es nun zum Emporkommen oder zum Falle – zu beobachten. Wir haben uns von dem Zustande mehrerer, in verschiedenen Theilen der Stadt gelegener unterrichtet und sind mit ihrer ganzen Geschichte auf's Genaueste bekannt. Wir könnten zum wenigsten zwanzig öffentlich nennen, von denen wir bestimmt überzeugt sind, daß sie während der letzten sechs Jahre keine Steuern bezahlt haben. Sie sind nie länger als ein paar Monate von denselben Miethern bewohnt und haben deßhalb ohne Zweifel schon allen Arten von Kleinhandel zum Tummelplatze gedient.

      Ich führe beispielsweise einen derselben auf, an dessen Schicksal wir besondern Antheil genommen, da wir denselben fast von jeher als Laden zu kennen die Ehre haben; und so mag er denn als der Repräsentant für alle übrigen gelten. Er liegt auf der Surreyseite der Themse, nur in geringer Entfernung von dem Marsh-Thore. Das Haus war ursprünglich eine wohleingerichtete Privatwohnung, die hübsch genug aussah; der Hausbesitzer kam in Verlegenheiten, das Haus in die Hände der Gerichte, der Besitzer mußte es verlassen und so kam es in Verfall. Zu dieser Zeit beginnt unsere Bekanntschaft mit dem Hause. Der Verwurf war völlig abgefallen, die Fenster waren zerbrochen, die Area durch Vernachlässigung und das Ueberlaufen des Wassertrogs mit Priestleyscher Materie überwachsen, der Wassertrog selbst ohne Deckel und die Hausthüre das leibhaftige Bild des Elends. Die Kinder der ganzen Nachbarschaft wußten sich keinen besseren Zeitvertreib zu machen, als sich in Massen auf der Treppe vor dem Hause zu versammeln und den Thürklopfer mit kräftigen Doppelschlägen zu handhaben – zum großen Aerger der ganzen Nachbarschaft im Allgemeinen, und einer alten nervenschwachen Dame im zweitnächsten Hause in's Besondere. Zahlreiche Klagen kamen dagegen ein, und verschiedene Gefäße mit Flüssigkeiten wurden über die Tobenden herabgegossen, aber alles ohne Wirkung. In diesem Zustande der Dinge brachte der Pfänderverleiher an der Straßenecke das unglückliche Haus endlich in Aufstreich, und als es nun verkauft war, sah es erst mehr als je einer Baracke ähnlich.

      Wenige Wochen vorher hatten wir diesen unsern Freund ganz seinem Schicksale überlassen; wie groß war daher unser Erstaunen, als wir bei unserm Wiederzusammentreffen keine Spur von seinem frühern Dasein mehr antrafen! An seiner Stelle stand ein hübscher Laden, der sich fast dem Stande der Vollkommenheit näherte, und an den Fensterläden waren große Anschläge angeklebt, die dem Publikum kund thaten, daß der Laden in Kurzem mit einer großen Auswahl von »Leinenzeugen und kurzen Waaren« eröffnet werden sollte. Er wurde auch, wie die Ankündigung besagte, eröffnet, und der Name des Inhabers »und Comp.« war in großen goldenen, fast zu glänzenden Buchstaben über dem Eingange zu lesen. Aber was für Bänder und Shawls! – was für elegante junge Männer hinter dem Ladentische, – jeder mit einem zierlichen Vatermörder und weißer Halsbinde, gleich dem ersten Liebhaber in einem Lustspiele. Was den Prinzipal anbelangt, so schien er weiter nichts zu thun zu haben, als im Laden auf und ab gehen, den Damen Sitze anzubieten und mit dem geputztesten der anwesenden jungen Männer, der von den Nachbarn pfiffigerweise für die »Comp.« gehalten wurde, unbedeutende Gespräche zu führen.

      Mit Besorgniß sahen wir all' dieses mit an; ein finsteres Vorgefühl, daß auch dieser Laden zu den verurtheilten gehöre, drängte sich uns auf – und so war es auch. Sein Verfall kam nach und nach, aber desto sicherer. Nachgerade erschienen Zettel an den Fenstern, dann wurden Flannelballen mit angehefteten Preisbezeichnungen an der Thüre ausgestellt, welche sich zuletzt auch zu einem Träger für eine Ankündigung hergeben mußte, daß der erste Stock unmöblirt zu vergeben wäre. Dann verschwand einer der jungen Männer, der andere vertauschte seine weiße Halsbinde mit einer schwarzen und der Eigenthümer legte sich auf den Trunk. Der Laden wurde unreinlich, zerbrochene Fensterscheiben blieben unausgebessert, und die Vorräthe verschwanden Stück für Stück. Endlich kam der Brunnenmeister des Viertels, um wegen Nichtbezahlung der Wassertaxe die Brunnenröhre zu vernageln, und der Leinwandhändler machte sich unsichtbar, dem Hausbesitzer seine Empfehlungen und den Schlüssel zurücklassend.

      Der nächste Miether war ein Schreibmaterialienhändler; der Laden wurde bescheidener ausgemalt als vorhin, aber er war wenigstens säuberlich. Doch, wie es nun immer kommen mochte, so oft wir vorbeigingen, drängte sich uns unwillkürlich der Gedanke auf, daß er aussähe, wie ein mit Armuth und Elend Kämpfender. Wir wünschten dem Manne alles Gute, aber wir befürchteten einen schlechten Ausgang. Augenscheinlich war er ein Wittwer und mußte irgendwo eine Beschäftigung haben, denn er verließ jeden Morgen sein Haus, um in die Stadt zu gehen. Das Geschäft zu Hause wurde durch seine älteste Tochter geführt. Das arme Mädchen! Sie hatte keinen Beistand. Wir bemerkten im Vorübergehen gelegenheitlich noch zwei oder drei andere Kinder, die, gleich ihr selbst, in Trauer gekleidet waren und in dem Zimmer hinter dem Laden saßen. Nie gingen wir des Nachts vorüber, ohne die älteste Tochter beschäftigt zu sehen, um entweder für die Kinder etwas zu arbeiten, oder kleine, zierliche Spielsachen zum Verkaufe zu verfertigen. Wann ihr bleiches Gesicht bei dem trüben Lichtschimmer trauriger und nachdenkender aussah, dachten wir oft, wenn jenen gedankenlosen weiblichen Geschöpfen, die auf das dürftige Geschäft eines armen Wesens, wie dieses, mit Verachtung herabsehen, das Elend, das sie erdulden, die bittern Entbehrungen, denen sie sich in der edeln Absicht unterziehen mußte, ihrer Familie einen ärmlichen Unterhalt zu gewinnen, nur halb bekannt gewesen wäre, so würden sie vielleicht lieber jede Veranlassung vermieden haben, vor dieser Dulderin mit Eitelkeit und unbescheidenem Hochmuthe zu prunken, um sie nicht zum letzten schrecklichsten Hülfsmittel zu treiben, dessen Namen nur zu hören schon die zarten Gefühle dieser barmherzigen Damen erschüttern würde.

      Doch wir haben den Laden völlig vergessen. Wir fuhren also fort, ihn zu bewachen, und jeder Tag bewies die Zunahme der Armuth seiner Miethsleute nur zu klar. Die Kinder waren allerdings reinlich, aber ihre Kleider abgetragen und zerlumpt; es konnte kein Miethsmann für den obern Stock aufgetrieben werden, von dessen Beitrag doch ein Theil der Hausmiethe hätte bestritten werden können, und eine langsam schleichende Abzehrung, die bereits weit um sich gegriffen hatte, gestattete dem ältesten Mädchen nimmer, ihre Geschäfte fortzusetzen. Das Vierteljahr kam herbei; der Hausbesitzer hatte durch die Uebertriebenheit des vorigen Miethers Schaden genug gelitten und daher mit der Noth seines Nachfolgers kein Mitleiden; er ließ ihm Execution einlegen.

      Als wir eines Morgens vorübergingen, waren die Auspfänder gerade beschäftigt, die wenigen Mobilien, die noch im Hause waren, fortzuschaffen, und ein neuer Anschlag unterrichtete uns, daß das Haus abermals »zu vermiethen« sei. Was aus dem Miether geworden, konnten wir nie erfahren; wir glauben aber, daß das Mädchen aller Leiden enthoben und aller Sorgen frei wurde. Gott sei ihr gnädig! wir hoffen, daß unsere Vermuthung wahr ist.

      Die Neugierde trieb uns, zu erfahren, wie das Schauspiel weiter verlaufen würde – denn daß auf diesem Platze kein Glück zu hoffen war, darüber waren wir vollkommen im Reinen. Der Anschlag wurde bald darauf ab- und im Laden einige Veränderungen vorgenommen. Wir befanden uns in einem vollständigen Erwartungsfieber – wir erschöpften uns in Vermuthungen, – stellten uns alle möglichen Handelsgeschäfte nach der Reihe vor, und keines wollte vollkommen mit unserer fixen Idee übereinstimmen, daß dieser Miethsladen nothwendig nach und nach zu Grunde gehen müsse. Endlich wurde er eröffnet, und wir mußten uns nicht wenig wundern, daß uns seine nunmehrige wirkliche Gestaltung nicht früher beigefallen war. Der Laden – zu seinen bessern Zeiten schon keiner der größten – war nun in zwei verwandelt; den einen hatte ein Hutformenschneider inne, den andern ein Tabakshändler, der auch Spazierstöcke und Sonntagsblätter hielt. Die beiden Abtheilungen waren durch eine dünne Tapetenwand von einander getrennt.

      Der Tabakshändler blieb länger im Besitze als irgend ein Miethsmann aus unserer Erinnerung. Er war ein schamloser, nichtsnutziger Kerl, mit einem Kupfergesicht; augenscheinlich gewohnt, alles anzunehmen, wie es kam, und zum schlechten Spiele gute Miene zu machen. Er verkaufte so viele Cigarren, als er konnte, und rauchte die übrigen selbst; dabei behauptete er seinen Laden so lange, als ihm der Hausbesitzer Frieden ließ, und so bald dieß aufhörte, schloß er ganz ruhig die Thüre und ging davon.

      Von dieser Zeit an waren die beiden kleinen Höhlen unzähligen

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