Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens страница 16
Hie und da eilt ein Maurergeselle, das Mittagessen in einem Taschentuche tragend, an sein Tagewerk, und dann und wann klappert eine kleine Bande von drei oder vier Schuljungen munter über das Pflaster nach einer verstohlenen Badeexpedition, und ihre lärmende Fröhlichkeit sticht gegen das Benehmen des jungen Schornsteinfegers gewaltig ab, der sich Anfangs den Arm müde gepocht und geschellt hat und nun, seitdem ihm von der erbarmungslosen Gesetzgebung die Gefährdung seiner Lungen durch Schreien niedergelegt worden, geduldig auf der Thürschwelle sitzt, bis die Hausmagd die Güte haben wird, zu erwachen.
Der Markt im Covent-Garden sammt seinen Zugängen ist mit Karren von allen Arten, Größen und Formen, vom schwerfällig dahinrollenden Wagen mit seinen vier starken Pferden bis zum schleichenden Obstkarren mit seinem schwindsüchtigen Esel, vollgepfropft. Das Pflaster ist bereits mit abgehauenen Krautblättern, zerrissenen Grasbändern und dem ganzen namenlosen Geschnipfel eines Gemüsemarkts übersäet, und Männer schreien, Karren ächzen, Pferde wiehern, Knaben balgen, Obstweiber schnattern, Pastetenbäcker preisen die Vortrefflichkeit ihrer Pasteten an und Esel schreien. Diese und hundert andere Töne bilden ein Gemisch, das einem Londoner Ohre wehe genug thut, aber dem Bewohner der Provinz, der zum erstenmale auf dem HummumsA2 schläft, wahrhaft entsetzlich ist.
Eine zweite Stunde geht vorüber, und der Tag beginnt nun in vollem Ernste. Die Dienstmagd, welche unter der Maske eines sehr festen Schlafes ganz vergessen hat, daß die Frau schon eine halbe Stunde läutet, hört vom Herrn (den die Frau zu diesem Zwecke in seinem Negligé die Treppe hinaufgeschickt hat), daß es bereits halb sieben Uhr sei, worauf sie, mit wohlberechnetem Schrecken, plötzlich aufsteht und verdrießlich die Treppe hinuntergeht, während des Lichtschlagens den Wunsch ausdrückend, das Prinzip der Selbstentzündung möchte sich auch auf Kohlen und Feuerherd ausdehnen. Nachdem das Feuer angemacht ist, öffnet sie die Hausthüre, um die Milch herein zu nehmen, als sie bemerkt, daß die Nachbarmagd vermöge des sonderbarsten Zusammentreffens von der Welt ebenfalls gerade die Milch herein nimmt und daß im gegenüberstehenden Hause Herrn Todd's Knecht, durch einen ebenso außerordentlichen Zufall, seines Herrn Läden niederläßt. Die unvermeidliche Folge davon ist, daß sie mit dem Milchkruge in der Hand gerade in einer solchen Entfernung stehen bleibt, um Betsy Clark einen »guten Morgen« zu wünschen, und daß Herrn Todd's Knecht über die Straße herüberkommt, um beiden einen »guten Morgen« zu wünschen; und da vorbesagter Knecht des Herrn Todd beinahe so hübsch und so bezaubernd ist, wie der Bäcker selbst, so wird die Unterhaltung bald sehr anziehend und würde wahrscheinlich noch anziehender geworden sein, hätte nicht Betsy's Frau, welche sie immer beobachtet, zornig an das Fenster ihres Schlafzimmers gepocht, worauf Herrn Todd's Knecht gleichgültig zu pfeifen sucht, während er weit schneller in seinen Laden zurückkehrt, als er aus demselben hervorgetreten ist, und die beiden Mädchen in ihre betreffende Häuser eilen und in aller Stille die Thüre verschließen, aber eine Minute später ihre Köpfe im Vorderzimmer zum Fenster hinausstrecken, dem Anscheine nach, um die Miethkutsche zu betrachten, welche eben vorüberfährt, der That nach aber, um noch einen Blick von Herrn Todd's Knecht aufzufangen, welcher, ein großer Freund von den Postkutschen, aber ein noch größerer von den Frauenzimmern, einen kurzen Blick auf die Postkutsche und einen langen auf die Mädchen wirft, womit sämmtliche Betheiligte ganz zufrieden sind.
Die Postkutsche selbst fährt in ihrem vorgeschriebenen Trab nach der Post, und die Passagiere, welche mit dem Frühwagen abreisen, starren erstaunt die Passagiere an, welche mit dem Frühwagen ankommen, trüb und verdrießlich aussehen und augenscheinlich unter dem Einflusse jenes seltsamen, durch das Reisen hervorgerufenen Gefühls stehen, welches die Vorfälle des vorhergehenden Tages am folgenden Morgen in einem Lichte darstellt, als hätten sie sich wenigstens schon vor einem halben Jahre ereignet, und uns mit großer Verwunderung über die Veränderungen erfüllt, die mit den Freunden und Verwandten, von denen wir vor vierzehn Tagen Abschied genommen, seit unserem letzten Zusammentreffen vorgegangen sind. Der Posthof ist ganz lebendig und die Kutschen, welche eben abgehen wollen, sind wie immer von einer Menge Juden und Judengenossen umgeben, die, der Himmel weiß warum, die Ansicht zu haben scheinen, als wäre es ganz unmöglich, daß irgend Jemand eine Kutsche besteigen könne, ohne wenigstens für sechs Pfennige Pomeranzen, ein Federmesser, eine Brieftasche, einen Almanach vom vergangenen Jahr, ein Bleistiftfutteral, ein Stück Schwamm oder ein paar Heftchen Carrikaturen mit sich zu nehmen.
Noch eine halbe Stunde, und die Sonne wirft ihre hellen Strahlen lustig in die noch immer halbleeren Straßen und hat eine hinreichende Kraft, um die verdrießliche Schläfrigkeit des Lehrburschen zu verscheuchen, welcher seine Versuche, den Laden auszukehren und die Steinplatten vor dem Eingange desselben mit Wasser zu besprengen, alle zwei Minuten unterbricht, um einem andern auf dieselbe Weise beschäftigten Lehrlinge zu sagen, wie heiß es heute werden würde, oder um, mit der rechten Hand seine Augen überschattend und mit der linken sich auf den Besen stützend, dem »Wunder« oder dem »Tally-Ho« oder dem »Nimrod« oder irgend einem anderen Schnellwagen nachzugaffen, bis er ihm aus den Augen kommt, worauf er in den Laden zurückkehrt, um die Passagiere auf der Außenseite der Schnellwagen zu beneiden und an das alte backsteinerne Haus im »Unterlande« zu denken, wo er in die Schule ging: sein Elend bei Milch und Wasser, grobem Brod und altbackenen Brocken schwindet in Nichts zusammen vor der süßen Erinnerung an das grüne Feld, auf dem die Knaben spielten, an den grünen Teich, der ihm einmal Schläge eingetragen, weil er sich herausgenommen hatte, hineinzufallen, und an manche andere Scenen aus seiner Knabenzeit.
Kabriolete, mit Koffern und Schachteln zwischen den Beinen des Kutschers und auf dem Spritzleder, rasseln auf ihrem Wege nach den Posthöfen oder den Kajen der Dampfpacketboote eiligst auf und nieder; und die Kabrioletinhaber und Miethkutschenbesitzer, welche sich auf ihrem Stande befinden, putzen die Verzierungen ihrer schmutzigen Gefährte – wobei die ersteren sich verwundern, wie es sich Jemand einfallen lassen könne, die »Menageriekästen von Omnibus einem regulären Kabriolet mit einem schnellen Renner« vorzuziehen, und die letzteren erstaunen, »wie es Jemand wagen könne, seinen Hals einem gebrechlichen Kabriolet anzuvertrauen, wenn er eine respektable Miethkutsche mit ein paar Pferden haben könne, welche mit Niemanden davonrenne« – ein Trost, welcher sich zweifelsohne auf die Thatsache gründet, daß man überhaupt noch niemals eine Miethkutsche rennen sah, »ausgenommen,« wie der schmucke Kabrioletinhaber an der Spitze der Reihe bemerkt, »ausgenommen eine, und diese rannte rückwärts.«
Die Läden sind jetzt ganz geöffnet, und Lehrbursche und Ladenbesitzer sind eifrig beschäftigt, die Fenster für den Tag zu reinigen und zu verzieren. Die Bäckerläden in der Stadt sind mit Mägden und Kindern angefüllt, welche auf den ersten Schuß Wecken warten. – In der Vorstadt ist dieser Auftritt wegen der Frühschreiberbevölkerung von Somers und Camden Towns, Islington und Pentonville, die eiligst in die City rennen, oder ihre Schritte nach der Kanzleistraße und dem Gerichtsviertel lenken, bereits seit einer vollen Stunde vorüber. Männer von mittlerem Alter, deren Gehalt keineswegs im Verhältniß mit ihrer Familie gewachsen ist, eilen schnell die Straße entlang, offenbar nichts Anderes vor sich sehend als die Schreibstube: sie kennen beinahe Jeden von Gesicht, dem sie begegnen oder den sie überholen, denn sie haben ihn während der letzten zwanzig Jahre (Sonntags ausgenommen) beinahe jeden Morgen gesehen; aber sie sprechen mit Keinem, und wenn sie an einem persönlichen Bekannten vorüberkommen, so tauschen sie nur geschwind einen Gruß aus, und gehen entweder neben ihm her oder vor ihm voraus, wie es seine Gewohnheit mit sich bringt. Stehen zu bleiben um ihm die Hand zu schütteln oder des Freundes Arm zu ergreifen, dazu fühlen sie sich nicht befugt, weil es nicht in ihre Dienstpflicht miteingeschlossen ist. Kleine Schreiberlehrlinge in großen Hüten, welche Männer geworden, ehe sie Knaben waren, eilen mit ihrem ersten Rock, der sorgfältig gebürstet ist, und ihren weißen Hosen vom letzten Sonntag, welche mit Koth und Tinte überschmiert sind, paarweise vorüber. Es