Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens

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Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens

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Schlachten verzierte; der Hutformenschneider machte einem Gewürzhändler Platz, und der hanswurstartige Haarkünstler hatte einen Schneider zum Nachfolger. Kurz, der Wechsel war so zahlreich, daß wir zuletzt weiter nichts zu thun hatten, als die besonderen aber sicheren Anzeigen zu beobachten, daß das Haus der Schauplatz der Armseligkeit war. Diese hatte auch in der That fast unbegreifliche Fortschritte gemacht. Die Bewohner traten nach und nach Zimmer für Zimmer ab, so daß sie sich zuletzt blos noch das kleine Wohnzimmer vorbehielten.

      Zuerst zeigte sich an der Hausthüre eine Messingplatte, auf der leserlich geschrieben war: »Damenschule«; gleich daneben bemerkten wir eine zweite Messingplatte; dann eine Glocke und noch eine zweite Glocke.

      So oft wir vor diesem unserm alten Freunde stille hielten, und diese Zeichen seines Verfalles beobachteten, die nicht fehlgedeutet werden konnten, so dachten wir beim Fortgehen, daß dieses Haus auf dem äußersten Gipfel seiner Erniedrigung angelangt sei. Wir hatten aber nicht Recht, denn als wir neulich vorübergingen, war eine »Melkerei« auf dem Hofe errichtet, und eine Partie schwermüthig aussehenden Geflügels unterhielt sich damit, zur Vorderthüre hinein und zur Hinterthüre heraus zu spazieren.

      Viertes Kapitel

      Scotland-Yard.

      Scotland-Yard ist ein kleiner – ein sehr kleiner Strich Landes, auf der einen Seite durch die Themse, auf der andern durch die Gärten von Northumberland House begrenzt, und am einen Ende an den Anfang der Northumberland Street, am andern an die Rückseite von Whitehall-Place stoßend. Als dieses Gebiet zuerst von einem Landedelmann, der sich auf dem Strand verirrt hatte, vor mehreren Jahren zufälligerweise entdeckt worden war, ergab sich, daß die ersten Ansiedler ein Schneider, ein Zolleinnehmer, zwei Speisewirthe und ein Obstpastetenbäcker waren; auch ergab sich, daß der Platz von einem kräftigen Schlage Männer besucht wurde, welche regelmäßig jeden Morgen zwischen fünf und sechs Uhr auf den Löschplätzen von Scotland-Yard erschienen, um schwere Wagen mit Kohlen zu beladen, welche sie in die Umgegend verführten, um die Einwohner mit dem nöthigen Brennstoffe zu versehen. Wenn sie ihre Wagen abgeladen hatten, fuhren sie wieder zurück, um neuen Succurs zu holen, und dieser Handel dauerte das ganze Jahr hindurch fort.

      Da die Ansiedler diesen ersten Handelsleuten ihre Bedürfnisse lieferten, um ihren Unterhalt dadurch zu gewinnen, so sah man es den zum Verkauf ausgestellten Gegenständen und den Verkaufsplätzen von Außen deutlich an, daß sie ausdrücklich dem Geschmack und dem Wunsche derselben angemessen waren. Der Schneider legte an seinem Fenster ein liliputisches Paar Ledergamaschen und eine runde Miniaturjacke aus, während jeder Thürpfosten mit einem angemessenen Modell eines Kohlensacks verziert war. Die beiden Speisewirthe stellten ZiemerA4 von einer Größe und Puddinge von einer Solidität aus, welche nur Kohlenträger zu schätzen vermögen, und der Obstpastetenbäcker entfaltete auf seinem wohlgescheuerten Fenstergesimse weißes Backwerk aus feinem Mehl und Bratenfett, mit fleischfarbenen Karten dekorirt, welche das Obst, das darin war, auf eine Weise anpriesen, daß den Vorübergehenden der Mund wässerte und die Füße beinahe den Dienst aufkündeten.

      Aber der besuchteste Platz in ganz Scotland-Yard war das alte Wirthshaus im Winkel. Hier saßen in einem dunklen getäfelten Zimmer von altväterischem Aussehen, das durch die Flamme eines gewaltigen Feuers erheitert wurde und mit einer ungeheuren Uhr geziert war, welche ein weißes Zifferblatt mit schwarzen Figuren hatte, die kräftigen Kohlenträger, lange Züge des besten Barkleytabaks in sich trinkend und Rauchmassen hervorstoßend, welche sich über ihren Köpfen kräuselten und das Zimmer in eine dichte, finstere Wolke einhüllten. Von diesem Gemach aus drang der Laut ihrer Stimmen in einer Winternacht bis an das Ufer des Stroms, wenn sie einen vollen Chor anstimmten oder den Schlußreim eines Volksliedes brüllten, auf den letzten wenigen Worten mit einem starken, lang gehaltenen Nachdruck verweilend, welcher die Decke über ihnen erbeben machte.

      Hier erzählten sie sich auch alte Legenden von dem, was die Themse in früheren Zeiten gewesen, als die Patentschrotfabrik noch nicht erbaut war und noch Niemand an die Waterloobrücke dachte; und dann schüttelten sie zur großen Erbauung des nachwachsenden Kohlenträgergeschlechts, das um sie versammelt war, mit bedeutsamen Blicken die Köpfe und waren begierig, was das Alles noch für ein Ende nehmen würde; worauf der Schneider seine Pfeife feierlich aus dem Mund nahm und sagte: er hoffe, es möchte ein gutes Ende nehmen, obgleich es sehr zweifelhaft wäre, ob dieß der Fall sein würde oder nicht; und er könne nicht mit Bestimmtheit angeben, was er davon denken solle – eine geheimnißvolle Meinungsäußerung, und dazu mit einer halb prophetischen Miene vorgebracht, welche nicht ermangelte, der versammelten Gesellschaft ihre vollste Beistimmung zu entlocken. Und so tranken sie denn und waren begierig, bis die zehnte Stunde herbeikam und mit ihr des Schneiders Ehefrau, um ihren Gemahl heim zu holen, worauf denn die kleine Gesellschaft aufbrach, um am folgenden Abend zur nämlichen Stunde in der nämlichen Stube wieder zusammen zu kommen und wieder ganz das Nämliche zu sprechen und zu thun.

      Um diese Zeit begannen die Barken, welche den Fluß heraufkamen, unbestimmte Gerüchte nach Scotland-Yard zu bringen, es habe Jemand in der Stadt davon reden hören, daß der Lordmayor einige Worte habe fallen lassen, als wolle er die alte Londoner Brücke abbrechen und eine neue aufrichten. Anfangs achtete man wenig auf diese Gerüchte; man hielt sie für müßige Mährchen, die aller Begründung ermangelten, denn in Scotland-Yard zweifelte Niemand daran, der Lordmayor würde, wenn er solche schwarze Pläne hegte, unfehlbar acht bis vierzehn Tage lang in den Tower gesetzt und dann wegen Hochverrats hingerichtet werden.

      Nach und nach jedoch wurden die Berichte bestimmter und häufiger, und endlich brachte eine Barke, die mit unzähligen ChaldronsF1 der besten WallsendkohlenA5 beladen war, die positive Nachricht, daß mehrere Bogen der alten Brücke bereits gesperrt wären und die Vorbereitungen zu einer neuen ihren Fortgang nähmen. Welch' eine Aufregung zeigte sich an diesem denkwürdigen Abend in der alten Schenkstube! Jeder sah seinem Nachbar in das schreckensbleiche Gesicht und las darin den Abdruck der Gefühle, die seine eigene Brust schwellten. Der älteste anwesende Kohlenträger suchte darzuthun, daß im Augenblicke, wo man die Pfeiler abtrüge, alles Wasser der Themse rein verschwinden würde, um das Bette trocken liegen zu lassen. Was sollte aus den Kohlenbarken, aus dem Handel von Scotland-Yard, aus der ganzen Existenz seiner Bevölkerung werden? Der Schneider schüttelte den Kopf mit einer weiseren Miene, als gewöhnlich, und sagte, finster auf ein vor ihm liegendes Messer deutend, sie mögen nur der Dinge warten, die da kommen sollen; er sage nichts – gar nichts; aber wenn der Lordmayor als ein Opfer der Volkswuth fallen sollte, so würde es ihn nicht sehr Wunder nehmen, und damit Punktum.

      Sie warteten; Barke um Barke kam an und immer noch keine Nachricht von der Ermordung des Lordmayors. Der Grundstein war gelegt; es war durch einen Herzog – des Königs Bruder geschehen. Jahre gingen vorüber, und die Brücke ward von dem Könige selbst eingeweiht. Im Laufe der Zeit wurden die Pfeiler abgetragen; und als die Bewohner von Scotland-Yard am folgenden Morgen in der zuversichtlichen Erwartung hinauf gingen, trockenen Fußes nach Pedlar's Acre hinüber zu kommen, fanden sie zu ihrem unbeschreiblichen Erstaunen, daß das Wasser immer noch an derselben Stelle war, an der es von jeher gewesen.

      Ein Resultat, das von demjenigen, welches sie von dieser ersten Verbesserung unfehlbar erwartet hatten, so unendlich weit abwich, übte seine volle Wirkung auf die Einwohner von Scotland-Yard. Einer von den Speisewirthen begann der öffentlichen Meinung zu huldigen und sich in der neuen Klasse der Bevölkerung nach Kunden umzusehen. Er legte weiße Tischtücher auf seine kleinen Speisetafeln und gewann einen Malerlehrling, der ihm etwas »von warmen Fleischspeisen zwischen zwölf und zwei Uhr« auf eine der kleinen Scheiben seines Ladenfensters malen mußte. Die Verbesserung schritt rasch bis an die Schwelle von Scotland-Yard vor. Ein neuer Markt erhob sich zu Hungerford und die Polizeicommissäre errichteten ihr Bureau auf dem Whitehall-Place. Der Handel in Scotland-Yard nahm zu; die Zahl der Abgeordneten in das Haus der Gemeinen wurde vermehrt, die Repräsentanten der Hauptstadt fanden, daß der Weg über Scotland-Yard näher sei, und eine Menge Fußgänger folgten ihrem Beispiele.

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