Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens страница 9

Автор:
Серия:
Издательство:
Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens

Скачать книгу

sich schon vorher gewendet, und der durch diese Entdeckung hervorgebrachte Eindruck regulirte seinen Lauf vollends. Bung's Partei schlug vor, den Betrag zusammenzulegen, um der alten Frau, so lange sie lebte, wöchentlich für einen Schilling Theekuchen abzunehmen; die Kirchspielsgenossen stimmten laut bei, und Spruggins Schicksal war entschieden.

      Es war vergeblich, daß sich Frau Spruggins mit den ganz gleich gekleideten Zwillingen auf den Armen, den Knaben auf dem rechten und das Mädchen auf dem linken, an der Kirchthüre aufstellte – Frau Spruggins selbst war nicht länger mehr Gegenstand der Theilnahme. Bung wurde mit einer Mehrheit von vierhundert achtundzwanzig Stimmen erwählt, und die Sache des Kirchspiels feierte, den Vorständen gegenüber, seinen Triumph.

      Fünftes Kapitel

      Des Auspfänders Gehülfe.

      Nachdem sich nun die durch die letzte Wahl herbeigeführte Spannung gelegt hat und unser Kirchspiel wieder in den ihm angemessen ruhigen Zustand zurückgekehrt ist, sind wir erst im Stande, unsere Aufmerksamkeit denjenigen Kirchspielsmitgliedern zuzuwenden, die an unseren Parteikämpfen wenig Antheil nehmen und sich von den Wirren und dem Geräusche des öffentlichen Lebens ferne halten. Und wir gestehen hier mit aufrichtigem Vergnügen, daß wir in unseren Bemühungen, zu diesem Zwecke Materialien zu sammeln, besonders durch Herrn Bung selbst unterstützt worden sind, dem wir dadurch zu einer Schuld verpflichtet wurden, deren wir uns wohl schwerlich jemals werden entledigen können.

      Das Leben dieses Mannes ist eines der buntesten gewesen: er hat Uebergänge erduldet – nicht von der Trauer zur Freude, denn er war nie traurig; nicht vom Launigen zum Ernsthaften, denn Ernst bildet keinen Theil seiner Gemüthsart, seine Schicksalswechsel haben vielmehr zwischen äußerster und modificirter Armuth hin- und hergeschwankt, oder – um seinen eigenen bezeichnenden Ausdruck zu gebrauchen – zwischen »gar nichts zu essen, und gerade nur halb genug.« Er gehört nicht, wie er treffend bemerkt, »zu jenen glücklichen Leuten, die, wenn sie auf der einen Seite eines Schiffes splitternackt in's Wasser geworfen werden, auf der andern mit einem nagelneuen Anzug wieder hervorkommen und noch eine Suppenmarke in der Westentasche vorfinden«; eben so wenig aber auch zu denen, deren Muth gebrochen wird, wenn sie keiner Erlösung vom Mißgeschick und Mangel entgegensehen. Er ist einer von den sorglosen, gutmüthigen, glücklichen Gesellen, die korkleicht stets oben schwimmen, damit die Welt Possen mit ihnen treiben kann, die da und dort und irgendwo anklopfen, bald bei dem Rechten, bald bei dem Unrechten, manchmal in die Luft geschleudert werden und gleich wieder auf die Erde fallen, aber auch gleich wieder oben sind und stets munter und vertrauungsvoll mit den Wellen des Stromes forttanzen. Einige Monate vorher, ehe er die Bestimmung erhielt, bei der Kirchspielsdienerwahl einen Hauptkämpfer abzugeben, veranlaßte ihn die Noth, in die Dienste eines Auspfänders zu treten; und gerade darauf, daß er hier Gelegenheit hatte, sich Kenntniß von dem Zustande der meisten armen Einwohner des Kirchspiels zu verschaffen, gründete sein Gönner, der Kapitän, seine ersten Ansprüche auf öffentliche Unterstützung.

      Der Zufall führte diesen Mann kurze Zeit nachher mit uns zusammen. Wir waren gleich im ersten Augenblick durch seine bei der Wahl bewiesene Zuversicht für ihn eingenommen worden und daher nicht sehr erstaunt, bei unserer näheren Bekanntschaft in ihm einen pfiffigen, gescheidten Mann mit nicht unbeträchtlicher Beobachtungsgabe zu finden. Als wir uns in ein Gespräch mit ihm einließen, waren wir, wie es uns auch in andern Fällen schon gegangen, einigermaßen betroffen, die Fähigkeit oder das Talent, das gewisse Menschen wirklich zu besitzen scheinen, bei ihm zu entdecken, mit Gefühlen, die ihnen völlig fremd sind, nicht allein zu sympathisiren, sondern sie sogar ganz zu verstehen.

      Wir hatten dem neuen Diener unser Erstaunen darüber ausgedrückt, daß er je in der Eigenschaft, die wir kaum erwähnt haben, Dienste geleistet, und ihn nach und nach dahin gebracht, uns einige Vorfälle aus seinem vorigen Gewerbe mitzutheilen. Da wir bei weiterer Ueberlegung uns zu der Ansicht bewogen fanden, daß sie sich wohl besser hören lassen werden, wenn wir genau seinen Worten folgen, als wenn wir sie noch weiter ausschmücken, so wollen wir sie nunmehr betiteln:

      Herrn Bung's Erzählung.

      »'s ist ganz richtig, wie Sie sagen, Sir,« begann Herr Bung, »daß das Leben des Gehülfen eines Auspfänders nicht zu beneiden ist; Sie wissen es natürlich so gut, als ich selbst, obgleich Sie es nicht sagen wollen, daß das Volk sie haßt und verachtet, weil sie die Werkzeuge sind, arme Leute noch unglücklicher zu machen. Aber was konnte ich thun, Sir? Die Sache wurde dadurch nicht schlechter, wenn ich sie statt eines Andern that, und wenn ich mich in den Besitz des Hauses eines Andern setzte, so brachte es mich in den Besitz von drei Shilling sechs Pencen des Tags, und wenn ich Beschlag auf das Vermögen eines Andern legte, so erleichterte ich dadurch meine Noth und die meiner Familie. Es sagte mir, Gott weiß es, nie zu; ich sah mich stets nach irgend etwas Anderem um, und sobald ich ein anderes Geschäft zu erlangen wußte, gab ich's auf. Wenn es Unrecht ist, sich zu solchen Dingen brauchen zu lassen – ich glaube übrigens, daß das Unrecht nur auf Seite des Anstifters liegt, – so ist doch so viel gewiß, daß ich schon als Anfänger die Strafe dafür fühlen mußte. Ich wünschte immer und immer, daß die Leute mich prügeln oder hinauswerfen möchten, denn so etwas bin ich gewöhnt und ich hätte mir nicht viel daraus gemacht: aber fünf Tage lang, in einem Hinterstübchen eingeschlossen, auf Execution zu liegen, und sich selbst überlassen zu sein, ohne was Anderes zu thun zu haben, als eine alte Zeitung zu lesen und dabei nichts zu sehen, als die Dächer und Schornsteine der Rückseite des Hauses, nichts zu hören, als etwa das Picken meiner alten Schwarzwälder Uhr, hier und da das Seufzen der Frau vom Hause, das Zischeln von Verwandten in der nächsten Stube, die leise zusammen flüstern, damit es »der Mann« nicht höre; höchstens noch das gelegenheitliche Aufgehen der Thüre, durch die ein Kind hereinschleicht, um Einen anzusehen, welches dann halb erschrocken wieder davon springt – das Alles ist's, was Einen fühlen macht, daß man irgend etwas Unrechtes vorhat, vor dem man sich selbst schämen muß. Ist es gerade Winterszeit, so gibt man Einem gerade Kohlen genug, um den Wunsch rege zu machen, noch mehr zu haben; bringt man Einem Brei, so ist er so gekocht, als wenn man Einen damit ersticken wollte. Sind die Leute noch höflich genug, so schlagen sie Einem des Nachts ein Bett im Zimmer auf, und thun sie es nicht, so schickt der Auspfänder eines; und so muß man die ganze Zeit über an einem und demselben Orte bleiben, ohne sich waschen oder den Bart abnehmen zu können. Man wird von Jedermann gemieden, kein Mensch spricht mit Einem, wenn nicht allenfalls Jemand zur Essenszeit kommt und fragt, ob man noch mehr begehre, aber in einem Tone, der deutlich genug sagt: »Ich will nicht hoffen,« oder des Abends, um zu fragen, ob man nicht Licht zu haben wünsche, nachdem man schon den halben Abend in der Finsterniß gesessen hat. Befand ich mich in einer solchen Lage, so pflegte ich niederzusitzen und darüber zu grübeln, bis ich mich in meiner Hinterstube so einsam fühlte, wie ein Kätzchen im kupfernen Waschkessel, mit dem Deckel drauf; aber ich glaube, die alten Auspfänderleute, die gewöhnlich dazu erzogen sind, denken an Alles dieses nicht. Ich habe Einige von ihnen sagen hören, daß sie von so was nichts wissen.

      »Ich mußte während meines Dienstes viele Auspfändungen vornehmen und fand im Laufe derselben bald, daß viele dieser Leute nicht so sehr zu bemitleiden sind, als Andere, und daß Diejenigen, welche, wenn sie in Noth kommen und sich von Tag zu Tag und von Woche zu Woche hinzuhalten vermögen, dieß mit der Zeit so gewohnt werden, daß sie es kaum mehr fühlen. Ich erinnere mich noch sehr wohl des ersten Hauses, wo ich Beschlag zu legen hatte; es war im Hause eines Gentlemans, hier im Kirchspiele, von dem Jedermann glaubte, es könne nicht fehlen, daß er Geld genug haben müßte, wenn er nur wollte. Ich ging hin mit dem alten Fixem, meinem Principal, etwa nach halb neun Uhr Morgens, zog die Hausglocke, und ein Livreebedienter öffnete uns die Thüre. ›Der Herr zu Hause?‹ – ›Ja,‹ sagt der Bediente, ›aber er ist gerade noch am Frühstück.‹ – ›Hat nichts zu sagen,‹ erwiederte Fixem; ›sagen Sie ihm nur, 's wäre ein Gentleman hier, der ihn allein zu sprechen wünsche.‹ – Der Bediente riß die Augen sperrweit auf und starrte ihn von allen Seiten an, als ob er den Gentleman suchen wolle, – denn ich kann nicht verhehlen, daß nur ein Stockblinder Fixem für etwas Anderes, als für das,

Скачать книгу