Ein verhängnisvoller Wunsch. Sabine von der Wellen
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Schon an der Tür wurde sie mit freundlichen Neujahrsgrüßen empfangen und erwiderte sie fröhlich. Sie hatte sich fest vorgenommen, dieses Jahr zu ihrem Jahr zu machen. Es reichte, dass sie den ganzen Neujahrstag in Selbstmitleid zerfließend und mit ihrem Schicksal hadernd vor sich hin sinniert hatte, bis sie endlich auf dem Sofa eingeschlafen war.
Als sie am Morgen erwacht war, hatte sie die Sinnlosigkeit ihres sich selbst zerfleischenden Selbstmitleids erkannt und sich überlegt, dass es so mit ihr nicht mehr weitergehen konnte. So hatte sie beim Frühstück beschlossen, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben und sich nicht mehr so runterziehen zu lassen. Sie hatte schließlich einen tollen Job, verdiente gut, hatte eine schöne Wohnung und war gesund. Das wollte sie sich vor Augen halten und nichts anderes.
Außerdem beschloss sie, dass sie sich nicht mehr von ihrer biologischen Uhr und ihrer Familie bedrängen lassen durfte.
Als ihre Schwester Karin ihr erstes Kind bekam und ihr langsam bewusstwurde, dass sie selbst bald eine alte Schachtel war, begann sie mit Männern zu schlafen, um schwanger zu werden. Und dann, nach ihrem vierunddreißigsten Geburtstag, als ihr plötzlich nach einer Liebesnacht mit einem gutaussehenden jungen Mann auffiel, dass er nicht im geringsten Anstalt machte, sich ihr für weitere Treffen aufzudrängen, wurde ihr bewusst, dass sie ihre besten Jahre hinter sich hatte und es nicht leichter für sie wurde. Er hatte vor dem Sex ein ganzes Arsenal Kondome ausgepackt und sie war sich nicht sicher, ob er nicht sogar drei übereinander stülpte, weil es ewig dauerte, bis er endlich bereit war. Der Sex war zwar prickelnd gewesen, weil er göttlich gebaut war und so süß mit Grübchen lächelte, aber auch erschreckend kurz und nichts, um auch nur in die Nähe eines Orgasmus zu kommen. Danach war er aufgestanden, hatte noch einmal höflich gelächelt und war gegangen. Kein: „Können wir uns noch einmal treffen?“ Kein: „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt! Wollen wir zusammenbleiben?“ Gar nichts!
Nicht, dass sie darauf eingegangen wäre. Gott bewahre! Aber so gar keine Möglichkeit zu haben, dem Mann der letzten Nacht noch einen Tritt in den Allerwertesten zu geben, nachdem man gnädig lächelnd über seinen Anflug von romantischen Liebesbeteuerungen hinweggesehen hatte, war nicht leicht zu verkraften. Und einzusehen, dass er nicht der Vater des Wunschkindes werden würde, war bedrückend, aber erst noch kein Drama. Aber diese Fälle häuften sich und sie war bald so weit, von sich aus die Männer zu fragen, ob es vielleicht eine Zukunft geben könnte, nur um sie noch öfters ins Bett zu kriegen. Schleichend und fast unbemerkt war aus ihr das weinerliche, einsame Mäuschen geworden, das sich aufdrängte und die Männer um mehr anbettelte, nur um ihre biologische Uhr zu übertölpeln und der Einsamkeit ein Schnippchen zu schlagen. Aber die Männer waren nie um Ausreden verlegen.
Das war der Punkt, an dem sie wusste, dass alles zu spät war und sie es nur noch mit größter Mühe schaffen konnte, einen Mann für sich zu gewinnen, der zur rechten Zeit seinen Freund am rechten Ort platzierte. Von einem Mann für eine gemeinsamen Zukunft ganz zu schweigen. Mit reiner Überredungskunst war da nicht mehr viel zu gewinnen.
Gut, es gab Anwärter, die wollten sie und waren bestimmt zu allem bereit. Aber was sollte sie mit dem kahlen Nerd aus der Entwicklungsabteilung, der mit seinem Computerprogramm umgehen konnte, aber ansonsten offensichtlich weit entfernt von jeglicher Realität war. Isabels Gewissen mahnte beständig, dass der Vater ihres Kindes unbedingt ein Minimum an Intelligenz, Charakter und Schönheit mitbringen und vor allem Gefühle bei ihr auslösen sollte, um etwas zu haben, an dass man sich gerne erinnerte. Das war ihr wichtig. Sie wollte das Kind ansehen und sich daran erinnern, was sie mit dessen Vater verbunden hatte. In dem Punkt kam zumindest Isabels romantische Ader durch, die sich den Traumprinzen aber schon abgeschminkt hatte. Genauso wie den Traum von dem schönen, unglaublich süßen und lieben Kurztrip ins Glück, der wissentlich mit ihr ein Kind zeugte, weil er sie für die unglaublichste Frau in seinem Leben hielt und wert genug, um seine wertvollen Gene weiterzuverbreiten.
Aber vielleicht wollte ihr Körper kein Kind mit einem Unbekannten, der keine Gefühle in ihr auslöste. Vielleicht waren Gefühle der Erfolgsgarant für eine Schwangerschaft. Irgendwelche Gefühle. Es mussten schließlich nicht alles niederringende, große, romantische Gefühle sein. Sie wäre schon froh, wenigstens etwas zu fühlen. Aber auch das fiel ihr immer schwerer. Wahrscheinlich steuerten ihre Hormone allmählich schon die Talfahrt an und begannen den Wunsch nach zwischenmenschlichen Freuden zu reduzieren.
Das war ein erschreckender Gedanke, den Isabel lieber verdrängte. So versuchte sie sich auf das zu konzentrieren, was sie hatte: ihren Job. Und sie musste sich zusammenreißen und den wieder meistern, wie sie es all die Jahre gemacht hatte.
Leider war ihr dahingehend in den letzten Monaten etwas der Elan abhandengekommen. Sie hatte dummerweise einige Böcke geschossen, die sie nur durch die Gutmütigkeit ihrer Chefin überstanden hatte. Aber die wusste noch nicht den neusten Clou ihrer einst besten Mitarbeiterin, die sich auf den Bereichsleiter der Logistikabteilung namens Hardy Meiners eingelassen hatte. Cornelia wird ihr bestimmt nicht gerade hoch anrechnen, dass die sich mit einem verheirateten Mitarbeiter der Firma eingelassen hatte. Ihre Chefin mochte so etwas gar nicht.
Niemals, in all den vergangenen Jahren, hatte Isabel damit gerechnet, dass sie dermaßen in eine Kurzschlusspanik verfallen könnte und sich damit sogar geschäftsschädigend verhalten würde. Und Hardy und ihre missratene Beziehung mit ihm waren der Höhepunkt einer langen Reihe dummer Fehlentscheidungen.
Aber jetzt hatte sie beschlossen, das neue Jahr zu ihrem werden zu lassen. Mit dem Beginn des neuen Jahres, und ihren Vorsätzen, sah sie sich in der Lage, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Wer brauchte schon eine nervende Beziehung und eine Familie mit quengeligen Kindern, wo man doch einen tollen Job hatte, der einen hoffentlich genug stresste, um jeglichen Anfall von Trübsal blasen im Kein zu ersticken.
„Hallo, ja, Ihnen auch ein schönes, neues Jahr. Klar habe ich schön reingefeiert“, verkündete Isabel einige Male, bevor sie den Fahrstuhl erreichte. Dabei warf sie ihre langen, braunen Haare nach hinten und ging erhobenen Hauptes durch das riesige Gebäude.
Sie fuhr mit dem Lift nach oben und betrat das obere Stockwerk. Hier war zum größten Teil die Chefetage, und Isabel steuerte das große, helle Büro an. Ihr riesiger Schreibtisch mit Blick auf den kleinen See, der auch zu dem Grundstück gehörte, erwartete sie, und ihre neue Aussicht auf einen arbeitsreichen Beginn des neuen Jahres. Doch noch bevor sie ihren Schreibtisch erreichte, schwang die Tür hinter ihr auf und ihre Chefin trat ein.
„Guten Morgen und ein schönes neues Jahr wünsche ich dir!“, rief sie freudestrahlend und gutgelaunt.
Isabel legte ihre Tasche an die Seite und ließ sich von der blonden, schlanken Frau umarmen.
„Das wünsche ich dir auch, Cornelia.“
„Dann wollen wir das neue Jahr mal anlaufen lassen. Ich hoffe, es wird so erfolgreich wie das vergangene.“ Lächelnd lief sie zu einer weiteren Tür, die fast an Isabels Schreibtisch angrenzte. Sie stieß sie auf und verschwand dahinter, als im gleichen Moment auch schon das Telefon auf Isabels Schreibtisch läutete. Isabel hörte Cornelia noch rufen: „Ich bin noch nicht im Haus!“, bevor ihre Tür zuschlug und die andere Tür vom Flur her sich öffnete.
Isabel griff über ihren Schreibtisch hinweg zum Hörer und meldete sich. Während sie dem Anrufer lauschte, schaltete sie den Computer an.
„Nein, tut mir leid. Frau Albers ist noch nicht im Haus. Aber wenn sie Sie zurückrufen soll, dann werde ich ihr das ausrichten. Sie können mir aber auch sagen, worum es sich handelt.“
Isabel