Kurt Aram: Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen. Kurt Aram

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Kurt Aram: Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen - Kurt Aram gelbe Buchreihe

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Tiflis fort.

      Immer wieder tauchen Deutsche in dem Hotel auf. Es ist ja ein deutsches Haus. Hier verkehren auch die Konsuln. Wo soll man sich Rat holen, wenn nicht hier? Bald darauf erscheint Polizei und führt die Deutschen fort. Wohin, wissen wir nicht ... Abend. Der österreichische Konsul kommt zu uns ins Hotel. Sein italienischer Kollege hat ihn endlich offiziell von dem Krieg zwischen Russland und Deutschland verständigt. Darauf ging er zum deutschen Konsulat. Noch einmal wurde die schwarz-weiß-rote Flagge hochgezogen. Dabei nur zwei Deutsche auf der Straße, Hut in der Hand. Die Flagge wurde eingeholt, der Mast zerbrochen, das Konsularschild entfernt. Ein deutsches Konsulat in Tiflis gibt es nicht mehr...

      Ich: „Wie kommen wir jetzt aber nach Deutschland?“

      Der Konsul: „Amerika hat den Schutz der Deutschen in Russland übernommen.“

      Ich: „Der nächste amerikanische Konsul ist in Batum?“

      Der Konsul nickt. Er setzt ein Telegramm an diesen Mr. Shmid auf, ungefähr des Inhalts, er möge so bald wie irgend möglich nach Tiflis herüberkommen, um den Schutz der hiesigen Deutschen zu übernehmen.

      Andere Deutsche kommen hinzu. Der Konsul sucht uns zu beruhigen, indem er auseinandersetzt, der amerikanische Konsul werde uns unter amerikanischem Schutz auf ein neutrales Schiff nach Batum bringen und von dort über Konstantinopel nach Hause reisen lassen.

      Uns Deutschen wird etwas leichter ums Herz. Deutschland hat uns nicht vergessen, es hat uns die Amerikaner zum Schutz bestellt.

      Ich zum österreichischen Konsul: „Sagen Sie, ist dieser Mr. Shmid Berufskonsul?“

      „Er ist Kaufmann. Wahlkonsul.“

      Mir wird wieder schwer ums Herz, ich lasse es mir aber vor den anderen nicht merken, die so voll Hoffnungen sind. Der Mr. Shmid ist also Kaufmann, Geschäftsmann oder dergleichen. Er verdient also doch wohl durch Geschäfte mit Russen? Woher soll er dann die Energie nehmen, auch einmal, wenn es sein muss, energisch gegen die Russen aufzutreten? Ich spreche mit meiner Frau, die geborene Amerikanerin ist. Sie denkt darüber noch viel skeptischer als ich...

      An dem Tage, da der österreichische Konsul die österreichische Kriegserklärung an Russland offiziell erfährt, kommt er sichtlich erleichtert wieder zu uns ins Hotel. Binnen 24 Stunden muss er nach diplomatischem Brauch seinen Posten verlassen. Er kann nur froh darüber sein. Noch dazu hält er in Händen das Antworttelegramm von Mr. Shmid aus Batum, das reichlich lange gebraucht hat, und in dem geschrieben steht, dass Mr. Shmid unmöglich von Batum nach Tiflis kommen, dass er überhaupt nichts für die Deutschen tun kann.

      Wir machen lange Gesichter. Mit dem amerikanischen Schutz ist es also auch nichts. Nun heißt es: Hilf dir selbst ... Wenn es dafür nur nicht zu spät ist ... Hätten wir schon am Tage der Kriegserklärung gewusst, wie die Dinge liegen, hätte wohl doch noch mancher entwischen können bei der allgemeinen Unordnung. Aber wir Deutschen sind ja gewöhnt, auf den Rat unserer Behörden zu hören, in diesem Falle die Konsulate. Sie rieten uns, nichts zu unternehmen, sondern zunächst einmal zu warten ... Also warteten wir ... Bis der Krieg uns dann von dem Glauben an die Konsulate kurierte...

       Der österreichische Konsul rüstet sich zur Abreise über Petersburg-Finnland. Ich setze Himmel und Hölle in Bewegung, um mit ihm reisen zu können. Man verspricht mir die Pässe bis zum Abend. Wir packen wieder einmal um, denn für die weite Reise über Finnland nimmt man nur das Allernotwendigste mit ... Der Abend kommt. Die Pässe nicht. Wir essen mit dem Konsul zu Abend. Gegen neun Uhr wird er von einem Offizier zur Fahrt nach der Bahn abgeholt ... Gegen halb elf erscheint er wieder im Hotel. Auf ein so baldiges Wiedersehen hatten wir nicht gerechnet. Er saß schon im Zug, und der Zug sollte abgehen, da wurde ihm bedeutet, der Weg über Finnland sei gesperrt. Er könne nur noch über Wladiwostok – Peking – San Franzisko – New-York reisen. Eine etwas umständliche und kostspielige Reise. Wer hat das nötige Kleingeld dafür in der Tasche? ... Also musste er wieder zurück in die Stadt, um sich das nötige Geld für diese Gewalttour zusammenzuborgen. Seine eigenen Gelder wurden ihm ja nicht mehr ausbezahlt...

      Am nächsten Abend fuhr er dann ab und kam jedenfalls nicht mehr ins Hotel zurück. Was aus ihm geworden ist, wissen wir nicht.

      Das Schicksal der Deutschen aber war damit besiegelt. Wir waren völlig schutzlos der Willkür der russischen Behörden preisgegeben.

      * * *

      In der russischen Mausefalle

       In der russischen Mausefalle

      Am 5. August gegen Mittag kommt der Hotelportier in das Restaurant, wo wir Deutschen gerade wieder einmal beratend zusammensaßen, um die beiden Söhne des Hauses, mich und den bayrischen Ingenieur in das Büro zu rufen, wo der stellvertretende Reviervorsteher unserer harre, um ein Protokoll aufzunehmen.

      Vier Mann hoch ziehen wir in das Büro. Ein jovialer, kugelrunder Herr, dieser stellvertretende Pristav. Essen und Trinken ist ihm sicher eine angenehmere Beschäftigung als Protokolle aufnehmen.

      Ich komme zuletzt an die Reihe und habe Zeit, zu überlegen, was ich sagen soll. Meine Lage ist ein wenig heikel. Kurz vor Kriegsausbruch ist von mir in einem Berliner Verlag ein Buch unter dem Titel: „Der Zar und seine Juden“ erschienen, das mit der russischen Regierung nicht gerade wohlwollend umgeht. Aus meinem Pass ging ferner deutlich hervor, dass ich direkt aus Konstantinopel kam, dort mehrere Monate gelebt hatte und jetzt wieder nach der Türkei zurück wollte. Ich hätte den Russen also schon deshalb verdächtig erscheinen können.

       Ich gab zu Protokoll, was freilich nur ein Teil der Wahrheit war, ich beschäftige mich mit archäologischen Studien, speziell mit chetitischen, und reise zu diesem Zweck nach Wan und Umgegend.

      Der kugelrunde Pristavstellvertreter konnte sich dabei zwar offenbar nichts Rechtes vorstellen, gab sich aber vorläufig damit zufrieden.

      Bis auf den jüngeren Sohn des Hauses konnten wir zu unserem Frühstück zurückkehren. Den jüngeren Sohn nahm der Polizeibeamte mit. Erst am nächsten Tag brachte seine Frau, eine im Kaukasus geborene deutsche Kolonistin, heraus, dass ihr Mann auf der Hauptwache saß und dort festgehalten wurde.

      Tags darauf Nachricht von dem Eingesperrten, dass er zunächst auf der Hauptwache bleiben müsse, wo auch der deutsche Konsul aus Erzerum in der Türkei festgehalten werde. Dr. Anders, der deutsche Konsul in Erzerum, kam aus Wan, wohin ich ursprünglich hatte reisen wollen. Er wählte ebenfalls den bequemeren Weg über Russland nach Erzerum, ohne eine Ahnung vom Ausbruch des Krieges zu haben, wurde auf russischem Gebiet festgenommen und war also nun in der Hauptwache in Tiflis eingesperrt...

       Die englische Kriegserklärung an Deutschland wird in Tiflis bekannt. Auf dem Rathaus tanzen sie Freudentänze. Tiflis steht Kopf. Nun kann es nicht fehlen! Deutschland ist schon so gut wie vernichtet.

      Einige wenige Russen benehmen sich jetzt noch herablassender gegen die armen Njemezki, die Deutschen. Den meisten aber stärkt Englands Kriegserklärung so den Mut in der Brust, dass sie anfangen unverschämt zu werden gegen alles, was deutsch ist.

      Nur die beiden Engländer in unserem Hotel freuen sich nicht der englischen Kriegserklärung. Im Gegenteil. Sie sind wie vom Donner gerührt, als sie sich darüber Gewissheit verschafft haben. Dann schimpfen sie auf Lord Grey, wie ich englisch noch nie habe schimpfen hören. Durch sein aktives Eingreifen in den Krieg verdarb er England nach ihrer Meinung das schönste und größte Geschäft, das sich der britischen Insel seit ihrem Bestehen bot. Nun hatte England Farbe bekannt, statt wieder im Trüben zu fischen. Der größte Fehler,

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