Vom Winde verweht. Margaret Mitchell

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Vom Winde verweht - Margaret Mitchell

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aufs andere. »Du weinst doch nicht?« Er tastete ungeschickt nach ihrem Kinn und versuchte, ihr Gesicht zu sich aufzurichten.

      »Nein!« Wild zuckte sie zurück.

      »Du lügst wieder, und ich bin stolz darauf. Ich freue mich über deinen Stolz, Puß, und auch morgen beim Gartenfest will ich dich stolz sehen. Die Provinz soll nicht über dich klatschen, wie du dir das Herz abhärmst für einen Mann, der nie mehr als Freundschaft für dich empfunden hat.«

      »Er hat mehr für mich empfunden«, ging es Scarlett durch das betrübte Herz, »sehr viel mehr! Ich habe es gemerkt. Hätte ich nur ein bißchen länger Zeit gehabt, ich hätte ihn so weit gebracht, daß er es mir gesagt hätte - ach Gott, wenn doch die Wilkes nur nicht immer das Gefühl hätten, sie müßten ihre Cousinen heiraten!«

      Gerald faßte sie unter den Arm. »Nun wollen wir zum Abendessen hineingehen. All dies bleibt zwischen uns. Ich will Mutter damit nicht beunruhigen, tu du es auch nicht. So, nun schnupf dich aus, Mädchen!«

      Scarlett putzte sich mit ihrem zerrissenen Taschentuch die Nase, und Arm in Arm gingen die beiden die dunkle Einfahrt hinauf. Die Pferde folgten langsam. Nahe beim Haus wollte Scarlett wieder anfangen, aber da erblickte sie ihre Mutter im Schatten der Veranda. Sie trug Haube, Schal und Handschuhe. Hinter ihr stand Mammy, das Gesicht wie eine Gewitterwolke, und hatte die schwarze Ledertasche in der Hand, in der Ellen 0'Hara immer Verbandzeug und Arzneien mitnahm, wenn sie nach den kranken Sklaven sah. Mammys Lippen hingen tief herab; wenn sie böse war, konnte sie die untere so weit vorschieben, daß sie doppelt so breit wurde wie sonst. Sie hatte sie jetzt vorgeschoben, und Scarlett wußte, Mammybrütete über irgend etwas, was ihr gegen den Strich ging.

      »Mr. 0'Hara«, rief Ellen, als sie die beiden die Einfahrt heraufkommen sah. Ellen gehörte zu einer Generation, die auch nach siebzehnjähriger Ehe, in der sie sechs Kinder geboren hatte, noch die Förmlichkeit wahrte. »Mr. 0'Hara, bei Slatterys ist jemand krank. Emmies Kleines ist geboren und liegt im Sterben und muß getauft werden. Ich gehe mit Mammy hin und sehe nach, ob ich etwas für sie tun kann.«

      Sie hob fragend die Stimme, als hinge ihr Vorhaben von Geralds Einwilligung ab; eine reine Formsache, aber eine, an der Geralds Herz hing.

      »In Gottes Namen!« polterte er. »Warum muß das weiße Pack dich gerade zur Abendessenszeit abrufen, gerade wo ich dir von den Kriegsgerüchten erzählen will, die in Atlanta umgehen. Aber geh nur, du kannst ja doch die Nacht nicht ruhig schlafen, wenn du nicht irgendwo draußen helfen kannst.«

      »Sie kriegt überhaupt keine Ruhe, weil sie jede Nacht aufspringt, um nach den Farbigen und dem weißen Pack zu sehen, das lieber für sich selber aufpassen soll«, brummte Mammy eintönig, als sie die Stufen zu dem Wagen, der auf demSeitenwege hielt, hinabschritt.

      »Setz dich bei Tisch auf meinen Platz, Liebes«, sagte Ellen und streichelte Scarlett mit ihrer behandschuhten Hand leise die Wange.

      Trotz der Tränen, an denen sie noch schluckte, spürte Scarlett bis ins Innerste den nie versagenden Zauber der mütterlichen Liebkosung und zugleich den feinen Duft von Zitrone und Verbene, der Ellens rauschendem Seidenkleid entströmte. Für Scarlett hatte Ellen 0'Hara etwas förmlich Atemberaubendes, wie ein Wunder, das mit ihnen im Hause lebte, das sie entzückte, beruhigte und in seinem Bann hielt.

      Gerald half seiner Frau in den Wagen und sagte dem Kutscher, er möge behutsam fahren. Toby, der schon zwanzig Jahre mit Geralds Pferden umgegangen war, stülpte in stummer Entrüstung über diese Ermahnung die Lippen vor, und so fuhr er mit Mammy an seiner Seite davon, ein Doppelbild der grollenden Mißbilligung Afrikas.

      »Wenn ich nicht so viel für dies Slattery-Gesindel umsonst täte, wofür sie anderswo bezahlen müßten«, brummte Gerald, »so würden sie mir ihre elenden paar Morgen Sumpfland verkaufen müssen, und man wäre sie los!«

      Dann strahlte er auf einmal im Vorgefühl eines Schabernacks, den er seinem Diener antun wollte, über das ganze Gesicht. »Komm, Mädchen, wir wollen Pork weismachen, ich hätte ihn an John Wilkes verkauft, anstatt Dilcey für mich zu kaufen!«

      Er warf den Zügel seines Pferdes einem kleinen farbigen Jungen zu, der dabeistand, und ging die Stufen hinauf. Scarletts Kummer hatte er ganz vergessen, so freute er sich darauf, seinen Diener zum besten zu haben. Scarlett folgte ihm bleiernen Fußes. Schließlich, meinte sie, könnte eine Ehe zwischen ihr und Ashley doch nicht wunderlicher sein als die zwischen ihrem Vater und Ellen Robillard. Wie immer wunderte sie sich darüber, daß es ihr geräuschvoller, rauhbeiniger Vater fertiggebracht hatte, eine Frau wie ihre Mutter zu heiraten. Eine Kluft wie zwischen diesen beiden, nach Geburt, Erziehung und geistiger Haltung, gab es nicht leicht wieder.

      Ellen 0'Hara war zweiunddreißig Jahre alt, nach dem Maßstab ihrer Zeit eine Frau mittleren Alters, eine Frau, die sechs Kinder geboren und drei begraben hatte. Sie war eine hochgewachsene Erscheinung, einen Kopf größer als ihr feuriger kleiner Gatte, aber sie bewegte sich in den wiegenden

      Hüften mit so ruhiger Anmut, daß ihre Größe gar nicht auffiel. Der elfenbeinfarbene, wohlgerundete schlanke Hals erhob sich aus der schwarzen Tafthülle ihres enganliegenden Kleides, von der Fülle des üppigen Haars, das ein Netz am Hinterkopf zusammenhielt, scheinbar sacht nach hinten gezogen. Von ihrer französischen Mutter, deren Eltern in der Revolution von 1791 aus Haiti geflohen waren, hatte sie die schräggeschnittenen dunklen Augen, die tintenschwarzen Wimpern, die sie überschatteten, und das dunkle Haar; von ihrem Vater, einem Soldaten Napoleons, die lange gerade Nase und das eckig geschnittene Untergesicht, dessen Strenge durch die sanfte Rundung der Wangen gemildert wurde. Aber das Leben selbst hatte Ellens Gesicht seinen Ausdruck verliehen, jenen Ausdruck von Stolz, dem doch jeder Hochmut fremd war, von Güte, Melancholie und völliger Beherrschtheit.

      Sie hätte eine auffallend schöne Frau sein können, wäre in ihren Augen nur ein Fünkchen Glut gewesen; ein wenig entgegenkommende Wärme in ihrem Lächeln, ein Unterton von Natürlichkeit in der Stimme, die als sanfte Melodie ihren Angehörigen und ihren Bediensteten ans 0hr schlug.

      Sie sprach in der weichen, undeutlichen Mundart der georgianischen Küste, mit klingenden Vokalen, leichten Konsonanten und einer Spur von französischem Akzent. Nie hob sich die Stimme zum Befehl an einen Diener, zum Verweis an ein Kind, aber ihr wurde in Tara aufs Wort gehorcht, während das Poltern und Stürmen des Gatten stillschweigend überhört wurde.

      Für Scarlett war ihre Mutter seit unvordenklichen Zeiten stets sich selber gleich. Ihre Stimme war ebenmäßig sanft und süß, ob sie lobte oder tadelte, ihre Art und Weise immer gleichmäßig und bestimmt, trotz der täglichen Anforderungen, die Geralds bewegter Haushalt mit sich brachte, der Geist immer ruhig und der Rücken ungebeugt, sogar als die kleinen Söhne starben. Scarlett hatte nie gesehen, daß der Rücken ihrer Mutter eine Stuhllehne berührt hätte. Nie hatte sie gesehen, daß sie sich ohne eine Näharbeit niedersetzte, es sei denn zum Essen, zur Krankenpflege oder zur Buchführung für die Plantage. Wenn Besuch da war, arbeitete sie an feinen Stickereien, sonst waren ihre Hände mit Geralds fein gefältelten Hemden, mit der Garderobe ihrer Töchter oder den Kleidungsstücken für die Sklaven beschäftigt. 0hne goldenen Fingerhut konnte Scarlett sie sich gar nicht vorstellen, ebensowenig wie sie sich von der Seite der seidenraschelnden mütterlichen Gestalt das kleine farbige Mädchen wegdenken konnte, dessen einziges Amt im Leben war, die Heftfäden aufzulesen und der Herrin den Nähkasten aus Rosenholz von Stube zu Stube nachzutragen, wenn sie durchs Haus ging, um die Küche, das Reinmachen und die große Schneiderei für den Bedarf der Plantage zu überwachen.

      Nie hatte sie ihre Mutter aus ihrer strengen Gelassenheit heraustreten sehen, nie ihre Kleidung anders als untadelig erblickt, einerlei zu welcher Tagesoder Nachtstunde. Wenn Ellen sich zum Ball, für Gäste oder auch nur für einen Gerichtstag in Jonesboro anzog, brauchte

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